Einmal mehr verdichtet sich in den Konzertreihen des am Augartenspitz situierten MuTh das, was Wien ausmacht. Der Wille zur Avantgarde und eine Fortschreibung von musik-/sprachhistorischen Legenden ins Hier und Jetzt. Ob eine Hommage an die frühe Musik des Joe Zawinul oder ein Wienerlied-Abend, eine neue Riege an Komponist*innen aus der Diaspora, eine Kombination mit der Sprachkunst eines Otto M. Zykan oder die Würdigung von John Zorns Improv-Klassiker »Cobra« – letztere zwei in Kooperation mit Wien Modern: Es handelt sich um mit Herzblut gestaltete Reihen, wo die Konzertbesucher*innen in einem Begleitprogramm umfassend Wissen mit hochklassigen Darbietungen vermengt bekommen.
Komponist*innen-Diaspora meets Otto M. Zykan
Zunächst zu »Close up – Musik nah und neu«. Irene Suchy präsentiert am Montag, dem 17. November um 19:30 Uhr und am Dienstag, dem 18. November um 10:00 Uhr (Schulvorstellung) neue Werke, die anlässlich des Calls »Sprachenvielfalt in Wien« entstanden sind. Bosnisch/Kroatisch/Serbisch, Türkisch, Arabisch, Farsi oder Pashtu wird mittlerweile in der Hauptstadt Österreichs häufig gesprochen. Schön, dass Wien ein urbanes Zentrum mit vielerlei kulturellen Stimmen ist. Diese auch gesellschaftliche Vielfalt findet ihren Niederschlag u. a. im Gebrauch sozialer Medien, welche Jugendlichen eine große Bandbreite von Ausdrucksmöglichkeiten gewähren. Bilder, Zeichen, neue Wortfindungen (von cringe bis wyld), Gesten und Moves sorgen für eine neuartige Sprache. Das macht neugierig auf die von ACOM – Austrian Composers Association initiierte Klangschiene. Kurzweiligkeit prägt das Klanggeschehen in den 6 bis 8 Minuten langen Werken von Gerd Noack (»Pax«), Yui-ka Zheng (»Soziale Etikette«), Reza Azin (»Polyphone Stadt«) und Valeriia Rymska-Dolhikh (»The Tongues of Wars in Vienna«).
Beinahe ein Jahrhundertwerk ist »Krüppel Sprache« von Otto M. Zykan, wo es nach Worten Wolfgang Bauers um die Verzweiflung geht, Gedanken in Sprache auszudrücken. Propaganda kommt auch hier nicht gut weg. Schlussendlich führt das Ensemble REIHE Zykan+ »Inszene 1: Plakattheorie« auf. Darin ist bestens zu empfinden, wofür dieses Meisterstück (Text: Helmut Heißenbüttel) des 2006 verstorbenen österreichischen Sprachkünstlers, Komponisten und Pianisten steht: Das Atmen und Bewegen des Mundes, der Zunge, des Körpers, der Hände fließen in den interaktiven Teil des live performten Tonsatzes ein. Tags darauf, am 18. November um 19:30 Uhr, gastieren unter dem Motto »Tausendmal schöner als ihr« Katharina Stemberger und Die Strottern mit Autorin Anna Baar im MuTh. Die Trägerin des österreichischen Staatspreises für Literatur 2022 fungiert gleichsam als Außenstelle zum Wienerlied und schreibt diesem mit ihren Erzählungen auch Kärntner und dalmatinische Impression ein.

Flip Philipp plays Joe Zawinul & Studio Dan John Zorn
Eine Begegnung von Vibraphonist Flip Philipp mit Joe Zawinul im Jahr 2004 wirkt nach. Österreichs international wohl erfolgreichster Jazzer inspirierte Philipp dazu, sein Frühwerk zu erkunden. Dabei wird es wohl weniger darum gehen, dass der mit einem absoluten Gehör gesegnete Josef Zawinul bereits als Kind tschechische und slowenische Weisen, ungarische Sinti-Lieder, Polkas und Landler singen und auf dem Akkordeon spielen konnte. Sondern eher um die 1954 gegründeten Austrian All Stars (u. a. mit Hans Salomon und Karl Drewo), die als österreichische Pioniere des Cool Jazz gelten. Ob früh oder spät: Die Musik des Erdberger Weltbürgers hatte trotz leidenschaftlicher Neigung zur Improvisation etwas, das zu vielen Musiker*innen fehlt: Soul. Flip Philipp wird Zawinuls Art of Jazz mit seinem Quintett zelebrieren, am Mittwoch, dem 26. November um 19:30 Uhr im MuTh.
Willkommen in der Welt der Gamepieces bzw. der Spiele. In der »You better listen!«-Reihe des Studio Dan im MuTh steht John Zorns Ur-Gamepiece »Cobra« Pate, ein Klassikaner der Improvisationskunst. Noten sind verboten, statt dessen geben Karten, Zeichen und spontane Entscheidungen die musikalische Richtung vor. Zunächst auf dem Programm: Peter Brötzmanns »Signs & Images. A Card Game« (2002), John Zorns »Cobra« (1984) und Mica Levis »Thoughts are born« (2020–2025). Mit Christoph Ressi hat ein junger österreichischer Komponist und Musikinformatiker mit dem Studio Dan ein digitales Live-Scoring-Tool aus der Taufe gehoben. Noten werden sozusagen in Echtzeit erzeugt. Die Töne folgen den Regeln eines Computerspiels – rasend schnell und unberechenbar. Ressis »Paranoia Maschine« ist laut Selbstdarstellung »einerseits eine technische Umgebung, in der live generierte Partituren (endlich auch) zeitlich zu 100 Prozent synchronisiert werden können, und in weiterer Folge ein Musikstück mit computerspielhafter Musizierlogik. Die dahinterliegende offene Form eines solchen Kunstwerks ist zentral in Ressis künstlerischen Doktorarbeit«. »Cobra FF« und »Game Pieces« von Studio Dan sind im Rahmen von »You better listen!« am Freitag, dem 28. November um 20:30 Uhr im MuTh zu sehen. »Cobra FF« wird am Donnerstag, dem 4. Dezember um 20:00 Uhr auch bei Openmusic im Tube’s in Graz erklingen.











