Ulrich Rois beim Salon skug am 22. Juli 2018 im Central Garden © Mio
Ulrich Rois beim Salon skug am 22. Juli 2018 im Central Garden © Mio

Summer of Rois

Ulrich Rois hat beim letzten Salon skug freundlicherweise sein neues Soloalbum released. Wir sind dafür dankbar, nehmen aber trotzdem unsere Arbeit ernst und hören ein zweites Mal kritisch hin. Ein Interview mit dem Künstler im Anschluss.

Anfang August ist im Wiener Backofen der letzte Salon skug bereits unvorstellbar. Am 22. Juli war es aber kühl und regnerisch. Betroffen starten missmutige Blicke in den Nieselregen und beinahe wäre das Konzert ins Wasser gefallen. Eine glückliche Eingebung und eine riesige Zeltplane verhinderten dies. Die Plane wurde über den »Zuschauerraum« des Central Garden gespannt und der Künstler nahm mit seinem wertvollen Equipment unter einem überraschend regendichten Sonnenschirm Platz.

Bekanntlich standen während der Geniezeit von Grateful Dead mehr Leute vor als in der völlig überfüllten Konzerthalle. Hören konnten sie da draußen nur wenig, aber neben Sound, Rhythmus und Lyrics gibt es in der Musik noch etwas anderes, man kann es mangels eines besseren Ausdrucks einfach Atmosphäre nennen. Das lernt man nicht in der Gitarrenstunde, das ist ein bisschen kosmisch. Es gilt, die zufällig herumliegenden Fäden zusammenzuschlingen, und Ulrich Rois kann das. Der Regen prasselte auf die Plane, die Leute rückten ihre Stühle eng aneinander und plötzlich hatten alle zwischen Herz und Hirn schwingende Stromgitarrenseiten gespannt. Die atmosphärische Dichte unterm Zeltdach war kaum zu überbieten und denen, die das Glück hatten, dabei zu sein, wird dieser Salon lange in guter Erinnerung bleiben.

Weil es während der Predigt von Ulrich Rois regnete, rückt die Gemeinde unter der Zeltplane zusammen. © Mio

Everything is melting
Mittlerweile zeigt der Feuerball am Himmel wieder, was er kann. Alles schmilzt in diesem Sommer, die alles zerbrennende Sonne zerstört einem nicht nur den Genuss des cremigen Stracciatella-Eises, nein, auch die Schallplatten fließen Dalí-esk am Regal des schwedischen Möbelriesen herunter und die Magnetbänder der wieder ausgepackten Musikkassettensammlung (plus der neuen, stylischen vom letzten Tape Store Day) sind so gut wie dahin. Und doch: Multi(kulti)instrumentalist Ulrich Rois, der in seinen Projekten – allen voran Bird People – Psychedelic Folk, Ambient und Primitivism verquickt, kommt nach den beiden 2016er-Tonträgern »You Radiate Golden Light« (EP) und »Along the Belt, Around the Bend« (Debütalbum) erneut mit einer feschen, grünen Kassette mit ultraschickem Artwork (von Swantje Musa) hinter dem Regenbogen hervor und verzaubert auf »Everything is Merging« (Feathered Coyote Records) mit seinem allseits geliebten Sound.

Nur mit Gitarre und mit beknöpften und beschalterten Maschinchen (für vereinzelte Bass-, Synth- und Percussioneinlagen) bearbeitet er vielschichtig und lässt alles mit- und ineinander verschmelzen, bis man sich in einem Traumkosmos wiederfindet, der im fantastischen Cover von Kendra Smiths (The Dream Syndicate, Opal) »Valley of the Morning Sun« höhepunktet: Rois’ leichter, fast hingehauchter Gesang und die verschwimmenden Akkorde gehen auf in einem einzigen See aus Licht, Liebe und Glück. Das ist die A-Seite. Die B-Seite besteht aus vielen instrumentalen Jams. Die Maschinen werden nun zur Hilfe genommen, um einen Herzschlagrhythmus zu produzieren, über den Ulrich Rois seine Psychedelic-Slides legt. Zweiter Höhepunkt: der Titeltrack »Everything is Merging«. Fantastisch komponierter, herzzerreißender Psychedelic-Ambient-Pop, nun wieder mit Gesang. Einfach toll.

