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Kamasi Washington

»The Epic«

Brainfeeder

Wann fing das eigentlich an, mit Kamasi Washington? Ich glaube, ich bin zuerst bei Andreas Borcholtes »Spiegel-Online-Abgehört« darauf gestoßen. Höchstwertung für »The Epic«, drei CDs, fast drei Stunden Jazz, der Rest der Musikpresse verstand es nur so halb beziehungsweise nur als halb so revolutionär, im politischen Sinne, feierte trotzdem, Feuilleton und das Jazzfachmagazin »Focus« eh. Wurde Zeit, dass sich einmal die »spex« der Sache annimmt, und, siehe da: Ja, recht hat Tobi Müller, wenn er schimpft, dass diese Platte natürlich die Coltrane-Vergleiche nicht verdient, dass hier eine großartige Jazz-Platte entstanden ist, die aber in ihrer Zeit gelesen werden muss und die Aufmerksamkeit nicht ihrer Wucht, sondern dem Label wegen erhält, Brainfeeder, Flying Lotus et. al. Bei Kendrick Lamar gastierte der Saxophonist zuletzt sehr prominent, bei einer Platte, die, ähnlich wie Borcholte es auch Washingtons eigener zuschreibt, nicht außerhalb des Kontexts neu erwach- enden Bewusstseins über die rassistische Gesellschaftsstruktur der USA gelesen werden kann.

Nun, ich habe ja keine Ahnung vom Jazz, na klar nicht, null, aber selbst ich merke, wie schwach- brüstig Washington gegenüber Pharoah Sanders bläst, und, jepp, egal ist mir das auch, denn der Sound ist toll, es macht Spaß, sich in den Strudel der Musik zu begeben, auch in dieses Retro-Feeling, die Geschichtsbewusstheit, die in der Bigband-plus-Chor-plus-Orchester-Besetzung wummert. Und wenn ich das alles so geil finde, weil es eben so einen geilen Musikgeschichts-Moment aus den Fifties triggert, als Jazz sich selbst überwand, so ist es doch ein recht banales Gesangsstück, das Finale der ersten Platte, »The Rhythm Changes«, das mich ernsthaft emotional mitgenommen hat, cheesy lyrics, freilich: »Our love, our beauty, our genius / Our work, our triumph, our glory / Won’t worry what happened before me / I’m here« – aber hey, bitte, das ist eine der größten ›Du!‹-Sager des Jahrzehnts, ob gerichtet an die Liebe, das Leben, die Musik, das weiß ich noch nicht.

Als ich eben, als es ein bisschen aufklarte, mit diesem Track, fast acht Minuten, die da stundenlang in Dauerschleife liefen, über das Tempelhofer Feld spazierte, wurde ich jedenfalls komisch ange- sehen, weil ich unwillkürlich solche Jazz-Fressen zog, Luft-Becken betrommelte und mich vermutlich insgesamt benahm wie die drogenfreie Version eines Kerouac-Characters aus der Zeit, als Hipster noch Hipster waren und in Kellerlöchern Opium rauchten, statt in Neukölln auszusehen wie die ewigen 90er. Immerhin schrie ich nicht in den funky parts ›Get it on!‹ oder ähnliches, und wenn ich es getan hätte, würde ich es hier sicherlich nicht schreiben.

Nun, Kamasi Washington, wenn er hier auch nicht den Jazz radikal überdenkt, musikalisch, oder handwerklich ins Genialische schießt, bringt den klassischen Jazz zurück in den Diskurs, an die Seite von HipHop und avantgardistischer Elektronik – komisch, dass er weg war. Und komisch, dass ich darum Lust habe, einmal weiter zu horchen – jetzt muss ich noch einmal kurz innehalten und über- legen: Hatte ich da eine Verabredung mit wohlgesinnten FreundInnen bezüglich Jazz, in Verbindung mit ›Erschießen, wenn‹, oder so? Ich habe nämlich durchaus einige Verabredungen, man möge mich im Fall der Fälle bitte beseitigen, wenn ich anfange, Dinge zu tun: Texte zu schreiben wie Ronja von Rönne, z. B., aber davon bin ich noch weit entfernt, und Jazz – well, ich werde es morgen sehen.

 

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