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Erstes Wiener Heimorgelorchester

»?töpie«

Monkey Music

Letztes Jahr hatte ich durch Zufall die Ehre in der Verlassenschaft des gro&szligen Dichters Andreas Okopenko wühlen zu dürfen. In der Musiksammlung fand sich neben manch obskurem und entlegenem Teil auch eine CD des Ersten Wiener Heimorgelorchesters (EWHO) von 2003. Das schien mir gut zu passen, sind doch auch die Heimorgler leidenschaftliche Sprachakrobaten und verfügen somit neben ihrer originellen Instrumentalausstattung aus den Häusern Bontempi, Yamaha oder auch Casio mit ihrem oft mehrstimmigen Männergesang über ein zweites Alleinstellungsmerkmal, wie man das in der Wirtschaft wohl formulieren würde. Das machte selbst die Hochkultur hellhörig (Wiener Festwochen, Burgtheater, Steirischer Herbst) und ganz nebenbei reüssierte das Quartett 2009 mit dem fulminanten »Widerstand ist Ohm« beim Protestsongcontest.
Bei der Präsentation von »?töpie« im ORF- Radiokulturhaus standen Thomas Pfeffer, Daniel und Florian Wisser sowie Jürgen Plank als augenzwinkernde Version von Kraftwerk vor ihren armseligen Kinderorgeln und spielten sich mit Witz und Charme durch die Stücke des aktuellen Albums und ältere Evergreens aus ihren elektronischen Nähkästchen. Selten habe ich so einen klaren Sound im RKH gehört, vor allem wenn man bedenkt aus welch grauer Technikvorzeit die billigen Consumer-Keyboards kommen. Textlich hat die aktuelle Produktion wieder glänzende Verdichtungen parat, die neben dem genüsslichen Zerkauen der Laute auch gern dadaistisch verknappte Zeitkritik transportiert. Im Stück »Käseleberkäse« etwa wird nicht nur diese absurde Wortkreation abgefeiert, es lässt sich auch leise Kritik an den deftigen Ernährungsgewohnheiten der Üsterreicher herauslesen. »Fischer« ist eine Parabel über das Verhältnis Herrschaft/ Unterwerfung, Naturgesetze, und den sozialen Aufstieg.
Mein Geheimfavorit auf »?töpie« ist »Das Lied das du schon kennst«, in dem Thomas Pfeffer mit schmierig-schleimiger Schlagerintonation die – um es mit Nietzsche zu sagen – ewige Wiederkehr des Gleichen in der (Pop)Musikproduktion und die entsprechenden Hörgewohnheiten mancher zum Brüllen komisch aufs Korn nimmt. Ich frage mich nur, ob hier eine bestehende Melodie geklaut wurde oder einfach eine absolute Konsensmelodie gestrickt wurde. »A Bass A Drum« schwindelt durch die Hintertür Zeilen von Wolfgang Ambros (»a Dram, a Besa Drum«) in einen Kontext, der anders als der ursprüngliche kaum sein könnte, und dem Dichter Ror Wolf wird gleich doppelt Referenz erwiesen: das Gedicht »Das nordamerikanische Herumliegen« wird mit besagten Orgeln vertont, und am Ende der Tracklist kommt der 80-Jährige mit imposanter Lesestimme selbst zu Wort.
Wunderbarer mehrstimmiger Harmoniegesang dominiert im mitgröhltauglichen »Unwahrscheinlich«, wobei sich mir nicht ganz erschlie&szligt, warum etwas, nur weil es sich reimt, auch unwahrscheinlich (und gleichzeitig wahr!) sein soll. Aber die Logik ist eben nicht ganz so wichtig wie der Klang im EWHO-Universum. »Sensen«, ein kurzer Blödelwalzer, rundet »?töpie« humorig ab. Der anfänglich simpel klingende Soundteppich entpuppt sich mit wiederholtem Hören als durchaus elaboriert, was diesem beeindruckend eigenständigen Werk auch längerfristiges Standing garantieren sollte.

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