Anlässlich des Releases hat skug Ulrich Rois auch um ein kurzes Interview gebeten.

skug: Deinen unzähligen Auftritten und der Auflegerei zufolge scheint dir der Live-Moment sehr wichtig zu sein. Auch auf deinem neuen Album finden sich einige Instrumental-Jams. Wie wichtig sind dir Improvisation und Überraschung, Freiheit und Spannung auf der Bühne oder im Studio?
Ulrich Rois: Ja, mir ist der Live-Moment unglaublich wichtig, sowohl bei tatsächlichen Auftritten, als auch im Studio. Bei meinem Album »Along the Belt, Around the Bend« sowie bei den meisten Bird-People-Aufnahmen gibt es zum Beispiel keinerlei Overdubs, alles wurde aufgenommen, wie es im Moment gespielt wurde. Mir macht es allerdings auch Spaß, die Möglichkeiten eines Studios auszunutzen, wie zum Beispiel auf »Everything Is Merging«, wo ich viel mit verschiedenen Soundschichten gearbeitet habe. Eine gewisse improvisatorische Grundfreiheit ist mir bei Musik allerdings immer wichtig, reine Interpretation und Wiedergabe finde ich persönlich nicht so interessant.

Herr Magister Ulrich Rois, du warst Dozent an der Uni. Hat dieser theoretische Ansatz einen Einfluss auf deine Arbeit als Musiker? Überschneiden sich diese beiden Welten? Oder macht dir die Musik einfach mehr Freude?
Ich war Lehrveranstaltungsleiter, während ich an meiner Dissertation geschrieben habe, die ich allerdings bisher nicht beendet habe und die vorläufig auf Eis liegt. Es gibt für mich definitiv Überschneidungen zwischen den beiden Welten. Ich habe mich auch in meiner wissenschaftlichen Arbeit viel mit Mischformen aus Text und Musik beschäftigt, so zum Beispiel in Arbeiten über die Beat-Literatur oder Grateful Dead. Derzeit bin ich einfach sehr intensiv mit Musik beschäftigt und ausgelastet, aber mich interessiert Literatur nach wie vor sehr und ich kann mir auch vorstellen, irgendwann einmal wieder im akademischen Bereich zu arbeiten.

Was sind deine Inspirationen, wie bist du auf deinen eigenen Sound gestoßen?
Ich höre alle mögliche Musik und ziehe auch aus vielen verschiedenen Bereichen Inspiration, einen gewissen roten Faden kann ich vielleicht in einer psychedelischen, meditativen oder tranceartigen Komponente festmachen. Besonders wichtig in meiner musikalischen Entwicklung waren Bay-Area-Psychedelic-Rock-Bands wie Grateful Dead und Jefferson Airplane, minimalistische KomponistInnen wie Pauline Oliveros und Terry Riley, Noise Rock wie Sonic Youth und Dinosaur Jr. und der experimentelle Underground, allen voran Projekte wie MV & EE, Sunburned Hand Of The Man und Pelt.

Du hantierst mit vielerlei Instrumentarium auf deinen Aufnahmen und Konzerten. Suchst du immer wieder bewusst nach Neuem oder greifst du die zufällig auf?
Manchmal suche ich bewusst nach neuen Klangfarben, ich lerne aber auch einfach gern neue Instrumente spielen und setze diese dann ein. Derzeit gibt es bei mir aber wieder einen verstärkten Fokus auf die Gitarre, mein erstes Instrument. Das fühlt sich auch gut an, da ich mit keinem Instrument so vertraut bin.

Welche Projekte stehen sonst noch an?
Also neben dem Projekt unter meinem eigenen Namen gibt es nach wie vor Bird People, ein Kollektiv mit wechselndem Line-up, je nachdem, was sich für die zu spielende Show anbietet und wer Zeit hat. Ich betreibe das Label Feathered Coyote Records und veranstalte auch immer wieder Konzerte für tourende Bands, außerdem bin ich Co-Veranstalter von zwei regelmäßigen Club-Abenden im AU, :membrane: mit Bri Bauer und Versus mit Therese Terror. Als nächstes steht eine Tour mit meinem Soloprojekt im August an und danach folgen wohl neue Aufnahmen.

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