»Geht’s noch?« Das kann einem schon in den Sinn kommen, wenn man sich mit dem immer noch währenden Festhalten der SPÖ-geführten Stadtregierung an den Plänen zur sogenannten »Lobau-Autobahn« beschäftigt und sich das Projekt der Stadtstraße (oder eigentlich Stadtautobahn, wegen der Überdimensionierung dieser) und die fortschreitenden Bauarbeiten in der Donaustadt ansieht. In welcher Zeit lebt diese Stadtregierung, vor allem die SPÖ-Führungsriege? Haben sie denn überhaupt nichts von den Zeichen der Zeit mitbekommen? Hitze im Sommer, Dürre im Frühjahr, vermehrter Starkregen. Das alles spielt sich allein in Wien und in Österreich ab. Die Aufzählung für globale Phänomene könnte noch lange fortgesetzt werden und übertrifft die Auswirkungen, die wir derzeit schon in Österreich wahrnehmen, noch bei weitem.
Die Klimakrise ist kein abstrakter Begriff, der sich irgendwann in einer fernen Zukunft abspielen wird. Sie ist Realität, im Hier und Jetzt: Im Wien des 21. Jahrhunderts und noch stärker in anderen Teilen der Welt. Und die Stadtregierung will immer noch Autobahnen bauen! Das muss man auf sich wirken lassen, um die ganze Absurdität dieses Vorhabens zu begreifen. Dafür braucht man auch kein tieferes Studium der Klimawissenschaften oder der Volkswirtschaftslehre hinter sich gebracht zu haben. Angesichts dessen lässt sich auch sagen: Die Welt steht in Flammen und die Stadtregierung von Wien will noch das nötige Öl zum Anheizen liefern lassen!
In Wien hat sich daher auch im letzten Jahr (vor allem aus der Klimabewegung heraus) eine Protestbewegung entwickelt, die unter dem Namen »Lobau bleibt!« seitdem alles daransetzt, diese Projekte zu stoppen. Diese Bewegung unterstützt den schon lang andauernden lokalen Protest gegen die Projekte. Die Existenz der Protestbewegung und auch das Umgehen der Stadtregierung mit dieser in den letzten Monaten ist in der Öffentlichkeit bereits bekannt geworden. Um das Vorgehen der Stadtregierung zu begreifen, das geradezu manisch anmutende Festhalten an den Projekten und den damit verbundenen Umgang mit den Protesten, sollte der Blick erst einmal auf die globale Lage gerichtet werden. Denn mit der empirischen Faktenlage der Klimakrise vor Augen stellen sich die Fragen: Woher kommen die Antriebsgründe der Sozialdemokratie? Was sind die Hintergründe? Ist es schlicht Ignoranz?
Ein kurzer Einblick in die globale Lage
Vor nicht allzu langer Zeit sind zwei weitere Teile des 6. Berichts des IPCC, des Weltklimarats erschienen. Diese Teile zeichnen erneut ein wirklich düsteres Bild und auch die Tonlage und Sprache des UN-Generalsekretärs bei der Präsentation des letzten Teils ist eindringlich und harsch. Es ist doch bemerkenswert, wenn von höchster Stelle die Diagnose kommt, dass »nicht die Klimaaktivist*innen die gefährlichen Radikalen sind, sondern die Länder, die die Produktion von fossilen Energieträgern erhöhen.«
Wir müssen dann weiter auf Spurensuche gehen, wie es dazu kommt, dass diese Länder oder besser gesagt die Regierungen dieser Länder die gefährlichen Radikalen sind, wie der UN-Generalsekretär es nennt. Und diese Suche muss nicht weit gehen, denn man trifft schon auf den ersten Schritten auf die treibende Kraft: Es lässt sich erkennen, dass es auf globaler Ebene ein kapitalistisches Wirtschaftssystem ist, das für unsere Produktion und Konsumtion zuständig ist, in dem es in keiner Weise gelingt, mit der Klimakrise umzugehen.
