Privater EU-Grenzzaun, Graz, 2020, analoge Fotografie © Catrin Bolt
Privater EU-Grenzzaun, Graz, 2020, analoge Fotografie © Catrin Bolt

Im panoptischen Spiegelraum

»Im Auto bleibt man in seinem Privatraum, in seiner Blase. Da hört man dann nur seine Musik und braucht sich nicht mit Anderen auseinandersetzen.« Künstlerin Catrin Bolt erzählt im Interview über ihre Interventionen im öffentlichen Raum und wie wir Selbstverständlichkeiten auflösen müssen.

Die Wiener Künstlerin Catrin Bolt verfügt nach über 20 Jahren Arbeit im öffentlichen Raum über ein außergewöhnliches Repertoire im Umgang mit Kontext, Raum und Irritationen um denselben. Für unsere Reihe »Wem gehört die Straße« haben wir die ursprünglich aus Kärnten stammende Künstlerin zum Gespräch gebeten, um uns einen Einblick darüber zu geben, wie man durch Interventionen im öffentlichen Raum Denkmuster nachhaltig verändern kann, welche Hürden sich dabei auftun und warum wir uns, trotz gegensätzlicher Bestrebungen, als Akteur*innen im Öffentlichen Raum weiterhin als politisch positionieren müssen. Gleichzeitig erlaubt uns Bolt einen »deep dive« in ihr facettenreiches Schaffen und provoziert so eine diskursive Auseinandersetzung mit den teils zufällig zugelaufenen Prämissen für ihre Werke.

skug: Wie bist du zu einer Künstlerin im öffentlichen Raum geworden?

Catrin Bolt: Also ich habe auf der Akademie der bildenden Künste studiert und da schon ziemlich gleich auch Ausstellungen gemacht, aber mich hat immer was der Kontext bietet interessiert, wo etwas ist, wo die Arbeit ist. Dass man also mehr über den Kontext spricht und diesen dann auch ein bisschen anders sichtbar macht. Dann ist es jedenfalls aufgelegt, dass man zu Kunst im öffentlichen Raum kommt, weil’s dort halt immer wieder andere Möglichkeiten gibt, wie man auf Dinge reagiert, auf Zusammenhänge, und gleichzeitig hat man halt auch viele Leute, die zufällig vorbeikommen und nicht absichtlich Kunst anschauen wollen. Dadurch kann man ganz einen anderen Zugang aufmachen. Man kann diese Arbeiten so gestalten, dass sie nicht wirklich gleich nach Kunst aussehen, sondern dass man zuerst einmal einen Inhalt oder eine Überlegung rüberbringt. Und mich interessiert es einfach, so Sachen zu machen, die nicht unbedingt wie Kunst aussehen oder als solche wahrgenommen werden, und es macht mehr Spaß, sich immer wieder was Neues zu überlegen. Das geht mit diesen verschiedenen Orten ziemlich gut, dass man sich immer wieder was Anderes überlegt. Andere Herangehensweisen, andere Umsetzungen.

Du redest von Kontext, in dem Dinge stattfinden. Aber es finden in erster Linie anscheinend Dinge statt, die eine Idee über den Kontext in dir provozieren. Was sind denn das für Themen, die dich treffen oder die du triffst und die dich denken lassen: Ich will diesen Hintergrund jetzt sichtbar machen!

Die Themen, die mich interessieren, sind immer Dinge, die mich stören oder ärgern. Wenn’s eben eine Anfrage oder eine Möglichkeit gibt, was zu machen, dann überlege ich mir als erstes: Was ärgert mich da dran? Wo sind die Punkte, die mich in der Hinsicht interessieren, weil ich das eigentlich nicht so gut finde? Oder was würde ich anders haben wollen? Und auf dem baue ich dann diese Schwerpunkte auf. Mich interessiert schon auch, dass das Alltagssachen sind. Entweder Alltagsorte oder Alltagsgegenstände, die ich dann verwende, um damit Kunst zu machen. Also wo ich etwas so falsch platziere oder so verdrehe, dass es absurd wird, dieses Alltägliche, das man kennt und als selbstverständlich betrachtet.

Tarnrasen (Auspixeln), 2020, analoge Fotografie © Catrin Bolt

Könntest du mir ein Beispiel nennen? Mir ist ad hoc ein Projekt von dir eingefallen, das jetzt vielleicht nicht das Repräsentativste für den letzten Gedanken ist, aber mich sehr beeindruckt hat, in der Simplizität der Idee für die Intervention. Du hast ja in Bozen alte Mussolini-Bunker, die komplett von der Landschaft verschluckt waren durch eine einfache Intervention als Verpixelung wieder sichtbar gemacht. Magst du dazu vielleicht etwas erzählen?

