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Tanz die Knochen: Skull Disco

Subsonische Bassforschung im Zeitlupentempo als Soundtrack für die Party nach dem Ende: Sam Shackleton und Laurie »Appleblim« Osborne aka Skull Disco feiern auf »Soundboy Punishments« fröhliche Dubstep-Urstände. Anlässlich seines ersten Wienkonzerts traf skug Shackleton zum Interview.

Original in skug #73, 1-3/2008

Aufrüstung der Beats, Dance Culture durchs Echo-Wurmloch geschleust. Knochenmann-Disco in endzeitlicher Brillanz, Bass-Signale, die von London aus senden und in Jamaika und dem vorderen Orient aufschlagen. Seit vier Jahren elaborieren Skull Disco (SD) an jenem toxischen Gemisch, das Raum-, Zeit- und Körperkonstanten einebnet. Mit der auf dem eigenen, 2005 gegründeten Label Skull Disco Records veröffentlichten Compilation »Soundboy Punishments« ist sämtliches SD- Material, das vorher im limitierten DJ-12″-Format erschienen war, aktuell auf einer neunzehn Tracks umfassenden Doppel-CD verfügbar.

DJ Crazy D, seines Zeichens einer der Protagonisten des Croydon-Sounds, hatte zu den wabernden, psychedelischen Basswällen, aktuell Dubstep benannt, damals noch »ongy-bongy music« gesagt. »Wir hatten keinen Namen dafür. Wozu auch. Mir gefiel diese rhythmusorientierte Musik, bei der man nicht weiß, ob man dabei sitzen oder tanzen soll«, meint Sam Shackleton.

»Wie viele andere meiner Generation starteten auch wir mit einer 4-Spur-Tascam-Maschine. Später rüstete ich auf Computer um und begann, Dub-lastige Nummern zu produzieren. In meiner SD- Vorgängerband Evil Mastermind hatten wir eine massive Bass-Maschine, die interferierenden Dance- hall-Bässe wurden zu einer Art Markenzeichen. Mein Musikpartner MC Great Emancipator konver- tierte zum Islam, was mich alleine zurückließ. Später traf ich wieder auf Appleblim. Wir sind seit Langem befreundet und sind früher zusammen auf Rave-Parties gegangen. Die Idee zum Namen Skull Disco stammt aus einem Buch ›The Innocent Anthropologist: Notes From a Mud Hut‹ von 1983. Darin schildert der englische Anthropologe Nigel Barley seine Feldforschungen in Kamerun. Er berichtet von einem Ritual, bei dem unter vielem Tanzen die Knochen der Vorfahren ausgebuddelt werden, um die Alten an dem Fest sozusagen teilhaben zu lassen. Das klang für mich nach einer guten Party.« – So betitelte Philip Sherburne seinen »The Wire«-Artikel über die Band mit »Rave From The Grave«.

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Transatlantic Dub Conspiracy

Skull Disco ist eine rituelle Party. Tanz die Apokalypse. Indes werden nicht Existenzialismus-heischende Patterns vom Zaun gebrochen, vielmehr geht es um ein Versenken in sich selbst, um einen Trip in psychogeografische Zwischenzustände. Nach musikalischen Präferenzen gefragt, hat Shackleton Namen wie Godflesh, WordSound, Digital Mystikz und den türkischen Baglama-Meister Erkan Ogur parat. Die Basis ist und bleibt aber Dub. »Produzenten wie King Tubby haben damit, wie man im Studio mit Sounds und Beats umgehen kann, ein Zeitfenster aufgestoßen. Mastering und das Studio stellen für mich essentielle »Instrumente« bei der Musikproduktion dar.«

Dub erfährt durch SD ein Update, bei dem das sonst im Dubstep recht beliebte Ausstellen von Technologie mit arabisch inspirierten Rhythmuskomplexen torpediert wird. Klar trifft man auf sämt- liche Dub-Errungenschaften – tiefgelegte Bässe, endlose Echokammern, jede Menge Space -, für eine derart stringente Amalgamisierung aka transkontinentale Brücke zwischen Jamaika und dem vorderen Orient musste man allerdings nach dem Verstummen von WordSound bis zu Skull Disco warten. SD setzen über die Traverse arabischer Raum beim originären Dub-Verständnis an: in der archaischen Zugangsweise zu Drums werden diese wieder zu dem, was sie ursprünglich waren, nämlich Instrumente der Kommunikation und auch des Kriegs. »Mir gefällt Dub, aber ich hasse Snare-Drums. Es war von Anfang an klar, Musik zu machen, die auf perkussiv-tanzorientierten Parametern beruht.« 

Hier werden zwei Systeme aufeinander losgelassen, die sich aus einem pragmatischen Zugang zum Tanzen und einem metaphysischen zum Rauskippen aus Zeit, Raum und Körper zusammensetzen. Was SD mit dem israelisch-amerikanischen Soundalchemisten Raz Mesinai aka Badawi eint: Platten wie »Jerusalem Under Fire« (1997, ROIR) oder »Clones & False Prophets« (2003, ROIR) lassen sich mit SD-Nummern zu einem idealen Megamix zusammenbauen. Konspirative Musikkollaborationen sind bereits anvisiert.

