Wienfluss, Beginn der Einwölbung im Bereich des Flohmarkts © Invisigoth67, Wikimedia Commons, CC BY-SA 3.0
Wienfluss, Beginn der Einwölbung im Bereich des Flohmarkts © Invisigoth67, Wikimedia Commons, CC BY-SA 3.0

Durchbrechen der Wienfluss-Grenzen

Schiffbarmachung, ein Amphitheater unter der Erde oder eine Eislaufbahn: Es gab bereits tolle Pläne für die Nutzung des unterirdischen Teils des Wiener Naschmarktes. Um die überirdische Veränderung bemüht sich momentan die Bürger*innen-Initiative »Freiraum Naschmarkt« sehr.

Momentan schlagen die Pläne für eine Veränderung des großen Parkplatzes am Wiener Naschmarkt hohe Wellen. Die Bürger*innen-Initiative »Freiraum Naschmarkt« fordert Grünflächen mit natürlicher Beschattung bzw. Konsumfreiheit, einen freien Erlebnis-Grünraum. Sie wehrt sich gegen eine Markthalle mit noch mehr Gastronomie, wie von der Stadt Wien ausgedacht, die die Frischluftschneise aus dem Wienerwald stoppen würde.

Es gab für diese Gegend schon einmal große Veränderungspläne – aber unterirdisch. Die Wiener Magistratsabteilung Wasserbau führte im Jahr 1998 einen sensationellen Wettbewerb durch: Es ging um eine Ideensuche für die unterirdische Wienfluss-Verbindung zwischen dem Naschmarkt und dem Donaukanal auf der Höhe der Urania. Der Wienfluss, der Teil von Otto Wagners Vision eines Prachtboulevards war, wird derzeit auf der überirdischen Platte durch einen riesigen Parkplatz besetzt. Samstags findet dort der berühmte Flohmarkt statt. Im Wettbewerb plante man Durchbrüche im Gewölbe, um für Belüftung und Lichteinfall zu sorgen. Der Radweg sollte durch den überwölbten Teil hinweg fortgesetzt werden und eine neue unterirdische Verkehrsachse bilden.

Was ist aus all diesen ambitionierten Plänen geworden? Die Juror*innen verliehen im Jahre 1998 vier erste und acht zweite Preise. Umgesetzt wurde leider gar nichts davon. Peter Ryborz, der verfolgte Rebell der Wiener Unterwelt, beschreibt in seinem Buch »Unter Wien 2: Keller, Grüfte und G’scherte« (Creativ Büro 2015) liebevoll diese etwas verrückten und spannenden Pläne. Teilnehmer*innen nahmen öfter Bezug auf die Geschichte von Stadt und Fluss und verlangten eine Rückwandlung des Wienflusses in einen kommunikativen Raum. »Um den Wienfluss als Ort des öffentlichen Lebens zurückzugewinnen, ist ein Durchbrechen der Grenzen zwischen Innen und Außen, Unten und Oben notwendig«, zitiert Ryborz das Konzept einer Wiener Arbeitsgemeinschaft. Der Flohmarkt sollte ausgedehnt werden. Eine Eisschnelllaufbahn wurde angedacht.

Pläne Wienfluss-Café © Peter Ryborz

Hängendes Glas-Kaffeehaus
Spektakulär die Idee eines von oben begehbaren Kaffeehauses, das in Form eines Schiffsrumpfs im Fluss hängt und nach unten durch riesige Glasscheiben Einblicke in die Unterwelt bietet. Ein Berliner Architekturbüro plante auch einen Ausstellungsort zum Thema »Abwasser« mit dem Namen »Kanaleum«. Der Architektenentwurf sah die Öffnung weiter Teile der Gewölbedecke vor und flexible Installationen, die bei Hochwassergefahr nach oben geklappt werden können.

