Im Zweifel für die Räuberpistole © Pe Tee
Im Zweifel für die Räuberpistole © Pe Tee

Spiegelfechterei

Die aktuellen Enthüllungen um gefälschte und erfundene Berichte im »Spiegel« »erschüttern« gerade die Medienwelt. Die Aufarbeitung dieser bedauerlichen Vorgänge wird verhindert, indem eben jene Mechanismen, die zur Misere geführt haben, eingesetzt werden, um diese zu beschreiben.

»Die finden wirklich alles raus«, meinte einmal Hagen Rether, »eines Tages finden die noch raus, dass im Sport gedopt wird.« Damit ist die Misere unserer News Cycles gut zusammengefasst. Diese werden weniger durch Enthüllungen und Einsichten geschmiert, als durch die Simulation dieser. Ein erschreckend großer Teil unserer Nachrichten bestehen aus No-nas, repetierter Verlautbarung des hinlänglich Bekannten unter Zuhilfenahme eines skandaliserenden Zuckergusses. Das deutsche Nachrichtenmagazin »Der Spiegel« belegt dies eindrucksvoll auch in seinem Umgang mit dem Skandal im eigenen Haus. Hierbei kommt es zur typischen Verschränkung scheinbar gegensätzlicher Impulse.

Heimeligkeit und Geschrei
»Spiegel«-Lesen bietet das muffige Vergnügen, einem lebenden Fossil zuzuschauen. Man muss sich schon Moselriesling über die graue Anzughose gießen, um mehr Bonner-Republik-Feeling zu haben. Die Texte sind alle blank gebürstet und wirken wie einem standardisierten Mastermind entsprungen, der kaum mehr master seines minds ist. »Der Spiegel« ist das »Wetten dass, …« journalistischer Berichterstattung, durch seine krampfhafte Bemühung, für möglichst alle ein Angebot machen zu können. Jede Lagebeschreibung wird deshalb eingebettet in ein verkniffenes Abwägen, das irgendwie »Abgeklärtheit« und »Übersicht« vermitteln soll. Die deutsche Studienräteleser*innenschaft soll damit wohlig bedient werden und die sind schließlich die 100 % des Kund*innenmarkts, weil andere Gesellschaftsteile nicht mehr lesen. Die unangenehmen Brandflecken einer bedrohten und teilweise ziemlich kaputten Gesellschaft (die der »Spiegel« sehr wohl als solche beschreibt) werden sogleich eingecremt mit versöhnlichen und immer ein wenig oberflächlichen Betrachtungen. Das Leitmediengefühl wird erzeugt: Alles ist irgendwie schrecklich, aber zugleich auch wurscht. Denn man will offenbar weder Publikum noch Anzeigenkunden überfordern. Dass sich folglich die Welt ohnehin in die richtige Richtung dreht, darf deshalb mitgenommen werden, wenn man nach ausführlicher Lektüre erschöpft ins Plumeau sinkt und die Leselampe ausknipst.

Gleichzeitig muss auch das hässliche Schwesterlein »SPON« (»Spiegel-online« – braucht man nicht unbedingt googeln) permanent die digitale Fresse aufreißen. Ständig breaken die News und wir kommen aus der Aufregung gar nicht mehr raus. Bei aller übergeschnappten Sensationalisierung muss natürlich die simple Einsicht verdrängt werden, dass kaum etwas wirklich sensationell oder neuartig oder unvorhersehbar ist. Die Strukturen sind hinlänglich bekannt, sollen aber gar nicht in Tiefe und mit Schärfe analysiert werden, weil dies würde einerseits die Heimeligkeit gefährden und andererseits wäre damit der sensationalisierende News-Cycle-Hexenkreis durchbrochen.