Ja also damals hatte ich schon länger überlegt, wo ich etwas verpixeln kann. Weil ich die Idee hinter der Verpixelung so interessant finde: Wenn man an eine Karte zu nahe herankommt oder an irgendein digitales Bild, dann wird’s pixelig. Das heißt, diese Realität, die man versucht, möglichst lückenlos abzubilden oder eben immer genauer zu kopieren, funktioniert nur bis zu einem gewissen Grad und gleichzeitig ist auch oft das Wesentliche, um das es geht, verpixelt in den Nachrichten. Das fand ich interessant als Methode umzusetzen. Diese Bunker, von denen du sprichst, sind aus der Zeit des italienischen Faschismus. Und dieser Bunkerwall, der sich durchzieht durch die Landschaft, ist ziemlich versteckt – entweder in den Bergen drinnen oder getarnt als Hügel, die man nur dann als was sie sind erkennt, wenn man davon weiß. Die tauchen immer wieder in der Landschaft auf. Ich wurde angefragt, bei einem etwas zu machen, wo täglich halb Bozen vorbeifährt, weil’s eine Zubringerstraße ist. Aber es wissen die wenigsten, dass da drunter ein Bunker ist, und so habe ich dann diesen Grashügel ausgepixelt. Ich habe also eigentlich eine Methode der Tarnung verwendet, die das aber ganz gegensätzlich viel sichtbarer gemacht hat.

Okay, jetzt, wo du das so beschreibst, ist dieses Projekt vielleicht wirklich das schlechteste Beispiel, wenn es um deinen Antrieb geht, Alltagsgegenstände in ihrem Kontext sichtbar zu machen, nachdem ein Mussolini-Bunker vielleicht nicht unbedingt das Alltäglichste überhaupt ist. Aber es geht trotzdem in dieselbe Richtung: Du nimmst etwas, das schon da und alltäglich geworden ist, und macht etwas draus, über das man in der Wahrnehmung plötzlich aufgrund deiner Intervention stolpert.

Es ist aber auch diese »Methode« des Auspixelns schon etwas, das man kennt. Es geht oft darum, gewohnte Codes anders zu verwenden – es hat also auch beim Verpixeln etwas mit diesem Alltäglichen zu tun. Also jede*r kennt das. Aber ich kann noch ein anderes Beispiel geben. Vorletztes Jahr habe ich das Projekt »Privater EU Grenzzaun« gemacht und dieser Grenzzaun ist etwas, das man aus den Nachrichten kennt oder aus den Zeitungen. Er hat also auch eine bestimmte Selbstverständlichkeit und ich wollte einfach dadurch, dass ich ihn an die falsche Stelle gebe, anstatt eines Gartenzauns (also statt diesem auch sehr selbstverständlichen Ding) diesen Riesen-Zaun platzieren, also eine Kopie von diesem Zaun in den spanischen Exklaven, der dann halt einfach dasteht und dadurch absurd wird. Man kennt sowohl Gartenbegrenzungen als auch die EU-Grenze und wenn man das vermischt, dann wird die Absurdität klar: Wie wir das eigentlich ständig so selbstverständlich sehen, dass wir diese Exklusivität unseres privaten Eigentums haben dürfen, in das wir uns zurückziehen. Das wird dann anders sichtbar und verhandelbar, wenn man dann dran vorbeigeht und sich wundert.

Hast du andere Projekte, die mit der Dekontextualisierung als Deplatzierung arbeiten?

Also ein aktuelles Projekt, das über einen längeren Zeitraum umgesetzt werden musste und im Mai in Niederösterreich eröffnet wird und das auch mit der Thematik, wer wo sein darf, und auch mit dem Außenraum zu tun hat, ist Folgendes: In der Friedensgemeinde Erlauf – da wo die Unterzeichnung des Friedensvertrags durch den amerikanischen und sowjetischen General stattfand – gibt es jedes Jahr Anfang Mai Friedensfeierlichkeiten, zu denen auch immer ein Kunstprojekt erarbeitet wird. Für 2020 wurde ich gefragt, es hat sich aber gezogen … Meine Idee war, an die Ränder dieses Friedens zu gehen, das heißt, zu schauen, wer da nicht oder nur vielleicht hineindarf. In einem Workshop auf Lesbos habe ich im September mit Kindern, die im Lager Kara Tepe leben, gearbeitet, die Zeichnungen, Malereien gemacht haben zum Thema »sicherer Ort« bzw. »Ort, wo man sich wohlfühlt«, also einem Ort, den man nur für sich hat, als eine Art von Frieden. Einige der Bilder sollen über die Gemeinde Erlauf, verteilt in den Gehbereichen, vergrößert mit Straßenmarkierstoff, aufgebracht werden, so dass man täglich daran vorbeikommt. Es soll eine andere Kommunikation sein als in den Nachrichten, aus denen man die Lager kennt und die Situation der Geflüchteten, um diese Unsicherheit und Ortlosigkeit, mit der sie konfrontiert sind, präsent zu machen.

Privater EU-Grenzzaun, Graz, 2020, analoge Fotografie © Catrin Bolt

Wenn ich an Kunst im öffentlichen Raum denke, dann denke ich an zweierlei: Die eine wären diese Irritationen, die dekontextualisieren und Dinge im öffentlichen Raum aushebeln. Und die andere Sparte wäre die, dass man wirklich Kunstwerke im »klassischeren« Sinne einfach in den öffentlichen Raum stellt, wie Bilder, Musik, Text etc. Und da wollte ich dich fragen, gerade weil du vor allem diese erste Sparte, dieser irritierenden, unterbrechenden Öffentlichkeitskunst machst, inwiefern du das Gefühl hast, dass sich in den letzten zwei Jahren auch dadurch, dass wir uns immer mehr ins Private zurückgezogen haben, der öffentliche Raum verändert hat? Oder wie nimmst du das als Künstlerin wahr?