Die denkmalgeschützte Überwölbung behutsam behandeln wollte hingegen das Projekt »Wiental Filmstrip«, das unterirdisch eine Filmmeile mit Filmstudios, einem Filmmuseum und einer Medienakademie errichten wollte, um an die 22 ortsansässigen Filmfirmen des 20. Jahrhunderts zu erinnern. Ein gleichfalls prämiertes Projekt sah die Wiederschiffbarmachung des Wienflusses vor! Aber nur für kleine Boote, für die Staustufen angelegt hätten werden müssen, um das Gefälle von 0,4 Prozent zu überwinden. Peter Ryborz selbst reichte die Idee einer klappbaren Bühne mit extra Zuschauer*innen-Tribüne nach Art eines römischen Amphitheaters ein, die die im Gewölbe vorhandene Akustik nutzt.

Alle diese tollen Pläne verschwanden in der Schublade, denn die Stadt Wien konzentrierte sich in Folge darauf, den oberen Teil des Wienflusses zu begrünen und für Radfahrer*innen zu öffnen, den Steinboden im Flussbett zu entfernen. Nun, mit der Bürger*innen-Initiative »Freiraum Naschmarkt«, die flott, energisch und fröhlich ihren Protest gegen eine neue Markthalle mit noch zusätzlicher Gastronomie organisiert, könnten diese Pläne zumindest noch einmal gewälzt werden.

Pläne Wienfluss-Café © Peter Ryborz

Abwässer und Cholera
Ursprünglich war der Wienfluss bei Hochwasser sehr gefährlich und zum Beispiel 1670 fanden bei einer Flut viele Menschen den Tod. Ein weiteres Problem war, dass der wilde Fluss bei Hochwasser die in ihn geleiteten Abwässer wieder verteilte. So mussten circa ein Jahrhundert später Sträflinge ein tieferes Flussbett graben, doch bei der Choleraepidemie 1830 sah man wieder, wie gefährlich das Abwasserproblem ist, denn die Bakterien verbreiteten sich durch das vermischte Wasser. Über 2.000 Menschen starben. »Alle wichtigen Bäche im Stadtgebiet wurden in dieser Zeit eingewölbt«, schreibt Ryborz. Sammelkanäle »sollten die Abwässer aufnehmen und erst kurz vor der Mündung in die Donau wieder in die Wien einspeisen«.

Zwischen 1895 und 1906 wurde im Zusammenhang mit dem Bau der Stadtbahn der Wienfluss unter die Erde verlegt, fließt unter dem Karlsplatz durch und taucht am Stadtpark wieder auf. Eine spannende Verbindung, die doch heute irgendwie eingebaut werden müsste. Die derzeitig zuständige Stadträtin hat aber bereits andere unterirdische Pläne in den Sand gesetzt. 2004 lobte sie einen weiteren Wettbewerb aus, dessen Ergebnisse mit angeblich elf Gewinnern und hohem Preisgeld aber seltsamerweise nie veröffentlicht wurden. Peter Ryborz versuchte herauszufinden, was passiert war, kriegte aber selbst immer wieder Probleme mit der Stadt Wien. In einem Prozess, den er aus finanziellen Gründen nicht zu Ende führen konnte, musste er auf einen Vergleich einsteigen, der ihm das Betreten der von ihm geliebten Unterwelt verbietet. Der Sohn eines Bottroper Bergwerkarbeiters, der im Zuge seiner Arbeit im Bergwerk tödlich verunglückte, wurde wirklich hart bestraft.

Eine Idee aus dem alten Wettbewerb bestand darin, überirdisch einen Wasserkanal durchzuziehen, als Symbol für den unterirdischen Wienfluss. So ein Kanal könnte für Kühlung sorgen, ebenfalls Öffnungen für die kühle Luft von unten. Bäume hätten es in dem Gebiet schwer, denn es gibt ja durch die Überwölbung keine Erde im Untergrund. Nur extreme Flachwurzler oder Hochbeete wären möglich bzw. am Rande des Gebietes ein paar Tiefwurzler. Die Flohmarktstandler*innen samstags umrankt von Grün? Gestrüpp und Hecken mit Spatzen drin? Rote Nelken? Wasserspiele? Abenteuerspielplatz?

Peter Ryborz © Dieter Henkel

https://www.freiraum-naschmarkt.at/

https://www.unterwelt.at/

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