Ulli Fuchs (geb. 1966) ist eingeborene Wienerin und betreibt seit vielen Jahren den Kulturverein Labor Alltagskultur. Sie hat u. a. in den späten 1980ern die IG Kultur Wien mitgegründet und in den 1990ern das Kulturzentrum 7*stern aufgebaut. Seit dem Jahr 2010 organisiert sie die KriLit, die Kritischen Literaturtage, mit vielen in- und auch einigen ausländischen Verlagen und publizistisch tätigen linkspolitischen Initiativen. Die KriLit ist ein besonderes Event, die alternative Buchmesse, bei der sich Verlage und Autor*innen »hautnah« und »auf Augenhöhe« dem Publikum vorstellen, es gibt – natürlich – Lesungen, aber auch Diskussionen, literarische Konzerte und Partys. Die für 8. bis 10. Mai 2020 geplante KriLit musste wegen der Eindämmungsmaßnahmen gegen die Corona-Pandemie glücklicherweise nicht ganz abgesagt werden, sondern wird auf 6. bis 8. November 2020 verschoben. Alle Beteiligten hoffen inständig, dass bis dahin wieder größere Veranstaltungen möglich sein werden.
skug: Wann hast du von den Corona-Eindämmungsmaßnahmen erfahren und was war dein erster Gedanke?
Die letzte Veranstaltung, die wir als Labor Alltagskultur noch quasi regulär durchführen konnten, war am Freitag, 13. März eine Zentralfriedhofsführung von Gernot Trausmuth (u. a. Autor und Übersetzer) zur Gedenkkultur der Arbeiter*innenbewegung anlässlich des 13. März 1848. Mit dem Rücktritt Metternichs am 13. März 1848 und der Zusage des Hofes, eine Konstitution zu gewähren, blieb die Märzrevolution in Österreich vorerst siegreich. Es war, wie das »Neue Wiener Journal« über die Ereignisse des 13. März 1848 berichtet, der merkwürdigste Tag der österreichischen Geschichte. Einige Studenten haben diese alte, bemooste, sich unwiderstehlich glaubende Regierung über den Haufen geworfen. Das alte System ist mit Metternich gestürzt. Es begann eine neue Zeit … Schon irgendwie stark, oder?!
Welche genauen praktischen Konsequenzen hat die Stilllegung des Kulturbetriebs für die KriLit?
Die KriLit findet in der Brunnenpassage in Ottakring statt und dank des Engagements der Kolleg*innen dort und ihrer Begeisterung für unser Projekt ist es gelungen, einen Ersatztermin im November zu finden. Leider können zu diesem späten Zeitpunkt die Lesungen nicht im Freien abgehalten werden, wie das ursprünglich geplant gewesen wäre. Deswegen ist der organisatorische Aufwand jetzt größer. Es müssen anliegende Lokale gefunden werden, die mit uns kooperieren.
Inwiefern seid ihr in Kontakt mit der MA 7, dem Kulturamt der Stadt Wien? Wird Schadensbegrenzung bzw. -wiedergutmachung angeboten?
Die MA 7 – Abteilung Literatur – schätzt und fördert die KriLit in dankenswerter Weise. Nicht erst seit Bekanntwerden der Krisensituation sind wir in direktem Austausch der Aktualitäten und haben alles unternommen, um die existenziellen Probleme unserer freischaffenden Kolleg*innen abzufedern. Ich selbst bin Notstandshilfeempfängerin und leiste die Organisation der KriLit über den geringfügigen Zuverdienstrahmen auf Honorarbasis, das heißt, ich habe persönlich keine finanziellen Schwierigkeiten/Nachteile, sondern kann mich umgekehrt für meine prekären Kolleg*innen einsetzen und ihnen helfen. Ich bin sehr glücklich, dass wir die bisher geleisteten Tätigkeiten und Ausgaben nicht nur als widmungsgemäß anerkannt bekommen (für die Verschiebung in den November), sondern auch zusätzliche persönliche Wertschätzung erleben. Die Abteilungsleiterin Dr.in Julia Danielczyk hat sich sicherlich weit über ihre berufliche Notwendigkeit hinaus ganz besonders um das Wohlergehen der freien Literaturszene in Wien gekümmert und verdient gemacht! Ich möchte ihr auf diesem Wege ganz besonders herzlich für ihr Engagement danken! Diese Empathie, dieses Verständnis für die Situation der freien Szene, wird in der öffentlichen Wahrnehmung den Beamt*innen/Verwaltungsdienstler*innen der Stadt vielleicht gar nicht oder viel zu wenig zugetraut.
Wie siehst du die Chancen eines gemeinsamen Handelns der Subkultur-Veranstalter*innen, zum Beispiel über die IG Kultur? Ist die KriLit hier vernetzt?
Ich habe die IG Kultur Wien mitgegründet und trage die Kampagnen aktiv mit. Selbstverständlich sind und bleiben wir vernetzt und aktiv, wenn auch derzeit nur über das Internet … Das echte, persönliche Gespräch – mit Sehen, Hören und Riechen – fehlt natürlich schon, aber ich weiß, es bemühen sich alle Betroffenen und Beteiligten um ihr Bestes. Ich empfehle, die Websites der IGs regelmäßig zu besuchen, deren Newsletter zu abonnieren, ihre Radiosendungen zu hören und auch unbedingt Mitglied zu werden!
Hältst du Kontakt zu den Autor*innen, Künstler*innen und Verlagen, die von der Verschiebung der KriLit betroffen sind? Welches Stimmungsbild kannst du hier übermitteln?