Ich glaube das Problem ist, dass es so schleichend geht. Durch die Subtilität der Vereinnahmung des öffentlichen Raums, fällt uns in unserer alltäglichen Wahrnehmung oft gar nicht auf, dass sich Dinge verändern. Also ich habe den Eindruck, dass durch die Überwachung, die Kameras, durch Dinge wie E-Scooter, bei denen festgestellt werden kann, wo die gefahren sind oder die Handys, wo ja auch feststellbar ist, wo man war, eigentlich immer eine Form von Kontrolle herrscht. Also wie bewegt man sich oder wo bewegt man sich. Es ist vielleicht nicht so bewusst, aber irgendwie ist es einem ja doch bewusst, dass eigentlich feststellbar wäre, wo man grad ist. Und ich meine, dass, wie man geht, dass das wiedererkennbar ist und dadurch nachvollziehbar wird, wo wer geht, ist möglich und bisher wurde halt alles, was möglich ist, auch immer gemacht. Gleichzeitig weiß man nicht, was alles aufgezeichnet wird, was wird ausgewertet, wer wird ausgewertet. Also dieses allumfassende Wissen und das man nicht weiß, was davon genommen wird. Was ist nur abweichendes Verhalten, was ist nimmer erlaubt, also es ist so … verschwimmend, diese Grenze.

Diese Beobachtung habe ich auch gemacht. In letzter Zeit ist mir zu dem Thema viel Hannah Arendt untergekommen. Sie hat geschrieben, dass das Handeln, im Gegensatz zum Herstellen oder Arbeiten, eine menschliche Interaktion ist, die uns im Kern zu politischen Wesen macht und der wir uns nicht entziehen können. Denn in Interaktion steckt ja schon der Andere, ergo das Öffentliche. Unser Handeln im öffentlichen Raum ist politisch. Weil wir uns in Räumen bewegen, wo man nie vollständig diesen Rückzug in sich selbst hat. Aber wie du gerade richtig beschrieben hast, verschwimmen durch diese Tracking-Möglichkeiten und kleinen Mikrowelten, die wir in unseren Taschen herumtragen, diese Grenzen. Es gibt außerdem viele öffentliche Räume, die teilprivatisiert sind, weil sie etwa leichter zu pflegen sind, dann also nur mehr scheinöffentliche Orte sind, wo’s dann wieder problematisch wird, wenn wir uns solche Rechte anschauen, die nur für den öffentlichen Raum gelten, Demonstrationsbestimmungen etc. Und sowas wie Kontrolle – oder eher diese potenzielle Kontrolle wie im digitalen Raum – fällt da genauso in eine Scheinöffentlichkeit hinein.

Ja und ich glaube das Schlimmste ist dieses Nicht-Wissen. Man weiß nicht genau, was wird gesehen und was nicht. Und dann ist es auch noch so ziemlich selbstverständlich, dass vieles an den Rand gedrängt wird. Dass man z. B. in der Pratersternumgebung nicht mehr trinken darf – das geht natürlich auf gewisse Gruppen … und es geht immer auf die Besitzlosen, also eigentlich auf die Gruppen, die eigentlich schon am unteren Ende sind, und die werden immer wieder weiter rausgedrängt von den Zentren. Was etwa auch normal geworden ist, ist, dass Prostitution nicht mehr in Wohngebieten stattfinden darf. Und mir kommt vor, die gesellschaftliche Diskussion darüber findet kaum statt oder ich krieg’s zumindest nicht mit. Also das halt da etwa Prostituierte völlig in Gefahr kommen, weil sie in Randgebieten sein müssen und einfach völlig ungeschützt sind. Das wird dann aber unter dem Nenner Sicherheit gemacht und hat aber mit Sicherheit nichts zu tun. Prostitution ist aber ein Teil unserer Gesellschaft und das ist wieder nur ein Beispiel von etwas, von dem man dann eine Sichtbarkeit verliert, was wiederum viele Personengruppen in Unsicherheit bringt. Das finde ich problematisch und schwierig.

Das ist jetzt eine andere Frage und hat weniger mit der Veränderung des öffentlichen Raums zu tun, sondern mit der generellen öffentlichen »Verschiebung«. Abseits des Faktums, dass so viele Themen, die eh schon davor marginale Aufmerksamkeit bekommen haben, jetzt noch tiefer im Medienloch verschwunden sind: Die Situation hat sich doch auch von der Wahrnehmung jeder*jedes einzelnen zur Stadt, zum Raum sehr stark verändert, aber wie hat sich da dezidiert als Künstlerin dein Zugang dazu verändert: Was sind für dich jetzt relevante Dinge, die dich ansprechen, bewegen? Oder hat sich da überhaupt etwas verschoben?

