Panda Bear & Sonic Boom © Johanna Lamprecht
Panda Bear & Sonic Boom © Johanna Lamprecht

And the beat goes on!

Spurenlos konnte die Zeitenwende nicht an der heurigen Elevate-Ausgabe vorbeigehen. Neben dem Diskursprogramm, wo Slavoj Žižek einiges zurechtrückte, überzeugten Nyege-Nyege-Acts, Caterina Barbieri, Sonic Boom, Panda Bear und teilweise Soundinstallationen von Andreas Trobollowitsch.

Auch wenn Krieg ist, Hedonismus lässt sich das Grazer Elevate Festival nach den Corona-Stillständen nicht nehmen. Die auch bei Kapazundern vom Format eines Luke Slater sich ausbreitende Einförmigkeit des 4-to-the-floor-Beats wird im Dom im Berg oft nur im Vorbeigehen konsultiert, die Aufmerksamkeit gilt lieber der Labelplattform Nyege Nyege aus Kampala, Uganda. Kiki Hitomi von WaqWaqKingdom schreit sich förmlich die Seele aus dem Leib, zu mächtigen Dubstep-Bässen und Breakcore-Brettern. Diese räudigen Sounds, wo besonders fiese Bässe Schlackern in den Ohren verursachen, dürften dem kleinen, bunkermäßigen Langsaal namens Tunnel geschuldet sein. Schärfer eingestellt ist der Sound bei Brian Bamanya alias Afrorack, der mit Modular Synths der Marke Eigenbau hext. Ein Genuss, der Vorfreude auf die Nyege-Nyege-Interviews von Chris Hessle macht, deren Verschriftlichung für skug noch einige Zeit in Anspruch nehmen wird. Offenbarungen auf ihre jeweilige Art bieten die Headliner im Orpheum, am Freitag ist das Caterina Barbieri mit einem ausufernd klangmalerischen Synthesizer-Konzert, wo die Italienerin alle Register ihres Könnens zieht. Fast zu schön und noch ein Anlass für ein Gespräch, das in einiger Zeit bei skug zu lesen sein wird. 

Afrorack © Clara Wildberger

Die Bestuhlung wurde am Samstag dann endlich verräumt, denn Panda Bear & Sonic Boom lassen auch nachts die Sonne scheinen. Zu farbenspühenden Visuals mit Überdrüber-Gute-Laune-Sounds. Die helle Stimme des Animal-Collective-Musikers Noah Lennox aka Panda Bear und die Brummbär-Vocals der ehemaligen Spacemen-3-Hälfte Peter Kember aka Sonic Boom ergänzen sich wundervoll bei hartem String-Anschlag. Hauptingredienzien dieser tollen, zur Ekstase neigenden Musik sind massig Samples aus Doowop-Songs bis Surfsounds Ende der 1950er-, Anfang der 1960er-Jahre, als es das Zukunftsversprechen auf eine bessere Welt noch gab. Damit ist es endgültig vorbei, hier die rührenden Zeilen aus ihrem Schlüssel-Song »Everything’s Been Leading To This« aus dem Album »Reset«: »Well, times are tough / And the draw is raw / We’re skiddin’ thru / A closin’ door / Got somethin’ to tell you that / I can’t resist / Everything’s been leading to this«.

Doch widmet sich Elevate durchaus auch experimentellen Sounds, etwa am Samstag im Orpheum Extra, wo neben den bereits bewährten PLF Reza Kellner gefällt, der Field Recordings mit digitalen Sounds zu immersiv minimalistischen Sounds vermengt. Auch der Kurzfilm »Pflügl« wird dort gezeigt: Ein Traktor ackert mit einem angehängten Klavier, was ein Klangwerk der Zerstörung evoziert. Urheber ist Andreas Trobollowitsch, der im Forum Stadtpark eine Art eiernde Minimal Music gebiert. Die zu gewissen Zeiten eingeschaltete Klanginstallation »hybrid #1« braucht keine Lautsprecherboxen, die Töne werden generiert, indem über sechs Flöten, an deren Enden je zwei weiße Ballons angebracht sind, Luft ausströmt. Leichte Manipulationen des Luftzuflusses der scheinbar auf einem selbstgebauten Plattenspieler rotierenden Ballons bewirken ein stetes, erhabenes Rauschen. In einer visuellen Imagination taucht eine Fata Morgana tanzender Derwische vor dem geistigen Auge auf. Vis-a-vis, vor dem Entree, hielten beim Opening zwei Eisskulpturen Drumsticks, von denen auf die Snaredrum Schmelzwasser tröpfelte. Mit Trobollotwitschs »melt in peace / when the music’s over« ist es am Samstag schon vorbei, doch die von Antti Pedrozo gehauenen Eismenschen fungieren eine Weile weiterhin als eine nette Intervention im öffentlichen Raum, die allerdings als Sinnbild für den Klimawandel wenig taugt.

