Was ist nicht alles blöde? Das Fernsehen und der Boulevard sind es sicher, Gratiszeitungen und Magazine auch, die Charts eh und die Review, die meine momentane Lieblings-CD zu wenig würdigt sowieso. Aber was ist »Blödheit«, außer das gerne imaginierte Totalgegenteil von dem was ich bin?
Für Metz und Seeßlen entsteht »Blödheit« überall dort, wo »Dummheit« (definiert als »Nicht-wissen-wollen«, »Nicht-gewusst-haben-wollen«) und »Benommenheit« zusammentreffen. In den Medien (egal ob Boulevard oder ??Qualitätsjournalismus??) ebenso wie in Bildungseinrichtungen (qua Ükonomisierung und Quantifizierung), der Ükonomie (der neoliberale Finanzkapitalismus mit seinem »dummen Geld«) und in der Politik (»Blödheit« als postdemokratische, mediokratische Ideologie). Blödmaschinen zeichnen sich demnach dadurch aus, »die Fähigkeit, Wissen und Erkenntnis zu vernichten« immer weiter zu perfektionieren.
Wissen macht arm
»Wissen« hingegen wird auf »Wissensmanagement« (als »Markt-Denken«) reduziert. »Auf das, was man braucht, um sich den Weg in der internationalen Geld- und Karrierewelt freizubluffen«, wodurch auch »Arbeit als Spekulation« betrieben wird (»Wie war meine Performance?«, »Was war meine Leistung?«). Der Wert eines Studienplatzes hängt vom erhofften persönlichen Marktwert nach dem Abschluss ab. Der große Bluff (von Plagiaten bis zur Annahme, die Wirtschaftswissenschaften seien ??exakte Wissenschaften??) ist dabei schon bewusst inkludierter Teil des Spiels.
Denken wird so zum »Privatvergnügen« (kostspielig und ohne jegliche Nachhaltigkeit), zu einer »dekadenten Klugheit« (die selbstredend bei jeder Kritik an den Blödmaschinen als »Besserwissertum« gleich mitgedisst wird) bestehend aus »unnützem Wissen« (das jedoch nicht einmal mehr im kleinsten Kreis kommuniziert werden kann). Stattdessen produziert »der doppelte Markt der überflüssigen geistigen Arbeit und der mangelnden Aufmerksamkeit der Konsumenten« ein »fast beliebig zu manipulierendes und auszubeutendes globales intellektuelles Proletariat – und Subproletariat«. Diese »Entrechtung der Kreativen« durch die Cultural Industries wurde selten so detailiert nachgezeichnet, denn es geht dabei ja auch um die Frage, warum wir es nicht nur mit einer Blödmaschine (dem »Scheißprivatfernsehen«, der »BILD«, der »Kronen Zeitung«) zu tun haben, sondern sich die Blödmaschinen wie Rhizome verhalten. Der nicht per se marktorientierte Genuß von Wissen und Denken an sich hat keinen Wert mehr. Damit sind keine Distiktionsgewinne mehr zu haben. Wissen und Denken sind weder sexy noch glamourös (diese Funktion übernehmen nun Promis aus Wirtschaft, Politik und Privat-TV), weshalb die »Hirnforschung« (nicht ohne explizite Hintergedanken ja auch so hochsubventioniert) alles daran setzt der Blödheit quasi eine naturwissenschaftliche Erdung zu verpassen (»Der Geist ist eine Illusion«).
Von »Klugheit« (»Wissen plus Intelligenz«) sollte also gleich Abstand genommen werden, weil damit ist der Weg in ein gesellschaftliches Aus (in dem weder Dissidenz noch »das Richtige« im Falschen, sondern ökonomischer Bankrot warten) schon vorprogrammiert. Intelligenz macht einsam und arm. Einzig »Idiotie« könnte hier noch einen »Funken der Nicht-Dummheit« versprechen.
