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Bondage Belly Dance

Die USA werden bald offiziell keine Demokratie mehr sein. Zuvor wird aber noch von Shakira und Jennifer Lopez auf der Super Bowl Halftime Show das Tanzbein geschwungen, um irgendwie emanzipatorische Reste zu bewahren.

Die Super Bowl Halftime Show des Jahres 2020 war eine Katastrophe. Langweiliger ist kaum möglich. Der ganze Kram sah ein bisschen aus wie Wasserballett ohne Wasser. Das dauernde und seltsam effektlose Herumgetanze schien inszenatorischen Ideen zu folgen, die aus dem DDR-Fernsehen stammen. Aber das ist vielleicht auch alles schon längst herzlich egal. Vielleicht gibt es einen verborgenen Grund, warum das Spektakel diesmal so vollkommen humorlos abgearbeitet wurde. Seit einigen Jahren schreibt skug über die Halftime-Show, weil sich etwas über die Verfasstheit der USA darin zeigt. Künstlerisch, aber vor allem politisch.

Stubenfliegen-Hopsasa
Wegen der Kunst braucht es dieses Jahr eigentlich keinen Artikel. Es gab in der Show keine einzige zündende Idee. Die Dauer der Songs wurde nochmals runtergefahren und die einzelnen Nummern erreichen nun kaum mehr die 30-Sekunden-Marke. Es ist schwer, so noch irgendeine Dramaturgie aufzubauen. Die Show gleicht dem Versuch, Handywischen zu imitieren. Hey, war das gerade Led Zeppelin? Ja, ein paar Akkorde »Kashmir«. Irgendwer hatte ja auch eine E-Gitarre dabei. Dann die Ethno-Nummern: arabische Klänge (Shakiras Papa ist ja auch libanesischer Herkunft), bisschen Bauchtanz mit Bondage, west-afrikanische Rhythmen und so weiter, wisch, wisch, wisch. Es mag sein, das dauert jeweils eine Ewigkeit für Stubenfliegen, für menschliche Auffassungsgabe müsste dann irgendwann einmal der Moment erreicht sein, in dem alles eine Soße unzusammenhängender Reize ist. Unterm Strich vertrauen weder Shakira noch Jennifer Lopez ihrem eigenen musikalischen Material und so entsteht ein lustlos-konfuser Mix aus tausenden Covers.

War da noch was contentmäßig? HipHop-Einsprengsel, bisschen Popschiklopfen und eh klar, meine Lenden brennen. Deine auch? Die Frauen dürfen ihre fraglosen emanzipatorischen Erfolge in knappen Badeanzügen feiern, die Rapper tragen hingegen Pulli. Ganz sind wir noch nicht equal, was Bodypolitics betrifft. Die beiden Frauen sind sehr erfolgreiche Managerinnen und sie schaffen es ihren eigenen Weg nach Vorgabe der Kapitalverwertung zu gehen und das ist natürlich beachtlich. Diese zwingt sie eben dazu, mindestens vier Stunden am Tag im Fitnessstudio zu verbringen. Aber hey, Mick Jagger trinkt seit Jahrzehnten keinen Alkohol mehr, denn Sänger*innen müssen eben fit bleiben.

Gibt es noch eine ästhetisch-moralische Botschaft neben dem Herzeigen makelloser Gliedmaßen, die niemals altern? J-Lo hat übrigens ihr Gesäß versichern lassen. Jede Backe einzeln mit Millionen-Policen. Der Satz: »Rettet meinen Arsch« bekommt hier eine neue, kommerzielle Bedeutung. Nee, es geht nicht nur um Sex, es wird sich auch in die US-amerikanische Flagge gehüllt und ein Kind singt kurz »Born in the USA«. Und an dieser Stelle entwickelt der lahme Auftritt seine gewisse Brisanz.

Sind sie auch von hier?
Die Brisanz liegt darin – so am Allerwertesten sind die USA mittlerweile –, dass Shakira und J-Lo Latinas sind. Sie haben den Sprung über die Mauer geschafft und wollen zeigen, wie wertvoll und wichtig die lateinamerikanischen Kulturen für die USA sind. Es ist nur leider eben eine Affenschande, dass sie dies überhaupt hervorheben müssen. Allerdings, was bleibt den beiden übrig? Sie singen spanisch und lassen spanisch rappen. Sie erlauben sich kleine Hinweise. (Ist das Bondage-Seil nicht nur ein Sextoy, sondern deutet politische Knebelung an?) Sie zeigen zumindest in ihrem Potpourri, dass alle Musik, sei sie populär oder ernst, synkretistisch ist.

Die Einflüsse werden dabei aus allen Teilen der Welt eingesammelt und neu kombiniert. Was ist nochmal schlecht daran, Mr President? Warum sind Teile der Weltbevölkerung gefährlich, unfähig und leben in »Scheißlöchern«? Es ist letztlich unglaublich, dass der Empowering-Pop der beiden Latinas heute um solche Basics kämpfen muss. Subtext: Lieber Donni, ist es auch okay für dich, dass wir hier sind? Vielleicht ist darum zu bitten schon ein bisschen viel verlangt für Frauen, die in der Bronx geboren sind bzw. deren Vater aus New York stammt. Alle Errungenschaften der Gleichberechtigung von Menschen mit den unterschiedlichsten kulturellen Hintergründen sind in den USA jetzt auf dem nationalistischen Prüfstand. Am Tag nach dem Super Bowl verschärft die US-Regierung erneut die Einreisebestimmungen. »Thank you so much!«, ruft J-Lo am Ende. Sie sieht genervt und fertig aus. Wird vielleicht nicht nur das Rumgehoppse gewesen sein, das sie so schlaucht und ihr das gezwungene Profi-Popdiva-Lächeln raubt.

Kleines Detail am Schluss: Warum sind eigentlich die USA bald keine Demokratie mehr? Im amerikanischen Senat findet gerade das Impeachment-Hearing von Donald Trump statt. Nachdem das Repräsentantenhaus sein Misstrauen ausgesprochen hat, kann aber erst der Senat Trump seines Amtes entheben. Die Beweislast gegen Trump ist erdrückend und es lässt sich mit großer Sicherheit sagen, dass er sein Amt zur persönlichen Vorteilnahme missbraucht hat. Sein Verteidiger sagt nun aber, wenn ein Präsident für den eigenen Vorteil handelt, dann handelt er damit immer auch zum Wohle des Staates. Zeugen, die die Straftaten Trumps belegen könnten, werden nicht gehört, denn per dieser Definition kann der Präsident ohnehin keine Straftaten begehen. Am Mittwoch werden die Senatoren, mit republikanischer Mehrheit, dieser Argumentation wohl folgen und das amerikanische Demos seiner Mitsprache entbinden. Trump ist dann offiziell Diktator und Anführer einer Oligarchie, für die die Gesetze des Staates nicht mehr gelten. Ob lediglich Diktator auf Zeit, wird sich im November zeigen.

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