Es ist nicht ganz einfach, über das bevorstehende Ende der Welt zu schreiben. Hätte sich das Elevate-Festival vor zehn oder fünfzehn Jahren das Festival-Motto »Human Nature« gegeben, wäre dies eine müde, akademische Spekulation gewesen: »Was aber also dann, ist es, das Wesen der menschlichen Natur?« Der Fragesatz wäre noch nicht ganz verklungen und schon wären die ersten zwei Sitzreihen eingeschlafen gewesen. Heute hingegen scheint in dieser Frage ein kaum zu leugnendes Feuer zu liegen. Zeigt sich das Wesen menschlicher Zivilisation in ihrem Ende? War alles ein gewissenloses Aufhäufen und besoffenes Ausbeuten, das nun tatsächlich seine schreckliche Rechnung präsentiert bekommt? Und: Kann man das einfach so mal hinschreiben? Ist diese Annahme nicht für jeden Bericht viel zu groß? Journalist*innen scheinen sich hier seltsam zu überheben. Das Thema kann folglich kaum behandelt werden, ohne dass die Emotionen im Publikum hochgehen. Sei es, weil der schreckliche »Alarmismus« und die Übertreibungen nicht auszuhalten sind, sei es, weil noch immer kalmiert würde, denn jetzt müsse doch endlich einmal etwas getan werden!
Es sieht nicht gut aus
Tatsächlich scheint sich die Situation zuzuspitzen. Seit den 1960er-Jahren wurde die Aufheizung der Erdatmosphäre durch vermehrten CO2-Ausstoß intensiv beforscht. Pikanterweise taten dies auch früh mit eigenen Studien Erdölkonzerne wie Exxon. Wer heute die Studien der 1980er-Jahre durchblättert, findet unheimlich genaue Vorhersagen für das Wetter im Jahr 2019. Die Entwicklung der Computertechnologie half, große Modelle zu berechnen, die sich später als zutreffend erwiesen. Folgt man dem Verlauf der Kurvendiagramme bis in die nahe Zukunft des Jahres 2050, dann ist dies schlicht schockierend. Die Welt im Klimawandel würde ungeheure Anpassungen verlangen, sofern diese überhaupt noch möglich sind. Wenn diese vorhersehbare Katastrophe aufgehalten oder zumindest gemildert werden soll, dann müsste augenblich eine Anstrengung unternommen werden, die es in dieser Form noch nie gegeben hat. Um dies zu konkretisieren: Nach dem Fall der Mauer wurde die gesamte (schmutzige) Schwerindustrie der DDR außer Dienst genommen. Weniger aufgrund von Umweltaspekten, sondern weil die Konkurrenz der West-Industrie beseitigt werden sollte. Die damaligen Einsparungen an CO2-Ausstoß waren historisch einmalig. Ungefähr die doppelte Einsparung müsste die Bundesrepublik Deutschland heute erreichen – jährlich, eine Dekade lang. Was hingegen geschieht, ist, dass der CO2-Ausstoß Jahr für Jahr schneller wächst. Die Hälfte des durch die Industrialisierung bedingten Gesamtausstoßes geschah in den letzten 25 Jahren.
Die große Politik zeigt sich in dieser Situation komplett überfordert. Angela Merkel meinte jüngst, die Folgen des Klimawandels kämen jetzt doch schneller als erwartet. Womit die Politik der »Klimakanzlerin« exzellent zusammengefasst wäre. Wer kann schon von einer studierten Physikerin, die bereits im Kabinett Helmut Kohls Bundesumweltministerin war, erwarten, dass sie Studien zum Klimawandel liest? In Österreich ist die Situation trotz grüner Regierungsbeteiligung kaum besser. Es wäre zu wünschen, dass man sich wenigstens entblöden würde, von Dingen wie dem »grünen Wachstum« und ähnlichen Luftspiegelungen zu reden. Selbst die Einführung einer ökologischen Lenkungssteuer (die der mächtige Koalitionspartner ohnehin nicht will) würde die grundsätzlichen Widersprüche einer Ökonomie nicht lösen, die auf unaufhörliches Wirtschaftswachstum, dem Erobern neuer Märkte und damit der unausweichlichen Steigerung des Energieverbrauchs basiert. Der »grüne« Umbau der Industrie ersetzt lediglich Pestilenz mit Cholera. Beispielsweise erweitern die sich nun einer gewisser Popularität erfreuenden Elektroautos den noch immer wachsenden Berg an Neufahrzeugen in Österreich und lösen kaum ein Umweltproblem, weil sie im Platzverbrauch und im Ressourcenverbrauch bei der Herstellung genau gleich sind wie Fahrzeuge mit Verbrennungsmotor. Die ungelösten Probleme der Batterieentsorgung und des zusätzlichen Bedarfs an Stromerzeugung kommen bei dieser »ökologischen Lösung« noch hinzu.
