Nettas wichtige Durchsage: Wenigstens gewinnt crazy © YouTube
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Worldmasterschaft of Schas

Der leidige Eurovision Song Contest, dieses Jahr aus Lissabon, lieferte seinen jährlichen Zirkus ab, wie immer frei von Visionen und frei von Euro, weil es ja um die Selbstbeweihräucherung der Nationen geht. Diesmal gab es aber zwei außergewöhnliche Momente, einen Höhe- und einen Tiefpunkt.

Gewonnen hat den »Schas« (ORF) Netta und sie war wieder eine jener KandidatInnen, die es verstand, das Beste draus zu machen. Und das geht so: Ablenken von dem vertrottelten Versuch, die einzelnen Länder (im wesentlichen jene Europas, aber auch einige asiatischer Provenienz sowie eben Australien) mithilfe ihrer vorzüglichsten Sangeskunst zu repräsentieren, die dann merkwürdigerweise fast immer mit einer banalen Form von Dance-Mucke unterlegt wird. Diese Volksvertretungsmaßnahmen mittels Musikschönheit sind aus einer Reihe von Gründen zum Scheitern verurteilt, da sie in einen Identitätssumpf zurückführen, der entweder touristisch blöd ist (»Wir sind Sachertorte, ihr seid Känguru«) oder aber gleich nationalistisch lebensgefährlich wird. Netta hat kapiert, dass diese Art von Auftragskunst immer miefiger Mist ist und die dunkle Seite des »Diktatoren-Pop« darstellt. Dem können Künstler entgehen, indem sie die individualistischen Linien betonen. Netta stellt etwas dar, das früher einmal »Unikum« genannt worden wäre, denn sie lenkt von ihren dem allgemeinen Körperregime nicht unterworfenen Formen ab, mittels Humor. Dem Publikum darf zugutegehalten werden, dass sie auch dies wohlwollend bejubeln, und ja, eine Frau ist kein »toy« für einen »boy«. Sehr richtig, sollte sich dann mal rumsprechen. Überhaupt ruft sie zu Diversität und allgemeiner Akzeptanz auf und dass sie dann am Ende auch noch tränenüberströmt ihrem Land die Liebe gesteht, lassen wir einmal durchgehen, weil es halt Israel ist.

Tiefpunkt
Während des Auftrittes von SuRie, als sie gerade im Auftrage ihrer Majestät fürs Vereinigte Königreich herumhampelt, rennt ein Mann auf die Bühne und entreißt ihr das Mikrophon. Kein Beauftragter der Geschmackspolizei, sondern ein politischer Aktivist. Im ORF-Kommentar wurde sich gleich aufgebrüstelt: Wie so etwas möglich sei und warum dies nicht verhindert würde. Klar sei zumindest, der Mann wäre ein »Trottel«. Im selben Atemzug bittet der Moderator das Publikum, zu twittern, was der Trottel denn auf Portugiesisch gesagt habe. Hmmm, nachfragen scheint eher überflüssig, schließlich war der Richterspruch doch schon längst gefällt. Die Möglichkeit, dass dieser Mann etwas zu sagen hat, das ähnlich wichtig sein könnte wie das, was SuRie an ödem Stampf über die Boxen schickt, wurde nicht erwogen. (Mag dies auch noch so unwahrscheinlich sein.) Beim ORF erkannte man bis zum Schluss kein eigenes Fehlverhalten, sondern freute sich ganz besonders über den Gewinner Israel, weil dort wohl mit besserer Security zu rechnen sei, damit so etwas Schröckliches nicht mehr vorkomme. »Da muss man ja mal was tun, das passiert ja immer wieder.«

Dieser Vorgang ist bezeichnend und enorm deprimierend. Ein Pop-Ansager wünscht sich stärkere Sicherheitskontrollen und letztlich nichts anderes als den reibungslosen Ablauf. Ist aber nicht gerade dies das Ermattende am Eurovision Song Contest? Diese bis ins kleinste Detail durchchoreografierte Belanglosigkeit? Waren nicht ein paar der besten Popmomente genau jene, in denen plötzlich jemand auf die Bühne rannte und allem eine unerwartete Wendung gab? Ist Pop nicht in seinen guten Momenten, wie Georg Seeßlen meint, »Gefängnisrevolte«? Der ORF zumindest war an diesem Abend ganz klar auf Seiten der Aufseher. Eingedenk aller Sorge um die englische Performerin muss es hier heißen, L’autriche: zéro points.

Höhepunkt
Und dann passierte etwas Unerwartetes, mit dem man als verelendeter Fernsehzuschauer eigentlich gar nicht mehr rechnen darf. Das Publikum wird Zeuge des Hereinbrechens der Kunst inmitten des Sound-Dungs. Der letztjährige Gewinner Salvador Sobral betritt nebst Pianist die Bühnen. Dieser spielt zunächst ein paar Akkorde am Flügel mit gestoppten Saiten (genau, so John-Cage-mäßig.) Ist da ein Fehler passiert, wird die Security die beiden verirrten Seelen gleich von der Bühne eskortieren? Nein, die Sache ist abgesprochen. Salvador Sobral, der, so hoffen wir, nach langer und schwerer Krankheit genesen ist, entfaltet eine Aura des Entrückten. Und ebenso eigenwillig innerlich musiziert er. Die Antics die er auf die Bühne bringt, dürfen getrost als wirkungslos bezeichnet werden, das Publikum ist allenfalls irritiert. Das sind keine geprobten Moves, das braucht der Knabe für den Kontakt zu seiner Musik. Sein Gesang, seine Lautbildung ist in Teilen experimentell, es scheint, als würde er sein Gesicht unpassend zur Fratze verziehen wollen, dabei streckt sich sein ganzer Leib dem Klang entgegen. Salvador Sobral und sein Pianist Júlio Resende musizieren gemeinsam auf der Bühne, hören einander, verbinden sich mit ihren Klängen, das hat es wohl lang nicht mehr bei der Eurovision gegeben. Aber es kommt noch besser.

Das Beste daran (»den Schas«) gewonnen zu haben, sei es, so wunderbare Musiker kennenlernen zu können, meint Sobral und dann klappen die Kinnladen runter, denn er bittet Caetano Veloso auf die Bühne. Veloso ist brasilianischer Politaktivist und musikalische Singularität. Er hatte sein Stück vom Erfolgskuchen, als er in den 1960ern auf den Trichter kam, Beatles-Nummern mit Elementen des Bossa zu kombinieren. Die Sache wurde als Tropicalismo gelabelt. Da er aber ein breites und tiefes Interesse am Musizieren besaß, ergründete er Möglichkeiten der experimentellen Musik, der E-Avantgarde und der brasilianischen Volksmusik, was dem längst auf Bossa-Rock geeichten Publikum in Velosos Heimat so gut gefiel, dass sie das Plattenlabel zwangen, den Kaufpreis von Velosos Avantgarde-Scheiben zu refundieren. Sagen wir einmal so, der Mann ging seinen Weg und hinterließ dabei eine Schneise. Auf der kann sich jetzt Sobral umschauen und das Publikum des Eurovision Song Contest durfte kurz einen winzigen Einblick genießen, was das so heißen könnte, Musik zu machen. Ein Gnadenmoment. Beim nächsten Mal ruft die Unterhaltungssparte vom ORF wahrscheinlich die Polizei.

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