Andreas Trobollowitsch »hybrid #1« © Philipp Bohar

»(Unlikely) Alliances«

Unwahrscheinliche Allianzen in der Zivilgesellschaft bilden das diesjährige Leitthema, das am Samstag lokaler Partizipation und globaler Machtpolitik gewidmet ist. Im Panel über lokale Teilhabe gibt es Einblick in das Vorantreiben von erneuerbaren Energieformen in der Steiermark. Diese gelingt zufriedenstellend, besonders im näher beleuchteten Bereich Photovoltaik. Jedoch müssen Stimmen aus dem Publikum darauf hinweisen, dass die Industriepolitik der EU komplett versagt hat. Es besteht eine viel zu große Abhängigkeit von chinesischen Lieferanten. Ein Südwind-Mitarbeiter verweist noch stärker darauf, dass bei der Extraktion von für die Energiewende notwendigem Lithium und seltenen Erden die Menschenrechte von Indigenen und Anwohnern massiv missachtet werden und ökologische Verwüstungen von Bergbaukonzernen keineswegs mit Ausgleichszahlungen kompensiert werden. Auch die Anregung, Energieeinsparung zu attraktivieren, kam nicht vom Podium, sondern von einer Diskutantin. 

Spannender ist die abschließende Podiumsdiskussion zum Thema »Machiavellis Schatten – die dunklen Seiten von Macht und Geopolitik«. Die Philosophin Lisz Hirn, Autorin von »Macht Politik böse?«, plädiert für eine strenge Regulierung der Tech-Konzerne, weil Social Media die Demokratie in hohem Ausmaß unterhöhlt. Raimund Löw, ehemals ORF-Korrespondent in den politischen Machtzentren Moskau, Peking, Washington und Brüssel, erwähnt die verpasste Chance eines NATO-Beitritts von Russland und die Gefahren in einer nunmehr multipolaren Welt. Moderator Jakob Winter und Katharina Zwins, beide Journalist*innen beim »Profil« und Mitbegründer*innen der Fact-Checking-Plattform »Faktiv«, bringen Beispiele aus der korrumpierten Medien- und Innenpolitik und alle sind sich einig, dass unter der ersten Regierung Kurz die Demokratie ernsthaft in Gefahr war, in eine Autokratie wie Ungarn oder Polen abzubiegen. 

»Machiavellis Schatten« © Lea Blagojević

Enttäuschend ist, dass auf die gezielt herbeigeführte Verarmung des Öffentlich-Rechtlichen – als Instanz gegen die ihre eigenen Interessen wahrnehmenden privaten Medien – kaum eingegangen wird. Und darauf, dass das neoliberale Dogma keineswegs überwunden ist. Weltweit gibt es nur noch 15 % den Staaten und damit indirekt der Bevölkerung gehörendes Kapital, 85 % sind in privater Hand, womit offenkundig ist, dass dieses Auseinanderklaffen dazu führt, dass es immer weniger Demokratien gibt und damit der Widerstand gegen die Faschisierung von Gesellschaften und Beibehaltung fossiler Industrien immer schwieriger wird. Grünes Schrumpfen statt Ökokapitalimus: Fehlanzeige. Insofern liegt die Wahrheit leider eher bei Slavoj Žižek, so problematisch Manches bei ihm ist: »Ony A catastrophe can save us« titelt sein Vortrag im ausverkauften Orpheum. 

»Neptune Frost«

Die freitäglichen Panels zu digitaler Arbeit, Technologien und Grundrechte konnte der Rezensent aufgrund verspäteter Anreise nicht wahrnehmen, der Abschlussfilm zum Thema zählt allerdings zu einem der Höhepunkte von Elevate 2023. Saul Williams und Anisia Uzeyman exportieren mit »Neptune Frost« Afrofuturismus aus den USA in die Umgebung einer Coltan-Mine in Burundi. Bewaffnete Soldaten eines Warlords sorgen dafür, dass keiner der Arbeiter*innen, die im Ballett schürfen, fliehen kann. Einer davon, der ein Mineral zu lange gen Himmel hält, wird mit einem Maschinengewehr zu Tode gestoßen. Die Choreographie in diesem Sci-Fi-Punk-Musical ist wohlkalkuliert und der harte Saul-Williams-Sound verleiht zusätzlich Flügel. Ein Hacker-Kollektiv agiert von seinem Lager, das mit Elektroschrott bizarr aufgerüstet scheint, aus gegen diese neokoloniale Ausbeutung. Selbstermächtigung ist ein zentraler Plot, die Technologie dient dazu, dem Schicksal entrinnen zu können. Kosmische Kräfte tun ihre Wirkung: Eine intersexuelle Frau und ein Mineur gehen eine Liaison ein, was zur Störung eines vorbestimmten göttlichen Kreislaufs führt. Realität und Traumwelt kollidieren in ein prächtiges Fantasma.

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