Ich denk immer nach über Themen, die mich interessieren würden im Stadtraum. Das für mich brennendste Thema sind derzeit die Autos, die überall einen selbstverständlichen Platz haben und die Stadt in Wahrheit völlig zerstören. Weil es schaut einfach katastrophal aus, wenn da alles vollgeparkt ist mit immer größer werdenden SUVs und man kaum mehr zwischen denen durchkommt, wodurch sie einfach so eine starke Präsenz haben, sie einfach immer den Großteil der Straße kriegen und quasi 24 Stunden fahren dürfen und trotzdem laut sind. Und wie sie dabei so eine Selbstverständlichkeit haben, während Leute vorm Lokal nicht reden dürfen ab 22:00 Uhr, aber Autos natürlich weiterfahren können. Also dieses Machtverhältnis finde ich krass. Und da versuche ich immer irgendwie eine Arbeit zu finden, aber da ist mir noch keine wirklich gute Sache eingefallen. Eine gab’s, aber die hat nicht funktioniert und deswegen bin ich immer noch so am Überlegen bei dem Thema. Also welche Rechte oder Nutzungsrechte die öffentlichen Räume haben oder wie sie geteilt sind. Das sprechen meine Arbeiten schon immer an, aber eher so am Rand bzw. nicht so als zentrales Ding. Es ist auch schwierig, weil’s ein so weitläufiges und abstraktes Thema ist. Ich weiß nicht, ob ich so ein Kunstwerk machen kann, dass das leistet. Ich weiß nicht, ob das jetzt passt – was mir nur persönlich aufgefallen ist: Früher, wenn ich heimgekommen bin, war das total selbstverständlich, dass ich zwischen den Autos einfach hinpiss, wenn ich aufs Klo musste, das mach ich jetzt überhaupt nicht mehr. Das ist nicht mehr mein Raum. Aber man merkt das halt nicht direkt.

Südosttangente, Wien Favoriten © Ania Gleich

In den langen Nächten der Philosophie im November gab’s den Vortrag einer Schweizer Theoretikerin, Regula Stämpfli, die mit Douglas Adams ein tolles Bild zu den Autos und der Perfidität dieser Umkehrung von Machtverhältnissen erzählte: Wenn ein Alien mit Mensch-ähnlichen Bewusstseinskapazitäten auf diese Erde kommen würde und keine Ahnung hätte, wie unser Lebenskonzept oder unser Weltkonzept funktioniert, vermutlich missverständlicherweise annehmen müsste, dass die Autos die Krone der Schöpfung sind, weil wir so um diese Dinger herumleben. Also genau, was du vorhin gemeint hast: dass es so selbstverständlich ist, dass diese riesigen Dinge unsere gesamte Aufmerksamkeit bekommen, ob wir’s wollen oder nicht. Wir müssen nicht mal eines besitzen. Sie bekommen einfach selbstverständlicherweise so viel Aufmerksamkeit, weil der Stadtraum auch nach ihnen ausgelegt ist.

Ja, es ist echt wild. das hängt schon echt stark mit unserem System zusammen. Also wer wird da eigentlich bevorteilt und wer nicht und es ist ja arg, wie ja auch einfach die ganzen Straßen ausschauen.

Da haben wir ja am Anfang in der Lockdownsituation auch kurz ganz deutlich gemerkt. Wo’s so still und ausgestorben auf den Straßen war …

… wo man mitten auf der Straße gehen konnte!

Genau! Wo du dir echt gedacht hast: Wow …

… so könnt’s auch sein! Man hätte die Mittel, man hat den öffentlichen Verkehr, es wäre ja nicht notwendig, dass Menschen mit Autos in der Stadt fahren.

Und es gibt ja schon in anderen Ländern so autofreie Tage, die sehr gut funktionieren.

Ich glaub’ auch, wenn’s eine Großstadt gäbe, die sagen würde: Wir haben einfach keine Autos, nur für spezielle Fälle, wäre das ja ein Touristenhit. Und super für die Stadt.

Das passt auch zum Titel unserer skug-Reihe: »Wem gehört die Straße?« Also wir sind mitten im Thema. Die Straße ist de facto öffentlicher Raum, aber eigentlich gehört er den Autos. Das ist das Absurde.

Ich habe letztens etwas transportieren müssen, bin da durch die gesamte Stadt gefahren und habe keine einzige rote Ampel gehabt. Diese Ampeln sind genau nach den Autos geschalten. Wenn ich mit dem Radl fahr’ oder zu Fuß gehe, stehe ich dauernd an irgendeiner roten Ampel, die ganze Zeit, durchgehend. Es ist dann kurz grün oder man muss drücken, man hat nicht selbstverständlich grün, man muss hin und drücken. Warum ist es nicht umgekehrt?

Beziehungsweise bei so Ampeln mit Bewegungsmeldern fällt mir immer auf: Die reagieren ja auch nicht, wenn ich mit dem Fahrrad stehe, da muss ich mich entweder in die »Illegalität« des Fußgängerzebrastreifens begeben oder auf den großen Bruder Auto warten, damit ich passieren darf.

Haha, ja! Es ist einfach alles um die Autos gebaut in Wahrheit.

Wir von skug überlegen ja auch zurzeit, wie oder in welchem Rahmen wir hier mit unserer Veranstaltungsreihe im öffentlichen Raum intervenieren können. Deswegen gebe ich die Frage zurück: Was hast du für Ideen?