Obwohl es in dem Abkommen von Paris relativ weit gesetzte Zielvorhaben der Länder gibt (die allerdings auch bei weitem noch nicht weit genug führen), sind in der Realität keinerlei bis wenig Umsetzungen dieser Zielvorhaben zu sehen. Ohne an dieser Stelle in empirische Details zu gehen (die Daten dazu sind relativ leicht einsehbar[i]), nur so viel: Nach pandemisch bedingten »Einsparungen« im Jahr 2020 war 2021 wieder das Jahr mit den historisch und global höchsten CO2-Emissionen bezüglich der Gewinnung von Energie.[ii]
Ein zerstörerisches System
Der Begriff des »fossilen Kapitalismus« und das Erkennen des fortwährenden Bestehens dieses höchst zerstörerischen Systems ist daher eine treffende und essenzielle Diagnose. Die Analysen zu den Dynamiken dieses Systems sind weit verbreitet. Ich will hier auf zwei Punkte dieses Systems eingehen, die zentral verantwortlich sind: Erstens ist es die fortwährende Ideologie des Wirtschaftswachstums (was ein Wachstum der national produzierten Waren bedeutet), auch für die Länder, in denen es eigentlich jetzt schon genug materiellen Wohlstand für alle geben sollte (wie beispielsweise Österreich). Diese Wachstumsmanie ist systematisch ein notwendiger Bestandteil des kapitalistischen Systems und führt durch den fossilen Antrieb dieses Wachstums zu einem ungebremsten Anstieg der CO2-Emissionen.
Zweitens und eng damit verbunden ist die ungebrochene Macht der fossilen Konzerne in diesem System, in deren Interesse es ist, weiter und ungebremst ihre Profite einzufahren, ohne Rücksicht auf die Klimakrise oder andere Umweltzerstörungen. Dafür finden sie ihre Gehilfen in den politischen Eliten der Länder und Regierungen. Zu diesen fossilen Konzernen gehören nicht nur die, die direkt an der Produktion von fossilen Energieträgern beteiligt sind, sondern alle Industrien, die daran angebunden sind, davon profitieren und in deren Interesse es ist, dass diese Dynamiken des fossilen Kapitalismus ungebremst weiterlaufen, wie z. B. auch die Bauindustrie.
Die Diagnose, wohin das führt, wurde schon geliefert: Dieses kapitalistische Wirtschaftssystem ist neben seinem unsozialen Charakter, der schon länger vielen Menschen bewusst geworden ist, zutiefst dumm und daher ist es trotz vieler politischer Bekenntnisse in keiner Weise möglich, mit der Klimakrise und den anderen ökologischen Krisen umzugehen. Angesichts dessen stellt sich die wichtige Frage, die auch in Wien relevant ist: Wer sind die Realist*innen? Die, die sich in Regierungsämtern als die Träger*innen der Vernunft ausgeben und weiterhin an den zerstörerischen Dynamiken dieses Systems festhalten oder die oft als naive und realitätsferne Utopist*innen bezeichneten Klimaaktivist*innen, die ihren Protest auf verschiedene Art ausdrücken? Die Antwort ist dann doch recht klar: Die einzige Utopie angesichts der Klimakrise ist, dass dieses System so weiterlaufen kann wie bisher, und diese Utopie ist eigentlich eine Dystopie.
Was passiert in Wien?
Wie drückt sich das in Wien und den Autobahnprojekten der Stadtregierung aus? Auch in Wien zeigt dieses System seine dumme und hässliche Seite. Denn die Wiener Sozialdemokratie ist Teil dieser Dynamik. Auch sie ist, wie sich am Beispiel der Projekte der Lobau- und Stadtautobahn zeigt, Gehilfin der Profitinteressen von fossilen Konzernen.
Im Marketing der SPÖ und im allgemeinen politökonomischen Diskurs läuft das dann unter der der Bezeichnung der »Standort- und Arbeitsmarktpolitik«. Es werden Vereinbarungen zwischen Politik und Interessen der Konzerne öffentlich in einer »Zukunftsvereinbarung« zwischen Wiener Stadtregierung und der Wiener Wirtschaftskammer festgehalten. Vom Bau der Stadtautobahn profitieren zuvorderst die Konzerne, die unmittelbar am Bau beteiligt sind, namentlich STRABAG und PORR. Vom Megaprojekt Lobau-Autobahn, inklusive Tangentenanbindung mit der Stadtautobahn, sollen dann durch die beschworene Standortpolitik neben den Baukonzernen auch Unternehmen profitieren, die man durch das Projekt zur Ansiedelung heranziehen will. Man möchte der Führungsriege der SPÖ hier entgegenrufen: »There is no Standort on a dead planet!« Dann sollte eigentlich sogar auch der Klimakrise und anderen ökologischen Krisen gegenüber offenbar ignoranten Sozialdemokrat*innen einleuchten, wie wahnsinnig diese Projekte sind.