Ich habe in der Quarantäne-Zwischenzeit versucht – und tu es logischerweise auch immer noch – den Online-Versand unserer KriListas zu bewerben, die ausbeuterischen Grauslichkeiten von Amazon zu bashen und selber alles Mögliche zu unternehmen, um unsere Genoss*innen bei Laune zu halten. Die eh immer schon Introvertierten leiden nicht viel schlimmer, aber die Extrovertierten, die bislang die Praxis von Lesungs- und Ausstellungsbesuchen hatten, die sich vor allem im direkten Diskurs mit Anderen selbst echt erfahren und ausdrücken konnten, die leiden jetzt unermesslich. Und es sind in erster Linie meine alten Feministinnen, die alleine mit ihrem Erfahrungsschatz einsam und isoliert in ihren depperten kleinen Wohnungen sitzen, und die einzige Hoffnung, die sie haben, ist, dass sie mit ihrer unschätzbaren Lebenserfahrung und Expertise den nachfolgenden Generationen zur Inspiration dienen können. Dass wieder bessere Zeiten für uns alle kommen, wo wir uns nicht nur telefonisch und über E-Mail unserer gegenseitigen Wertschätzung versichern, sondern uns auch wieder in echt umarmen können.
Kulturstadträtin Veronica Kaup-Hasler zeigt sich rund um die von ihr initiierte »Fair-Pay«-Initiative sehr verständnisvoll in Bezug auf die wirtschaftliche und soziale Lage der Künstler*innen in Wien. Was erwartest du dir von ihr in der Corona-Krise und welche Chance siehst du?
Ich bin eine große Fanin von Frau Kaup-Hasler. Sie kennt die Sorgen und Nöte der freien Szene aus eigenem Erleben. Aus diesem Grund habe ich in meinem Umfeld sehr für die Arbeitsstipendien für Freischaffende geworben. Ich war und bin allerdings mittlerweile besorgt und irritiert: Diese Arbeitsstipendien sind für ausschließlich Freischaffende … sowas habe ich in meinem Umfeld kaum … die Kolleg*innen, die ausschließlich von ihrer freischaffenden Tätigkeit (über die Geringfügigkeit hinaus) leben, sind quasi eh vom Fonds der WKO und des KSVF aufgefangen. Diese zusätzliche Wiener Förderung, so dachte ich, sollte all jenen zugutekommen, die ihre prekäre künstlerische und wissenschaftliche Tätigkeit aufgrund der Corona-Krise nicht mehr ausüben können. Also, was will ich damit sagen? Ich kenne eigentlich nur Menschen, die sich ihr bisheriges Leben nur dadurch sichern konnten, dass sie entweder einen geringfügigen Erwerbsjob haben oder zur Pension oder zur Notstandshilfe dazuverdienen. Und genau die werden jetzt durch dieses Arbeitsstipendium nicht unterstützt! Lobend erwähnen möchte ich aber doch die Tatsache, dass sich diese Förderung an alle Freischaffenden mit Hauptwohnsitz Wien richtet, also unabhängig von ihrer Staatsbürgerschaft, das ist schon ein super Novum! Und zur »Fair-Pay«-Initiative, die ich von Anfang an unterstützt habe: Die KriLit könnte sogar in den Genuss von zusätzlichen Geldern kommen. Bis dato waren nur die Abendveranstaltungen, die Buchmesse selbst und die Kinderbuchausstellung »Yuki liest!« gefördert. Wir haben aktuell eine neue, zusätzliche Einreichung über 8.000,– Euro für Lesehonorare für die betroffenen Autor*innen »in der Pipeline«. Das heißt, wenn alles gut geht, profitieren die beteiligten Autor*innen sogar. Ich denke, das ist im Sinne der »Erfinderin« …
Überall sprießen jetzt Online-Veranstaltungsideen aus dem virtuellen Boden. Habt ihr Pläne in diese Richtung und wie schätzt du diese Möglichkeiten ein? Gibt es Ideen für die KriLit im virtuellen Raum?
Wenn wir wirklich absagen hätten müssen, hätte ich nicht nur Online-Lesungen und Buchbestellungen überlegt, sondern sogar individuelles Vorlesen. Das treibt mich schon lange. Ich bin aber selber so eine alte Old-School-Verfechterin des interpersonellen »in echt«-Kontakts, ich brauche das Gegenüber. Online-Lesungen, -Konzerte oder -Theater mag ich überhaupt nicht, das ist total fad, total unsexy.
Eine letzte hochpolitische Frage: Was sagst du zur Gefahr, dass die Corona-Krise zu einer Art »Marktbereinigung« genutzt wird, bei der am Ende nur wenige große Player übrigbleiben und zum Beispiel viele kleine Veranstalter*innen pleite sein werden?
Ich selbst und unser Kulturverein haben keinerlei Schaden erlitten, außer, dass wir im Herbst (besonders Oktober und November) sehr intensiv arbeiten werden müssen und wegen vielen zusätzlichen, zeitgleich stattfindenden »Konkurrenz«-Veranstaltungen (die angesetzten plus die verschobenen) weniger Publikum haben werden. Ich sehe also nur die »Verdichtung«, eine Art noch größere Komprimierung, aber keine Gefahr des Aufhören-Müssens im ehrenamtlichen Bereich. Ganz anders sähe es selbstverständlich aus, wären wir Gastronom*innen oder professionelle Veranstalter*innen, die hohe Mieten und andere Fixkosten hereinbringen müssen und die zum Überleben auf Eintritte etc. angewiesen sind. Aber auch da sind die Großen wahrscheinlich schlimmer betroffen als die Kleinen. Ich denke, die Hilfsmaßnahmen funktionieren erstens gut und zweitens sind viele »kleine« Veranstalter*innen wendiger, flexibler und kreativer – und damit deutlich überlebensfähiger und vitaler. Das stellen sie ja nicht erst seit der Corona-Krise unter Beweis.
Vielen Dank für das Gespräch und pass auf dich auf.