Ja das ist immer der schwierige Teil, wie findet man Ideen, die dann auch wirklich funktionieren. Also eine Idee, die dann eben nicht funktioniert hat, wäre so eine große Lavalampe gewesen, kennst du die? Die man im Wohnzimmer hat und die dann so herummäandern. Und eigentlich wollte ich so eine als Skulptur machen, in der Rohöl und Meerwasser drinnen sind. Also diese Kombi, die es leider recht oft gibt, und dass da unten eben ein Licht ist und dass dann so hin und her mäandert. Aber das funktioniert nicht, weil die Stoffe nicht unterschiedlich genug dicht sind. Ich habe Experimente gemacht, aber es schaut einfach nicht gut aus.

Visualisierug der Lavalampe, 2020 © Catrin Bolt

Also es hat nicht konzeptuell nicht funktioniert, sondern einfach nur von der stofflichen Ausführung.

Ja, deswegen überlege ich es jetzt mit Palmöl und Cola zu machen. Aber das ist dann konzeptuell wieder weniger auf die Autos bezogen. Und ich meine, sich so diesen Stadtraum wieder zu nehmen, das können ja auch verschiedene Sachen sein. Also etwa dieses Mahnmal, das ich in Graz gemacht hab.

Kannst du darüber etwas erzählen?

Also es heißt »Alltagsskulpturen-Mahnmal« in Wien und »Lauftext« in Graz. In Graz habe ich es als erstes gemacht. Da sind immer so persönliche Berichte von Zeitzeug*innen, die aus dem Nationalsozialismus erzählen, was ihnen im Stadtraum, an genau den Orten, wo dieser Text dann ist, angetan wurde oder wie sie von Übergriffen entkommen konnten, und es geht in diesen Texten halt eigentlich immer um den Außenraum. Man nimmt schon auch wahr, wie sichtbar, wie laut das war. Also eigentlich, wie dieser Raum auch politisch genutzt wurde. Diese Texte sind aufgetragen auf den Gehwegen und können, während man entlanggeht, gelesen werden. Und man merkt während dem Lesen, worum’s ungefähr geht, also man versteht, dass es im Nationalsozialismus und genau an den Orten passiert ist, wo man gerade entlanggeht. Man nimmt diesen Stadtraum, der oft nur als Verbindung von A nach B wahrgenommen wird, ganz anders und als politischen Raum wahr, oder Raum, wo man auch etwas über die Geschichte erfahren kann. Und dieses Platzieren von dem Mahnmal war natürlich ein gewisser Prozess, weil es mit Genehmigungen zu tun hat, und wurde dadurch immer mehr zu einem »sich einen Raum nehmen«. Das hat eigentlich sehr viel Zeit gebraucht, denn entweder ist es überbordend bürokratisch, oder es ist nicht gewollt.

Lauftext, Graz, 2013/2021, analoge Fotografie © Catrin Bolt

Wenn ich diese Idee kurz weiterspinnen darf: Von vielen Menschen wird der öffentliche Raum nur als ein Von-A-nach-B-Kommen wahrgenommen und das Auto ist eigentlich wie die ideelle und materielle Manifestation dieser Idee, wie man dieses Von-A-nach-B am effizientesten gestalten kann. Das Auto per se nützt den öffentlichen Raum für nichts anderes mehr als das Von-A-nach-B-Kommen. Straßen sind gebaut, damit man von A nach B oder nach C kommt. Aber es ist keine Interaktion mehr. Es hat nichts Menschliches mehr im sozialen Sinne.

Im Auto bleibt man auch in seinem Privatraum, in seiner Blase, und braucht sich nicht mit irgendetwas Anderem auseinandersetzen.

Das ist die perfide Überspitzung dieses Konzepts.

In allen anderen Verkehrsmitteln …

… bist du konfrontiert!

Ja! Man trifft auf andere Leute und ist im öffentlichen Raum und das Auto ist ein davon getrennter, geschützter Raum.

Und es reicht ja als soziale Konfrontation alleine aus, dass man in der U-Bahn fährt. Das gibt einem als Mensch soziales Wissen, das wir sonst nicht hätten. Wenn man die ganze Zeit nur im Auto fährt, hat man das nicht. Der öffentliche Raum als die kurzen Momente des Herausgerissenwerdens aus seinen selbstproduzierten Blasen.

Man hat im Auto auch ständig diese Selbstbestätigung. Dort bleibt man in seinem Privatraum, in seiner Blase. Da hört man dann nur seine Musik und braucht sich nicht mit Anderen auseinandersetzen. Und ich glaube das ist gesellschaftlich problematisch.

Auf was für eine Gesellschaft steuern wir zu, wenn wir uns immer nur mehr auf diese Privatheit zurückziehen?

Auf eine nur mehr sich selbst spiegelnde. Das empfinde ich z. B. auch, wenn man im Zug fährt. Ich kenne das von früher: Wenn man in der Nacht gefahren ist, dann hat man das Licht abdrehen können (welches auch nie so hell wie jetzt war) und man hat eben nach draußen sehen können. Und jetzt, wenn man im Großraumabteil sitzt: Es ist so hell! Man spiegelt sich nur mehr selbst in den Fenstern und wenn man jetzt selbst nicht am Handy oder am Computer ist, dann sieht man nur andere Leute, die am Handy oder Computer sind, oder man sieht sich selbst im Fenster.

