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Trabant Echo Orchestra

»Winter Suite«

Qilin Records

Das Zirkuszelt ist fleckig und rissig. Der Kamera fährt nichts desto trotz darauf zu, durch den schattigen Eingang hinein in die Arena, wo vor halbleeren Sitzreihen der Conférencier seine große Ankündigung spricht: »… klassizistische Charaden, neobarocke Popkunst, ein Drahtseilakt zwischen Pop und Klassik, zwischen Kammerkonzert und Popminimalismus, meine Damen und Herren, Ladies and Gentlemen …«
Die Kamera fährt weiter und gleitet an seinem violetten Sakko mit der orangefarbenen Nelke im Knopfloch vorbei, folgt dem Impresario, der mit nervösen Schritten auf und ab geht und zu einem Reporter spricht. »Diese Besetzung ist einzigartig, hören sie, Piano, Perkussion, Viola, Cello und Kontrabass … seit 2011 gibt es dieses illustre Musikerkollektiv, von Martin Lorenz und Tobias von Glenck gegründet … aufgrund vieler Auftragswerke durchaus heimisch in der Modernen Klassik, aber auch im Jazz, ja, ja, durchaus, hier gibt es keine Genregrenzen … nein, die Zielgruppenproblematik sehe ich gar nicht, richtig, intelligente Hörerinnen und Hörer, ganz richtig …«
Die Kamera fährt weiter, tastet sich die Sitzreihen entlang. Eine übergewichtige Dame mit einem gefönten Pudel auf dem Schoß spricht zu ihrer Nachbarin: »Ich mag diese kleinen Minimalismen, die sie überall eingestreut haben, und die wohldosierten, verwehten Akkorde, die sie immer wieder in betörender Unmittelbarkeit stehen haben lassen …« Ihre Nachbarin antwortet: »Du liebe Güte, was für ein Stilkarussell!« Drei Plätze weiter sitzt ein schmächtiger Mann mit Brille und fettig glänzendem, wie wohl spärlichem Haar und spricht zu seinem Nebenmann: »›Winter Suite‹ halte ich für einen etwas zu hoch gegriffenen Titel, außer man berücksichtigt, dass der Begriff Suite ohnehin verwaschen ist und nur ein nobleres Synonym für Potpourri ist …« Einen jungen Mann mit sorgfältig gestutzten Kinnbärtchen zwei Reihen weiter hinten scheint diese Rede furchtbar zu erzürnen: »Ihr blasierten Kritiker, ihr engstirnigen Zyniker! Ihr würdet eine musikalische Konzeption, die nicht in eure Schub- laden passt, niemals erkennen! Urteilt nicht gleich nach dem ersten Hinhören, hört genau hin!«
Die Kamera schenkt weiter über das Gemurmel im Zuschauerraum, das allmählich verebbt. Das Ensemble hat die Bühne betreten und stimmt die Instrumente für den zweiten Akt. Die Kamera hat ihre Runde inzwischen vollendet, gleitet wieder zum Zirkuszelt hinaus. Der PR-Manager des Spektakels läuft noch ein paar Schritte keuchend mit: »… aber so geht es auch nicht, liebe Leute von der Presse, ihr wisst doch, dass die Musiker von Rezensionen kleine bündige Wertungen erwarten, ein bescheidenes ›Meisterwerk‹ hier, ein eingeschobenes ›gelungen‹ da, ein dahingehauchtes ›hörens- wert‹ vielleicht …«
Die Kamera führt unbeirrt ihren Weg weiter und verschwindet in die Nacht, während aus dem Zirkus- zelt erneut Noten der »Winter Suite« in all ihrer stoischen Verspieltheit dringen und gleich wieder im Abendwind verhallen.

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