»Weit einefoahn in d’Gmoa« © Paola Komanek
»Weit einefoahn in d’Gmoa« © Paola Komanek

Periphere Phänomene

Selbst Landbewohner*innen erschließt sich vieles nicht, weil das Wahrnehmungsradar zu sehr auf den Alltag fokussiert ist. Das Viertelfestival NÖ steht heuer – noch bis 15. August 2022 – unter dem Motto »Weitwinkel«, das Interessierten das Blickfeld auf Verborgenes und Randständiges öffnet.

Viel Beachtliches wurde beim dieses Jahr wieder im Weinviertel stattfindenden Viertelfestival Niederösterreich bereits umgesetzt. Final sei auf soziopolitische Projekte verwiesen, die bildende Kunst ins globale JETZT beamen, aufgelassene Objekte wiederbeleben und die Schönheit von Landschaft und Bauten erkunden.

Globalisierung im Blickwinkel

Nicht nur aufgrund des Kriegs in der Ukraine muss mensch sich die Frage stellen, was für unser Wohlbefinden geopfert wird. Die Künstler*innengruppe JETZT lenkt die Aufmerksamkeit auf Objekte, die wir täglich verwenden, auch im Hinblick auf die Auswirkungen auf die Bevölkerung jener Länder, in denen die dazu unentbehrlichen Rohstoffe geschürft werden.

Schüler*innen der Kunstschule in Nový Jičín/Neu Titschein (Tschechien) und der NMS und Musik-MS in Laa an der Thaya erarbeiten mittels Techniken der bildenden Kunst inklusive Video-Installationen/-Werke, die Gewinner*innen und Verlierer*innen der Globalisierung thematisieren. »Verbindet Kunst – spojuje umění?« fragt diese außergewöhnliche Ausstellung, die jeden Samstag und Sonntag von 14:00 bis 16:00 Uhr noch bis 31. Juli 2022 im Kunsthaus Laa an der Thaya eine »globale Weitwinkelwahrnehmung« offenbart.

»Nicht jeder Berg ist ein Berg« © Gerhard Hasenhündl

Per SATELLIT in den (Welt)raum

Scheinbar noch höher ins Universum will die Exhibition im SATELLIT grenzART hieven. Doch gilt es nur den Fokus auf die Galerie grenzART zu weiten, vermittels Schaffung eines temporären Raums der Begegnung: Ein golden lackierter Baucontainer, im Inneren zu einem »white cube« ausgebaut, konfrontiert interessierte Menschen mit zeitgenössischen Kunstwerken, die zu Diskurs anregen sollen. Die Schau mit dem Untertitel »Wenn Räume fliegen« wird am 29. Juli 2022 um 19:00 Uhr am Hauptplatz in Haugsdorf eröffnet.

Doch kann man sich das Weinviertel auch erwandern, etwa mittels »Blick vom Berg in die Geschichte« beispielsweise vom »Gupferten«, einem der Retzer Hausberge, auf das herrliche Landschaftspanorama um Retz, via begleitendem Archäolog*innenteam, das über Entstehungsgeschichte, Erbauer*innen und Bewohner*innen, aber auch andere Hausberge referieren wird. Ausgangspunkt ist das Museum Retz, am 31. Juli, 12. und 13. August 2022, Start jeweils um 14:00 Uhr.

»Das weite Land« © Kitty Kino

Mit dem Fahrrad ins weite Land

Bis in die hintersten Winkel der Gemeinde Großmugl führt »Weit einefoahn in d’Gmoa – Mit dem Fahrrad zur Kultur«. Vom 5. bis 7. August 2022 radeln Connaisseure auf zur Verfügung gestellten Zweirädern oder E-Bikes auf verkehrsberuhigten Landstraßen von Ortschaft zu Ortschaft, von Kinderspielzonen zu Open-Air-Musikevents, zu Dorffesten, regionalen Betrieben und Anwohner*innen, die zum Tag der offenen Tür einladen.

Hinein in »Das weite Land« mit Kitty Kino, die sich in den 1980ern mit den Filmen »Karambolage« und »Die Nachtmeerfahrt« als Regisseurin etablierte. Ihr fotografisches Talent erstreckt sich für die Ausstellung in einem reanimierten G’schäft aus den 1930er-Jahren in Zwerndorf auf Impressionen aus dem Marchfeld. »Romantische Ironie« nennt Kino diese Verschmelzungen von Naturschauspiel und technischen Interventionen, beispielsweise Windrädern im Sonnenuntergang. Vernissage am 22. Juni 2022 um 19:00 Uhr. Bis 14. August 2022, jeweils Freitag bis Sonntag.

»Im Wirtshaus ist die Flucht zu Ende« © Jörg Vogeltanz

Wider Orts- und Wirtshaussterben

Breitensee steht symptomatisch dafür, was an dörflicher Kultur verlorenging. Bis 1971 war dieser Ort eine eigenständige Gemeinde und verfügte über eine gewerbliche Infrastruktur. Geschäftslokale, Auslagen und Gaststätten sind verschwunden. Die Einwohner*innen sind zum Pendeln gezwungen, das Dorfleben ist tot. Mit Humor und Ironie zeigt das teatro caprile auf, wie das frühere Leben in Breitensee fröhliche Urständ’ feierte bzw. was zu Niedergang und Tristesse geführt hat und lebt eine Utopie vor, wie es besser sein könnte. »Die übersehene Chance«, zukunftsheischend »Ortssterben – Wiederaufleben« untertitelt, geht am 29. und 30. Juli sowie 5. und 6. August 2022 jeweils von 19:00 bis 22:00 Uhr in der Ortsstraße 79 in Breitensee über die Bühne.

Corona hat viele dazu bewogen, mit trinkfesten Freund*innen in häusliche Gefilde auszuweichen. Kommt billiger, wird aber für Gasthäuser zum Existenzproblem, was in letzter Zeit zu vermehrten Schließungen führte. Impulse für einen Neustart sind dann schwierig, doch zum Glück gibt es sie noch: funktionierende Wirtshäuser, die Offenheit zeigen. Eine echte Mär besagt, dass der Wienerlied-Maestro Karl Hodina nach einem Konzert im 3er Wirtshaus zu Zwerndorf verhieß: »Bevor ich sterbe, möchte ich noch einmal zum Essen hierherkommen« – was er dann auch beides tat.

Nun, in diesen Marchfelder Ort nahe der slowakischen Grenze hat es auch David Hebenstreit aka Sir Tralala (am Cover von skug #79) verschlagen, um urbane Clubkultur mit ländlichem Tratsch zu vermengen. Gemäß dem Motto »Im Wirtshaus ist die Flucht zu Ende – trotzig durch den kulturellen Entzug« lässt der Sir Live-Musiker*innen aufspielen und öffnet selbst Tonkonserven. Kredenzt wird Leiwandes zum Zuhören, Reden, Essen und Tanzen, nochmals am 29. Juli und 12. August 2022 jeweils ab 18:00 Uhr im 3er Wirtshaus, Sandparz in Zwerndorf.

Link: www.viertelfestival-noe.at

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Text
Alfred Pranzl

Veröffentlichung
20.07.2022

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