Rhizomatische Stupiditätsfabriken
Metz und Seeßlen verknüpfen, was sonst in all den aufgeregten Kommentaren zu den Blödmaschinen (speziell und gerade auch von medientheoretischer Seite) immer zu kurz kommt, bzw. gar nicht erwähnt wird. Wir könnten das auch ??das Politische?? nennen (auch so ein unnützes Ding im neoliberalen Stupiditäts-Rhizom). Also jene Zusammenhänge zwischen »Big Brother« (»Einübung des ?berwachungsterrors, Terror der Intimität«) und Bagatellkündigungen, zwischen »Unterschichten-Fernsehen« und den Neugründungen privater Elite-Universitäten, zwischen Discountern und Promis (die als »Götter der Dummheit« den Blödmaschinen immer neues Material zuführen). All das produziert ja nicht nur Unterhaltungsmüll, sondern hat eine Agenda. »Die Blödmaschine ist eine besonders tückische Waffe im Klassenkampf von oben geworden. Sie erzeugt zugleich, was sie bekämpft, sie bestraft, was es ohne sie in dieser Form womöglich gar nicht gäbe.«
Als »Medien der Entwürdigung« produzieren sie genau jene »Unterschicht«, der dann in »Reality«-Sendungen gesagt werden kann, dass die eigene Misere (Hartz IV, alleinerziehend, schlimme Kinder, grausliche Wohnungseinrichtung) kein »Klassenschicksal« (weil das würde ja ein Bewußtsein jenseits der eigenen vier Wände provozieren können), sondern ein »Einzelschicksal« ist (mit dem Subtext »Selber schuld« als neoliberales Amen).
Weil »Einzelschicksal« ist ja auch das, was all die Promis propagieren: »Ich bin meine eigene Welt« meint ja nichts anderes als »selber Schuld« (nur hier halt im Sinne von Geldverdienen qua Totalverblödung). In beiden Fällen geht es um eine »Selbstbrandmarkung« (als Foucaultsche »Techniken der Individualisierung der Macht«) im Dienste neoliberaler Blödmaschinen. Kurz: Wer zu blöde ist, selbst aus seiner Blödheit kein Kapital zu schlagen der ist wirklich nicht zu gebrauchen (auch die Blödmaschinen produzieren ihr absolut unnützes Lumpenproletariat).
Neben »Klassenkampf von oben« geht es jedoch auch um einen hegemonialen Kulturkampf, bei dem sich besonders »das Restbürgertum«, also jene »Mitte«, die fast nur noch als Phantom »das seinen eigenen Untergang noch nicht bemerkt hat«, durch die Medien geistert, ideologisch in Stellung zu bringen versucht, indem die allgegenwärtige »Verprollung« (durch die Medien) im guten alten Slang des »guten Geschmacks« kritisiert wird. Die »Geschmacksbürger«-Blödmaschinen wettern gegen die »Proll«-Blödmaschinen wie gegen die »Besserwisser«-Blödmaschinen – und je aussichtsloser dieser Kampf wird (immerhin sind es ja meist die eigenen Kinder, die sich zu dem einen oder anderen jenseits der »Ideologie der Mitte« hingezogen fühlen), desto verbissener wird er geführt. Am Ende kommt immer dasselbe raus: Noch mehr Kontrollwahn in Gesetzesform.
Pop als Karneval
Auch subversives Popwissen entging dabei der Verblödelung nicht. So stellen »Bad Taste« oder »Trash« für die Autoren »bis hin zu Punk« noch jene »mehr oder weniger blutige Auseinandersetzung mit dem Mainstream« dar, bei der in einer wilden Mixtur aus Subversion, Exploitation und Umgehung der Zensur auf die Werte der Mitte gespuckt wurde. Dann kam das Privat-Fernsehen und der »Trash im Mainstream« an, wo unter diesem Begriff nun »trotzige Entwertung für alle« geboten wird. Von der Comedy bis hin zu Coaching-Show lachen, wundern und ärgern sich Blöde über noch Blödere wenn diese in den Blödmaschinen offen und ehrlich zu ihrer Blödheit stehen.
Mario Barth, Stefan Raab und Bushido personifizieren dabei exemplarisch jene (von Harald Schmidt als bildungsbürgerlichen Tabubruch vorbereitete) »Vermählung von Trash und dumpfen Spießerphantasien«, die ihren Marktwert einer political incorrectness verdankt bei der Minderheiten vor allem dazu da sind, um Witze über sie zu reißen. Hätte Bushido statt den Drogen seine Homophobie aufgegeben, wäre er wohl auch nicht so schnell in den Mainstream geflutscht.
Und Pop? Kurz bevor es ungefähr in der Mitte des Buchs fast auswegslos wird (»niemand entkommt unbeschädigt«), taucht der Begriff auf. Als Gegenentwurf sowohl zur traditionellen wie zur intellektuellen Kultur wie zur Unterhaltungs- und Massenkultur. Popkultur, so die These, grenzt sich zu all dem ab, unterhält jedoch Beziehungen entlang von »Differenzierungen und Entgrenzungen« zu den jeweils anderen Feldern und spaltet sich demnach auch »früher oder später in ihren Kunst- und in ihren Unterhaltungsteil« auf. Zudem ist Pop »weniger Teil der Blödmaschine als vielmehr ein notwendiger und nützlicher Schmierstoff«, also das, was die Blödmaschinen sowohl schmieren wie anschmieren kann.