Während der u. a. auf Asphodel und Tzadik veröffentlichende Badawi sich neben Dub auch ein- gehend mit Jazz auseinandersetzt, sind SD dagegen praktisch auf den Dancefloor zugeschnitten. Nach vielen Jahren des hektischen Herumzappelns auf D’n’B ist nun mindestens halbe Geschwindig- keit angesagt. Das trügerische Ding ist nur, dass diese Musik ebenfalls auf circa 140 BPM fährt und dass es der Körper durch die massiven Bassfrequenzen auch mitbekommt, das Hirn allerdings auf »reguläre« Dub-Geschwindigkeit geschraubt ist. Wenn Shackletons arabische Tribal-Synkopen dazwischenfahren und Polyrhythmen so gecuttet sind, auch den Space zum Beat-Geflecht zu konkretisieren, breitet sich eine hyperverkörperlichte Vehemenz aus, die bei Illbient und dem On-U-Sound genauso andockt wie bei industriellem Ambient à la Scorn und Muslimgauze.

 

 

 

A Realisation Of The Mind

Sam Shackleton, 33, in Lancashire nahe Manchester geboren, kam vor acht Jahren nach London. Bereits bei Evil Mastermind waren arabisch-maghrebinische Einflüsse stilprägend, er trat mit einer Schakalsmaske des altägyptischen Anubis auf, die sich auch als Image auf »Soundboy Punishments« findet. Appleblims Tracks sind mit dem Bild des Ibis-Gottes Thot gekennzeichnet.

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 N. N.

Ûberhaupt entfalten Skull Disco illegitime Mythisierungen, Tracktitel wie »Hamas Rule«, »Mystical Warrior« oder »Gold And Silver« sowie kryptische Coverzeichnungen von Shackletons langjährigem Bekannten Zeke Clough mit tanzenden Skeletten und hydraartigen Schlangen formen imaginäre Bilder eines lichtscheuen Hinterhof-Clubs irgendwo zwischen Tanger, Kairo und Damaskus, in dem an der Beschallung des neuen, post-9/11-Zeitalters geschraubt wird. Die SD-Ikonografie kann freilich schnell in die Irre führen und den praxisorientierten Ansatz zu Rhythmus und Beats nur zu leicht verstellen: »Ich will perkussiv interessante Musik machen, das ist eigentlich alles …«

Es möge jeder selbst entscheiden, ob man Shackleton das so abkauft oder ob bei Skull Disco doch mehr dahinter steht. Jedenfalls haben wir es mit heftigen Rhythmythologien zu tun, bei denen sich altägyptische Legenden und derzeitige Bass-Technologie permanent ineinander morphen.

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 »Soundboy Punishment« Innencover

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Rhythmuslinien ziehen

»Soundboy Punishments« beinhaltet neben frühen Releases (u. a. Shackletons erste 7″ »Stalker« für Mordant Music) diverse Solo- und SD-Arbeiten sowie den 18-Minuten-Killer-Remix von »Blood On My Hands« von Ricardo Villalobos. »Die Pappverpackung ist Teil des Konzepts: wir wollten das Album möglichst erschwinglich halten, damit man nicht auf minderwertige MP3s angewiesen ist. Appleblim hatte gesehen, dass Villalobos einen SD-Track in einer seiner Top-10-Listen auf Platz 1 führte und fragte ihn um einen Remix. Villalobos bestand darauf, dass die Nummer auf unserem Label erschien. Im Gegenzug wurde vereinbart, dass wir einen Villalobos-Remix auf seinem Label Perlon herausbringen. Wir waren von seinem Enthusiasmus echt angetan. Das half sehr, denn wir waren zu dieser Zeit in England alles andere als bekannt.«

Ein Understatement, schließlich fand sich »Stalker« bereits auf der »Best of 2004«-Compilation des Labels Rough Trade. Villalobos‘ Remix kann als jenes Sprungbrett gelten, durch das Skull Disco in den Plattentaschen zahlreicher internationaler DJs landeten. Ähnlich angelegt wie seine »Fizheuer Zieheuer«-Serie, schrauben sich die für Villalobos typischen, minimalisierten Techno-Rhythmus-linien noch apokalyptischer als das von Shackleton produzierte Original ins tanzende Fleisch. Geblieben ist u. a. das enigmatische Sprachsample über die Twin Towers, das ein geisterhaftes Ambiente heraufbeschwört: »When I see the towers fall / It cannot be denied / That as a spectacle / It is a realisation of the mind …« Shackletons »Majestic Visions« und »Gold And Silver« von Appleblim dagegen entwerfen vertrackte Bassmonster für die archaische Hypno-Disko.

 

 

 

Dancefloor-Bruchrechnungen

Auf seiner Tour durch halb Europa ist er mit dem Zug unterwegs. »Ich besuche halbwegs regelmäßig Verwandte in Japan. Dort muss ich hinfliegen. Aber sonst versuche ich, der Umwelt nicht allzu viel Schaden zuzufügen«, meint Shackleton in seinem charmanten Mancs-Akzent. Ein enthusiastischer Interviewpartner, dem das ganze Gerede um Dubstep höchst ambivalent rüberkommt. »Klar freut es mich, wenn bestimmte MusikerInnen und ihre Arbeiten bekannt werden. Ich hätte aber gerne, dass den Leuten unsere Platten auch noch in ein paar Jahren gefallen. Wenn, dann halte ich es hinsichtlich Atmosphäre noch am ehesten mit der L.A.-Industrialband Savage Republic.«

Am Abend folgt dann beim »Dub Club« im Flex der Praxistest. Höchst ausgefeilte Rhythmuslinien, so komplex, dass man nicht weiß, auf welche man tanzen soll, dunkle Soundgewitter, die sich vor den schwerst beanspruchten Bassboxen zusammenbrauen. Ein verunsichert wirkendes Publikum, weil Shackleton es bis zur Perfektion ausreizt, abtanz-geschwängerte Kaskaden vom Stapel zu lassen, diese aber innerhalb Kurzem mittels eines auditiven Interruptus in Regionen zu transferieren, zu denen die 4 to the floor-geeichten Körper erst ganz allmählich Zugang finden.

   

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