Darüber habe ich auch schon sehr oft nachgedacht. Ich habe das Gefühl, viele Institutionen, wenn ich das so pauschal formuliere, gehen immer mehr in die Richtung es dem Individuum so gemütlich wie möglich zu machen in seiner eigenen kleinen Selbstblase, so in der Art. Und der öffentliche Raum, der ist das, was uns das Gegenteil unterrichtet! Und zwar selbstverständlich, ohne dass wir irgendwas machen müssen.

Es ist zudem auch interessant, wie Städte aufgebaut sind, dass diese Altstädte ja viele verwinkelte Gassen haben, wo, wenn dann jemand von außen kommt, sich der gar nicht unbedingt auskennt. Im Gegensatz dazu haben wir dann so reisbrettartige Stadtraster. Und historisch betrachtet: Wenn man jetzt früher so Steuern eintreiben wollte, musste man diese Leute erst mal finden, und wenn ein Steuereintreiber in die Stadt kam und keine Ahnung hatte, wie man da hinfindet, war er aufgeschmissen. Schließlich konstruiert sich ein System, das viel zu unübersichtlich für Außenstehende ist, also z. B. für den Staat.

Was dann von Vorteil für die »gemeine« Bevölkerung ist. Es hat städteplanerisches Widerstandspotenzial. Andererseits hatte ich als zweite Assoziation, dass ich nie darüber nachgedacht habe, inwiefern die österreichische Bürokratie vielleicht auf den architektonischen Prinzipien des 19. Jahrhunderts fußt, so verwinkelt wie sie ist.

Haha, genau – da könntest du einen Punkt haben.

Die österreichische Bürokratie ist, in einem positiven Licht und sehr ironisch betrachtet, also die rebellische Antithese zu einer Reisnagelbrettbürokratie!

Aber ich glaub auch, dass man immer entweder die Karte der Realität oder die Realität selbst einfacher machen kann, um einen Überblick darüber zu bekommen. Also diese Altstädte zu schleifen, ist schon immer von Machthabern eine Strategie. Man schaut sich nur an: Wenn’s um Olympiaaustragungen geht, dann werden auch immer diese verwinkelten Dinger geschliffen und viel übersichtlicher gemacht. Gleichzeitig macht’s dieses Reisbrettsystem auch viel leichter, um mit einer Armee durchzugehen.

Ich war im Sommer in Warschau und habe das dort spannend gefunden, wie der von Stalin errichtete Kulturpalast in der Mitte der Stadt etwas Panoptisches hat. Der war auch so konzipiert, dass man von überall in der Stadt diesen Turm sehen kann und dass die Straßen, ähnlich wie in Manhattan, ganz brav rastermäßig um diesen Turm sich über die gesamte Stadt wie in konzentrischen Quadraten ausbreiten. Und du warst lustigerweise als Außenstehende zuerst auch etwas verwirrt, wenn auch auf eine andere Art und Weise – denn die Straßen schauen alle so ähnlich aus. Andererseits ist es auch spannend, dass dieses monumentale Ding so ein Beobachtungsinstanz ist. Die Potenzialität der Beobachtung. Überall in der Stadt.

Kulturpalast, Warschau © Ania Gleich

Es hat auch was von diesen französischen Gärten, wie Versailles. Das wird immer als so herrschaftlich schön empfunden, aber …

… es ist Herrschaft, ganz einfach!

Genau!

Mich würde auch interessieren, nachdem du ja in mehreren (Bundes-)Ländern gearbeitet hast, ob du da Unterschiede gemerkt hast, was den öffentlichen Raum betrifft. Du hast vorher von Graz und Wien geredet, etwa auch in der Konfrontation von den Menschen her, die im öffentlichen Raum sich bewegen, aber was sind auf der anderen Seite auch die Bedingungen, mit denen du konfrontiert warst?

In Graz ist die Situation, wenn man mit dem Radl fährt, wieder ganz anders. Also ein Freund von mir, der so ein Verfechter vom Radfahren ist, der erzählt immer von dem Bürgermeister, der in den Achtziger-Jahren die Radwege voll vorangetrieben hat, der dann aber früh gestorben ist und seitdem ist nix mehr passiert. Deswegen gibt’s dort halt nur so ein paar Radwege. Und dadurch ist es eigentlich ziemlich schlecht, wo es doch einmal ziemlich gut war. Der öffentliche Verkehr ist ziemlich oft ziemlich benachteiligt in vielen Landeshauptstädten, also Klagenfurt, Graz … das ist alles fürchterlich.

Zu etwas ein bisschen Anderem, aber: Kannst du ein, zwei Projekte von dir nennen, von denen du meinst, dass sie am meisten Aufruhr erzeugt haben?

Ich habe dieses »Statuen-Umarmen« gemacht, das ist halt ein ganz altes Projekt. Das habe ich in Kärnten begonnen. Da gab es ja diesen Abwehrkampf und aufgrund dessen sind dort viele sehr militante Statuen und die werden wie Heiligtümer wahrgenommen. Und ich bin da eben zu diesen Statuen rauf gegangen und habe sexuelle Szenen draus gemacht, mit mir und der Statue, und dadurch die Bedeutung oder die Aussage natürlich verdreht. Das hat schon provoziert. Aber das was natürlich immer nur ein kurzer Moment und diese Fotos wurden dann tatsächlich eher im Kunstkontext ausgestellt. Aber im Prinzip war das schon eine arge Intervention für die Leute vor Ort. Und der »Lauftext« in Graz. Das war 2013 extrem schwierig umzusetzen, weil es von dem Straßenamt so viel Widerstand gab, das war noch unter der FPÖ damals. Das war für die Genehmigung katastrophal schwierig und auch bei der Umsetzung waren die Leute damals auch ziemlich angriffig. Es war eher zweigeteilt. Entweder sehr begeistert oder sehr verärgert drüber, dass das da hinkommt.

