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A Love Supreme Electric

»A Love Supreme and Meditations«

Cuneiform Records

Ganz grundsätzlich ist hier natürlich die Frage angebracht, wie sinnvoll oder notwendig es ist, sich im Jahr 2020 an eine Neuinterpretation von John Coltranes vielleicht bedeutendsten Werken zu wagen. Ist die Reproduktion einer Free-Jazz-Pionierarbeit wie »Meditations« oder des Spiritual-Jazz-Meilensteins »A Love Supreme« überhaupt nötig? Dazu stehe man, wie man wolle, die Klänge, die einige der führenden US-Free-Jazzer hier zusammenbringen, sind spannend! Der mehrfach preisgekrönte Saxofonist Vinny Golia ist hier furios am Werk, umringt von hochkarätigen Musikern wie Wayne Peet an der Orgel und dem Gitarristen Henry Kaiser, der einen Großteil der Shred-Arbeit leistet. Durch die Hammond-B3-Orgel bekommt dieses Projekt in seinen Groove-orientierten Passagen einen leichten Santana-(»Caravanserai«-Ära)-Vibe, aber meistens wird hier den überblasenen Saxofon-Ekstasen ohne rhythmisches Fenster, wie sie Pharoah Sanders und John Coltrane eben auf »Meditations« zelebrieren, alle Ehre gemacht. Der Ursprung dieses Projekts liegt in den Live-Aufführungen von »A Love Supreme Electric«, in denen die Band ebenjenes Werk in voller Länge spielte und dann im zweiten Set noch das gesamte »Meditations« nachreichte. Letzteres gilt ja ohnehin als der spirituelle Nachfolger des Ersteren, es erschien Henry Kaiser, dem konzeptuellen Kopf der Band, also nur logisch, diese beiden Sets aufzunehmen (an einem Tag!) und auf einer Doppel-CD zusammenzubringen. In den Liner-Notes stellt er die Frage, ob diese Musik möglicherweise hätte entstehen können, wenn Coltrane nicht 1967 im Alter von 40 Jahren verstorben wäre, sondern die Elektrifizierung des Jazz Anfang der 1970er-Jahre mitgemacht und mit seinen Improvisationen vermengt hätte. Eine große Fragestellung, deren Antwort man in diesem Album nun suchen mag oder nicht, der enthaltene Jazz ist jedenfalls spannend, wild und mitreißend. Die Gitarre quietscht, die Drums krachen und das Saxofon röhrt freudigst. Auf hoher Lautstärke ein fesselndes Hörerlebnis, den konzeptuellen Überbau kann man beim Hören auch getrost ein wenig ausblenden. Denn das hier ist keine Musik zum Nachdenken, sondern Musik zum Nachempfinden.

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