Dem ist entgegenzuhalten, das diese Erfahrungen in Sachen Pop in den letzten zwanzig Jahren immer weniger und schwieriger wurden. Nicht nur, weil die Blödmaschinen auch Pop verblödet haben (so unblöde wie gerne gedacht, war Pop dann ja auch nie), sondern weil Pop ähnlich (wenn nicht sogar noch mehr) wie »Bad Taste« und »Trash« nur mittels einer Profanisierung (Verschlagerung, Nationalisierung) überhaupt Zugang gewährt wird. Die Pop-Erfahrung der letzten Jahre lautet daher so: »Wenn eine liberale und kapitalistische Gesellschaft abweichendes Verhalten ??mainstreamen?? will (…), so ist die ??Karnevalisierung?? das probate Mittel.«
Deshalb treffen wir in den Blödmaschinen auf Schwule nur in Form von Comedians und beim moderieren des »Eurovisions Song Contest« und geht es bei Lady Gaga immer um Fasching, aber nie um Queer Politics.
Blöde Wunschmaschinen
Das erinnert oft an den »Anti-Üdipus« von Deleuze/Guattari. Auch »Blödmaschinen« wurde als Duett geschrieben, die acht »Hauptdiskurse« haben teilweise wesentlich längere »Abschweifungen«, die Sprache ist mitunter flappsig und parolenhaft (»Die Welt ist alles, was Reality-TV werden kann«, »Der Reallohnverlust schafft die Discounter, die Discounter schaffen den Reallohnverlust«, »Der weitläufigste Rohstoff des Kapitalismus ist die menschliche Dummheit. Das weitläufigste Produkt der menschlichen Dummheit ist er Kapitalismus«, »Das dumme Geld übernimmt den Finanzmarkt nicht anders als die Blödheit die Kommunikationskanäle«) und der Untertitel könnte ebenso »Kapitalismus und Stupidität 1« lauten. Auch die Theoriewerkzeuge sind ähnliche: Marxismus, Psychoanalyse, Semiotik, dazu Systemtheorie und Foucaults Schriften zur Gouvernementalität. So spinnt diese »Theorie der Blödmaschinen als soziale Praxis« auch die Theorie der »Wunschmaschinen« (bzw. der »wünschenden Maschinen«) unter neoliberalen Verhältnissen weiter. Die anti-ödipalen Wunschmaschinen, konnten ja ebenfalls schon zu Blödmaschinen werden (zu einem vitalistischen Hippie/Yuppie-Deleuzianismus oder zu faschistischen Maschinen wie wir es bei Theweleit nachlesen können). Zudem manifestiert (und präsentiert) sich Macht mittlerweile selbst als »verflüssigt« (als neoliberales Rhizom zwischen Staatsprivatisierung, Kontrollstaat und Politik als »Reality-Soap«).
Wie also da raus kommen, ohne in Kulturpessimismus oder in Nostalgie zu verfallen? Metz und Seeßlen können darauf auch keine Antworten geben (das wäre dann auch echt zu blöde), entlassen uns jedoch nicht ganz hoffnungslos. Immerhin gilt: »Alles, was man denken kann, kann man auch ändern.«
Zwar sei es verlockend angesichts der »Glanzlosigkeit der neoliberalen Kultur« selbst die von Enzensberger diagnostizierte »Kleinbürgerhölle« als »früher war alles besser« zu betrachten (immerhin stellte sie nicht wie heute einen Endpunkt dar, sondern hielt auch jede Menge Auswege parat), jedoch lässt sich dieses »besser« nur »aus ökonomischen Gründen« heraus definieren (wie das jetzige »schlechter« auch).
Zudem findet sich auch in den Blödmaschinen immer wieder ??Schmuggelware??: Von »The Simpsons« über »South Park« bis hin zu all jenen aktuellen US-amerikanischen Pay-TV-Serien, die seit »The Sopranos« zeigen, dass es doch auch anders geht.
Markus Metz, Georg Seeßlen: »Blödmaschinen. Die Fabrikation der Stupidität«
Berlin: edition suhrkamp 2011, 782 Seiten, EUR 25,-