Statuen-Umarmen, 1999–2001 © Catrin Bolt

Diese Frage der Statuen als unhinterfragte Monumente der Vergangenheit hat ja auch in den letzten zwei Jahren sehr viel Aufruhr erzeugt …

… weil die die Orte so prägen, und dadurch auch wieder so eine Selbstverständlichkeit haben, dass sie da sind. Gleichzeitig haben sie eine gewisse Aussage. Aber da geht dann halt wieder irrsinnig viel über Ämter, mit Genehmigungen.

Da wäre wieder die verwinkelte Bürokratie!

Also gewisse Dinge sind einfach umzusetzen, vergleichsweise zu Anderen. Ich weiß es halt von meinen Sachen. Ich versuche etwa diesen privaten EU-Grenzzaun in Kärnten zu machen, und das seit zwei Jahren. Ich hätte einen Ort, also jemand, der das haben möchte, und die Gemeinde sagt mir: Sie wissen nicht, in welche Abteilung sie’s geben sollen, deshalb kann ich nicht ansuchen. Und das ist Status quo. Also ich frag’ dann halt immer wieder und sie sagen mir immer, dass sie nicht wissen, wo ich ansuchen kann. Und jetzt mach ich’s halt in einer anderen Gemeinde, bei wem Anderen, damit ich ersterer Gemeinde sagen kann: Diese Abteilung ist für die Genehmigung zuständig.

Ja, Exempel zu statuieren ist besonders wichtig.

Ja und das macht’s natürlich für mich weitaus aufwendiger. Aber diese Arbeit ist einfach nicht sichtbar. Und andere Dinge, wie Tafeln, also irgendwelche eher konventionellen Sachen, die auch oft einen konventionellen Hintergrund und Wert haben, sind viel einfacher umzusetzen. So von Heimatvereinen oder sowas. Das geht vielen Künstler*innen so und ich bleib’ dann halt immer irgendwie dahinter. Aber das muss man mal zwei Jahre lang durchziehen, dass man das immer wieder an der Backe hat und immer wieder das gleiche Problem. Aber vieles habe ich natürlich auch nicht geschafft.

Das führt mich zu einem meiner letzten Themen: Was funktioniert und was funktioniert nicht im öffentlichen Raum, allgemein gesprochen? Ich bekomme immer zu hören, dass die Maschen immer enger geschnürt wurden, was Ansuchen und Anrainergeschichten betrifft. Vor allem, wenn man draußen arbeiten will, weil man immer fünf verschiedene Stellen fragen muss, ob das geht, und dass das früher wohl einfacher gewesen zu sein scheint. Aber überhaupt das ganze System dahingehend immer mehr auf die Macht des Einzelnen und die Besitzenden hin geschnitten wird. Weil die Einzelbeschwerden viel größeres Gehör bekommen, ohne sie genau zu hinterfragen. Wenn sich eine Person über Lärm beschwert, beispielsweise. Hast du ähnliche Erfahrungen?

Ja und das dreht’s wirklich in eine gewisse Richtung, das kann ich mir vorstellen. Ich weiß nur: Wenn man schon wen kennt von einem Amt, dann hat man’s schon viel leichter. Also je älter ich werde, desto leichter wird’s für mich. Weil früher habe ich nicht gewusst, wo ich anrufen soll. Jetzt habe ich schon mal so eine Startposition, wo ich sagen kann: Ich frag halt den mal. Und das ist, finde ich, schon mal gut. Ich glaube, was besser funktionieren würde, ist, wenn diese Institute wie »Kunst im öffentlichen Raum«, was sie zum Teil machen, zum Teil auch nicht machen, wenn die da stärkere Unterstützung geben würden. Weil wenn ich als Künstlerin, egal ob jetzt bei einem Amt oder bei einer Firma anfrage, werde ich ganz anders wahrgenommen, als wenn eine Institution anfragt, oder etwas, was man kennt. Also wenn jetzt skug anfragt etwa, statt einer Einzelperson. Bei mir schütteln sie als erstes Mal sicher den Kopf und ich muss dann halt durchbeißen. Das Institut für Kunst im öffentlichen Raum hat viel mehr Selbstverständlichkeit. Niederösterreich ist da ziemlich gut. Aber manche Bundesländer machen’s ned und überlassen es den Künstler*innen. Dadurch ist schon mal die Anfangsschwierigkeiten sehr abschreckend.

Dabei gälte es ja, diese aufzubrechen. Weil wenn sich diese Strukturen nicht verändern, dann merkt man einfach nur, wo die Mentalitätsprioritäten sind.