Denn mit diesen Projekten reiht sich die SPÖ und die Wiener Stadtregierung in diese unerträgliche Realitätsverdrängung bezüglich der Klimakrise ein. Sie sind das sprichwörtliche Öl ins Feuer! Es werden offensichtlich schon allein für den Bau eine immense Menge an fossiler Energie und Rohstoffen verbraucht und dann soll auf diesen Autobahnen selbstverständlich auch fossiler Verkehr fahren. Personenverkehr, aber auch Warenverkehr aus allen Ecken Europas und der Welt. Was das für die Ankurbelung der CO2-Emissionen bedeutet, dafür braucht man keinen Taschenrechner.
Der Klimafahrplan
In dieser ganzen Gemengenlage, zwischen Klimakrise, den offensichtlichen Profitinteressen der großen fossilen Konzerne, der historischen »Verbandelung« der SPÖ-Führung mit diesen (und vielleicht auch als Reaktion auf die »Lobau bleibt!«-Proteste) hat die Stadtregierung einen »Klimafahrplan» veröffentlicht, weil auch sie die Realität der Klimakrise nicht komplett zu verdrängen vermag und den öffentlichen Diskurs nicht vollends ignorieren kann.
In diesem Klimafahrplan gibt es auch ein Kapitel zur Mobilität, also zum Verkehr in Wien. Es gibt Pläne und Ideen zu lesen, bei denen es aber letztendlich auf die Umsetzung ankommt. Das lässt sich gut an den Pariser »Klimazielen« sehen, die nicht im Entferntesten erreicht werden. Konkret: Wie um alles in der Welt sollen bestimmte Pläne umgesetzt werden, allen voran die Reduzierung des Anteils an motorisiertem Individualverkehr (modal split), wenn gleichzeitig neue Autobahnen gebaut werden? Die Stadtregierung offenbart sich hier für jede*n aufmerksamere*n Beobachter*in als zutiefst unglaubwürdig und widersprüchlich. Anscheinend ist irgendetwas an dieser Verkehrsproblematik und -politik ein heißes Eisen, von dem man lieber die Finger lassen will.
Wohin geht der Weg?
Zum Glück regt sich auch in der jüngeren Generation der SPÖ Widerstand und es gibt Menschen, die nicht mit Scheuklappen durch die Welt gehen und eine radikale Verleugnung der Realität pflegen. Deswegen wird es auch am SPÖ-Parteitag am 28. Mai 2022 einen Antrag gegen den Bau der Stadtstraße (bzw. Stadtautobahn) geben. Damit haben auch die Genoss*innen der SPÖ die Chance, sich konkret zu entscheiden, auf welcher Seite sie stehen: auf der Seite der Mächtigen, Reichen und Wohlhabenden, kurz, dort wo das Kapital ist, oder auf der Seite des übrigen Teils der (Welt-)Bevölkerung, der über kurz oder lang in der einen oder anderen Form von der Klimakrise und anderen ökologischen Krisen betroffen sein wird. Die möglichen Alternativen bezüglich des Verkehrs für die Donaustadt sind längst präsentiert.
Die »Lobau bleibt!«-Proteste gehen jedenfalls weiter, gegen eine sozialdemokratische Führung, die anscheinend auch sozialdemokratische Grundwerte verloren hat. Denn die Klimakrise und andere gegenwärtige ökologische Krisen sind und werden immer mehr zutiefst soziale Krisen. Mit diesem Kampf können wir in Wien konkret unseren Beitrag gegen mächtige, zerstörerische Profitinteressen leisten. Er bietet eine Chance als Hebel für eine echte radikale Trendwende in der Wiener Verkehrspolitik, hin zu einer klimagerechten Verkehrspolitik für die Menschen und nicht für die Konzerne. Alle, die eine solche Veränderung wollen, können am 28. Mai auf die Straße gehen, auf dem Weg zum SPÖ-Parteitag, und sagen: »Lobau bleibt!« sind wir alle!
Moritz Bürchner ist aktiv bei der AG Lobau von LINKS und engagiert sich für die »Lobau bleibt!«–Proteste.
Link: https://lobaubleibt.at/
[i] Siehe zum Beispiel https://climateactiontracker.org
[ii] Siehe https://www.iea.org/reports/global-energy-review-co2-emissions-in-2021-2