zanshin ok ocean affine
Zanshin

»Ok Ocean«

Affine Records

Der Wiener Musiker und Produzent Zanshin hat mit »Ok Ocean« einen neuen Langspieler auf dem mittlerweile zu seiner musikalischen Heimat avancierten Label Affine Records vorgelegt. Nach den beiden Vorgängeralben »Rain Are In Clouds« (2011) und »In Any Case, By Any Chance« (2022) sowie dem Racing-Game-Soundtrack »Lightfield« (2018) und einer Handvoll EPs, die sich durch elektroakustische Abenteuer und komplexe Beats auszeichneten, reduziert und erweitert er nun seine musikalische Herangehensweise gleichermaßen. Wie in dem dieser Veröffentlichung vorangegangenen Mini-Album »The Subject Matters« (2023) und der kürzlich erschienen »Unsung« EP (2024) bereits als Routenplan angedeutet, verschlägt es ihn in tiefe Gefilde der synthetischen seriellen Musik. Vorsichtig könnte man von einem Ambient-Album sprechen. Vorsichtig deshalb, weil Ambient-Musik, und dabei Muzak am vorzüglichsten, herkömmlicherweise Achtsamkeit für alles, was nicht in der Musik angelegt ist, erzeugt und damit von den eigenen, von der Musik befangenen Gedanken ablenkt. Das Gegenteil dieser ablenkenden Achtsamkeit ist das Erzeugen von Konzentration. Diese ist oft Bestandteil serieller Musik, aber selten von Ambient-Produktionen. Die Musikstücke auf »Ok Ocean« entbehren zwar, jenen ähnlich, jeglicher Song- und Beat-Struktur, ziehen allerdings Aufmerksamkeit auf sich und damit auf das, was in den Rezipierenden im Moment des Zuhörens geschieht. Es gibt zwar keine Beats, dafür sehr wohl Rhythmus, keine Narrative, sondern eine Dramaturgie, in der keine Entwicklung notwendig scheint, keinen Minimalismus, indes dichte, zwar monotone, aber mit Spannung versehene Ereigniswiederholungen. All diese Aspekte spiegeln wohl den Entstehungsprozess des Albums wider. In der Presseaussendung von Affine Records eröffnete Zanshin Details zu diesem: Vor ein paar Jahren fand er sich ob eines Schlüsselbeinbruchs mit der Notwendigkeit einer mehrwöchigen Phase der Unbeweglichkeit konfrontiert. In dieser entstand das hier beschriebene Werk, in Skizzen auf einem Tablet PC, da die Arbeit mit verschiedenen Instrumenten nicht möglich war. Sich in dieser Zeit der Einengung, in der die Beschäftigungsmöglichkeiten wohl ohnehin schon sehr eingeschränkt waren, mit einem solch reduzierten Interface arrangieren zu müssen, ist anscheinend eine passable Grundlage dafür, auch bei den Zuhörenden ein ähnliches Maß an Konzentration zu erzeugen – auch wenn das Klischee des Leidens der Kreativen und der Lust am Mitleiden beim Publikum in der Kunst mittlerweile enorm abgegriffen scheint, trifft es in diesem Fall anscheinend zu. Der Titel »Ok Ocean« ist vielleicht ein bewusster oder unbewusster Nachhall der Sehnsucht nach Weite, Tiefe und Höhe, die in der Situation der Bettlägerigkeit nicht zu haben sind. Tracktitel wie »Immersed Infinity«, »Ascending Air«, »Ray Race«, »Manta Migration« und »Submarine Sunrise« bestärken diese Vermutung. Das unergründliche, bedrohliche, genauso wie beruhigende Meer wird überdies in der Psychologie gern als Analogie zur Tiefe des Unterbewusstseins verwendet. Das Wissen um die Konzentration durch aufoktroyierte Reduktion, als Gegenteil der ablenkenden Achtsamkeit und Aufmerksamkeit für ein Umgebendes, erzeugt zusammen mit der Assoziation des Meeres als Sinnbild für ein Unergründliches in uns, um das wir nur kreisen können, einen spannenden Hintergrund für die Rezeption des Albums, welches Zanshins wohl bisher persönlichstes zu sein scheint.

Home / Rezensionen

Text
Adrian Flux

Veröffentlichung
06.06.2024

Schlagwörter

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