Der Blick vom Spielfeldrand
Die Reaktion auf diese Lage sind Fatalismus, wütende Leugnung oder übersteigerte Selbstbezichtigungen und ziellose Hyperaktivität. Halt! Genau diese soeben routiniert abgelieferte Analyse ist so ermüdend und austauschbar. Wer hat nicht schon tausendfach eben diese Lagebeschreibung gelesen? Ein herrlicher Überblick, der der skug-Redaktion erlaubt, sich herauszunehmen und als eine Gruppe von »wise guys« am Spielfeldrand zu stehen. Es ist nicht sonderlich schwer, die Zusammenhänge von Politik, Ökonomie und Ökologie zu begreifen und darzustellen. Schwer ist hingegen, zu verstehen, wie damit umgegangen wird. Vieles scheint tatsächlich nicht fassbar zu sein, weil die Welt droht, sich in eine Karikatur zu verwandeln. Haben sich die Skiorte in Österreich und ihre Besucher*innen tatsächlich einfach daran gewöhnt, dass kein Schnee mehr fällt? Ist Rutschen über schmale Kunstschneespuren im grün-braunen Dauerfrühling jetzt einfach das »new normal«? Noch schwerer ist es, aufzuzeigen, welche Reaktionen angemessen und sinnvoll wären.
Die letzten Jahre haben aber nicht nur Hiobsbotschaften gebracht, sie haben auch zu einer globalen und mächtigen neuen Umweltbewegung geführt. Klimaaktivist*innen wollen sich nicht mit der scheinbar unabwendbaren Katastrophe abfinden. Die alternativen Medien stehen durch sie vor einem gewissen Darstellungsproblem. Wenn eine solidarische Berichterstattung sich abgrenzen soll von dem herablassenden Mainstreamdiskurs, dem nach einem halben News Cycle die Chose schon wieder zu fad wird, dann sollte den Aktivist*innen genau zugehört werden. Nur, können die eine durchdachte Konzeption abliefern, angesichts der ungeheuerlichen Aufgabe? Verstricken die sich nicht notwendig in gewisse Widersprüche? Inkohärenzen und Widersprüche sollten nicht verschwiegen werden, sie aufzuzeigen kann aber leicht zum Instrument der Repression werden: »Ihr habt ja auch keine Lösung!« Stimmt, viele haben zunächst nur den Impuls und das dringende Bedürfnis, endlich etwas zu tun. Wer sich um eine alternative Berichterstattung bemüht, sollte weder die schwierige und verwobene Lage leugnen und diese unzulässig simplifizieren, noch sollte so getan werden, als ob ohnehin alles aussichtslos sei. Wir wissen, wie langsam sich Staaten nur reformieren und wandeln lassen, und wir wissen, dass der Staat selbst oftmals das Problem ist. Angesichts der Klimakatastrophe auf eine baldige Einführung herrschaftsfreier Räume zu setzen, wäre allerdings illusorisch und irgendwie unverantwortlich.
Es muss der Spagat geschafft werden zwischen der unmittelbaren Implementierung kleiner Schritte und dem mittelfristigen Ziel, das grundsätzlich zerstörerische System jetzt umzuwerfen. Wenn konservative Autor*innen unken, die Klimakrise solle genutzt werden, um den Sozialismus durch die Hintertür einzuführen, dann lässt sich freimütig antworten: »Na gut, nehmen wir halt die Vordertür.« In wieweit dieses Ziel durch »Green New Deals« in Europa oder den USA erreicht werden können, wäre dann eben wieder so ein kniffliges Thema, das nur widersprüchlich beantwortet werden kann. Tatsache aber ist, dass Regierungen und Politiker*innen durch permanenten Druck dazu gezwungen werden können, sich des Umweltthemas anzunehmen, das sie liebend gern wieder unter den Tisch fallen lassen würden, weil es ökonomische Verteilungs- und Herrschaftsfragen betrifft, die für politische Karrieren traditionell sehr gefährlich sind. Alternative Medien sollen gerne mithelfen, den »Volksvertreter*innen« ihre Ausflüchte schwer zu machen.
Ist das alles ein Fake?
Eine weitere Schwierigkeit gesellt sich an dieser Stelle hinzu. Sie hat sowohl etwas mit der Situation der Medien zu tun als auch mit der Natur der Klimakrise. Die tatsächliche Faktenlage ist zuweilen so unglaublich, dass Leugnung eine natürliche Reaktion zu sein scheint. Zweifel sind immer angebracht, denn tatsächlich gibt es keine Erkenntnis ohne Interesse. Niemand sucht ohne Suchhorizont, jede Äußerung trägt eine mehr oder minder bewusste politische Agenda in sich. Die schwierige Situation, dass eigentlich das seelisch kaum aushaltbare und unglaubliche mögliche Ende menschlicher Zivilisation erörtert werden müsste, wird ausgenutzt von jenen, die das Streuen schlicht erfundener »Fakten« betreiben. Warum auch nicht? Wenn alle Äußerungen Argument in einem politischen Streit sind, weshalb dann nicht einfach Dinge erfinden? Die publizierenden Fringes werden dafür nicht zu Unrecht angeklagt. In den sozialen Medien können sich »Expert*innen« ungebremst ausbreiten und nicht selten verfängt sich der einigermaßen plausibel klingende Unsinn in der öffentlichen Meinung und entfaltet eine Wirkungsgeschichte als verbürgte Wirklichkeit. Dagegen ist kaum mehr anzuschreiben. Gleichzeitig wünschen sich gerade die »alternativen Medien« nicht die alten Gatekeeper zurück. Also jene Zeiten, als nur das wirklich war, was seinen Weg in die »New York Times« gefunden hat.
Okay, es ist schwierig. Die »menschliche Natur« scheint tatsächlich auf dem Prüfstand zu sein. Und zwar auf einem medialen und zugleich existenziellen. Am Samstag, dem 7. März 2020 wird es im Forum Stadtpark in Graz zwischen 14:00 und 15:00 einiges zu bereden geben. Wir freuen uns auf euren Besuch.