Aber es kann auch in eine gewissen Dissonanz gehen: Etwa wie in Amerika, das zwar in vielerlei Hinsicht »progressiv« ist, aber wo alles in Richtung dieses Privaten geht. Ich glaube, es kann in die und die Richtung weitergehen, aber ich denke, je mehr man versucht zu machen, desto besser wird’s und desto selbstverständlicher wird’s. Und ich denke mir, dass so Sachen, die permanent bleiben können, immer wichtig sind. Aber es wird auch immer schwieriger, eine permanente Genehmigung zu bekommen. Ich habe ja z. B. in Graz diesen Lauftext erneuert und da krieg’ ich auch nur für drei Jahre die Genehmigung. Aber es ist so umgesetzt, dass es länger bleiben kann.

Man muss also einfach die richtigen Interventionen setzen, damit der Abbau zu umständlich wird, haha. Es geht immer um Geld.

Vielleicht wird’s auch vergessen. In Wien ist die Genehmigung auch nur für ein Jahr, aber es ist eben eine rein bürokratische Sache und allen egal. Es bleibt einfach. Ich habe nicht das Problem, es wegnehmen zu müssen, aber es war natürlich ein gewisses Risiko für mich, ob ich das jetzt wegtun muss, und ich glaub’, dass diese kurzen Interventionen auch irgendwie gut sind, aber sie haben ja auch viel weniger Effekt.

Statuen-Umarmen, 1999–2001 © Catrin Bolt

Das ist halt das Ding im öffentlichen Raum. Er bleibt bestehen.

Man muss ihn immer wieder erkämpfen.

Genau, man kann ihn kurz irritieren, aber das ist halt oft morgen schon vergessen.

Das Bleibende sind halt auch immer diese klassischen Materialien. So eine Bronzeskulptur oder so, das ist ein Material, das bleibt, aber es ist schwierig, etwas in solchem Material umzusetzen, was einen anderen Zugang eröffnet. Insofern ist es in mehreren Hinsichten schwierig.

Und man muss auch bedenken: Das menschliche Gehirn ist etwas, das eine gewisse Routine braucht, um Handlungsmuster zu verändern. Und wenn ich zu meiner Hannah-Arendt-Ausführung von vorher zurückkehre: Nachdem das Handeln im öffentlichen Raum immer ein politisches Handeln ist, gälte es gerade dort das Handeln nachhaltiger zu machen und Menschen anzuregen, irritiert zu werden und sich Gedanken zu machen über Themen, die vielleicht nicht so selbstverständlich für immer da und immer sichtbar sind. Dann braucht das Gehirn halt eine Weile, um neue Handlungsmuster oder Gedankenmuster zuzulassen. Um das Beispiel des Denkmals nochmal zu nehmen: Wenn man eine permanente Umgestaltung eines Denkmals macht, die völlig anders ausschaut oder dekonstruiert, dann gewöhnt man sich nach zwei, drei Monaten daran, dass das so ist, und hat dann plötzlich eine neue Realität.

Das stimmt – das macht dann wieder was. Es macht etwas Anderes, wenn’s nur kurz da ist. Denn dann ist die gewohnte Selbstverständlichkeit kurz danach wieder hergestellt. Deswegen finde ich diese permanenten Interventionen auch so wichtig und vor allem Sachen, wo man nicht wissen muss, was das ist, sondern wo man versteht, was ist!

Das ist ein wichtiger Gedanke: Es muss einfach …

… sichtbar verständlich sein! Und nicht erst, wenn man auf einer Tafel liest, wie es zu verstehen sein soll. Denn es sind ja ganz viele Sachen so eher symbolisch, wo man sich eigentlich erst damit beschäftigen müsste, damit man weiß, was gemeint ist. Das würde ich für mich nicht so machen wollen.

Vor allem, wenn unsere gesamte Gesellschaft den öffentlichen Raum so handhabt, dass man ihn nur von A nach B definiert. Da muss zumindest auf diesem Weg von A nach B …

… irgendwas passieren!

Abschlussfrage: Wem sollte denn die Straße gehören?

Ich finde so ein geteiltes Prinzip schon vorerst mal interessant. Diese »shared spaces«. Die sind auch sehr diskutiert, aber aus dem jetzigen System heraus spannend, weil’s da unseren Umgang mit öffentlichem Raum am meisten in Frage stellt. Denn reine Fußgängerzonen sind ja immer irgendwelche abgeschlossenen Bereiche. Also ich denke schon, dass der Außenraum immer öffentlicher Raum bleiben soll, und das heißt, für mich sollten möglichst schnell die Autos weg. Ich glaube auch, dass das durchaus realistisch ist. Das fände ich jetzt so das Wichtigste grad und auch, dass es weniger Regelungen gibt, was man darf und was nicht. Und dass die Dinge im öffentlichen Raum auch besser nutzbar sind. Dass die Bänke nicht so gestaltet werden, dass man sich nicht hinlegen kann, etwa. Also diese Einzelsitzbänke sind eine absolute Katastrophe. Und, dass es bewegliche Infrastruktur gibt, also auch bewegliche Bänke. Dass es überhaupt einfach auch viel mehr Nutzungsmöglichkeiten, viel mehr Plätze gibt, die man auf verschiedene Arten nutzen kann. Und die jede*r niederschwellig nutzen kann.

Das klingt nach einer sehr komplexen Vision aber schauen wir mal, was davon geschehen wird! Vielen Dank auf jeden Fall für deine Zeit!

Ich danke dir!

Catrin Bolt © Edith Payer

Link: http://www.catrinbolt.at/

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