Ein krankes System
Jetzt fand man mit großem Gedonner heraus, dass eines der besten Pferde im Stall sich seine unglaublichen und berührenden Stories einfach ausgedacht hatte. Was eine nicht zu unterschätzende literarische Leistung gewesen wäre, wenn die »Spiegel«-Schreiberei nicht so ungeheuer formatiert wäre. Der Über-drüber-Journalist, sei, mit Preisen überhäuft, dem Druck nicht mehr gewachsen gewesen, immer wieder eine noch bessere Story liefern zu müssen, und habe alles zugegeben. Nun fühle er sich »krank« und brauche »Hilfe«. Der armen Seele sei Besserung gewünscht, was aber nicht übersehen werden sollte, ist, dass diese ja vornehmlich Ausdruck eines kranken Systems ist. »Der Spiegel« züchtet seine Autor*innen auf Format. Er befeuert damit einen miesen Ehrgeiz, der im Überbietungswettbewerb immer jene nach oben spült, die am ruchlosesten agieren. Längst ist das Magazin eine Promotion-Plattform geworden, für die eigenen Schreiber*innen, die alle ständig neue und »wichtige« Bücher schreiben. Magazin und Verlage profitieren von der wechselseitigen Bespiegelung, die dazu führt, dass die co-abhängigen Studienrät*innen die »Spiegel«-Bestsellerliste gleich komplett kaufen und unter den Weihnachtsbaum legen, damit die Bücher dann ungelesen ins Regal wandern können. Bei diesem Vorgang wird über die Klappentexte dennoch ein wenig jenes heimelige Geschrei verbreitet, das Schenker*innen und Beschenkten das Gefühl vermittelt, up-to-date in den aktuellen Debatten zu sein.

Jetzt hat die »Spiegel«-Redaktion den Topfen und muss sich laut tosend um ihre Reputation bemühen. Weil gerade Deutschland in den Griff der Neo-Nazis zu geraten droht, die mit ihrer echten Propagandamaschine die vermeintliche »Lügenpresse« beschießen, kommt der Beleg der Fake-News-Produktion beim »Spiegel« natürlich zur Unzeit. An dieser Stelle ist dem »Spiegel« nur das Beste zu wünschen und es bleibt zu hoffen, dass er als das gewisse Bollwerk bürgerlichen Antifaschismus bestehen bleibt, das er tatsächlich ist. Aber die Analyse der strukturellen Misere kann den Hamburger*innen nicht erspart werden. Es war doch klar, dass der »Spiegel« mit seinen knapper werdenden Ressourcen und seinem Deutschland-Beglückungsprogramm früher oder später anfangen würde, die Stories zu frisieren.

Schwierige Lage des Journalismus
Glaubhaft etwas zu ändern, wäre jetzt zwar nötig, erscheint aber zugleich sehr schwer. Wie sollen die Nachrichten aussehen, die weder die falsche Versöhnung durch Heimeligkeit, noch übergeschnappte Skandalisierung anbieten? Soll beispielsweise wöchentlich verlautbart werden: »Auch im zweiten Jahr ihrer Regentschaft als Premierministerin erweist sich Theresa May als herzlose Ehrgeizlerin, die auf dem Rücken der Migrant*innen eine hetzerische Politik betreibt, die durch die unlösbaren Widersprüche des Brexits das eigene Land und weite Teile Europas schwer schädigen wird und damit unser aller Leben noch viel schwerer machen wird.« Tja, das war alles von Beginn an glasklar. Darüber zu berichten, kann zu einer leeren Geste gerinnen. Darin liegt der quasi sachliche Grund dafür verborgen, die Chose etwas aufzujazzen und gleichzeitig gefühlig einzuhüllen. Somit sind die Auswege weitgehend verstellt, weil alle beteiligten Akteur*innen bei dem paradoxen Unsinn der permanenten skandalisierenden Kalmierung des heimeligen Geschreis mitmachen.

Jüngst resümierte Don DeLillo die Situation äußerst pessimistisch, indem er meinte, es sei sehr fraglich, ob aus diesem Hexenkreis jemals auszubrechen sei. Aus zwei Gründen kann es kaum mehr eine mediale Diskussion geben. Erstens kann man nicht mit Leuten debattieren, die ihre »Fakten« einfach erfinden und zweitens ist jede Analyse sinnlos, wenn alle alles vergessen haben, was vor 48 Stunden passiert ist. Bei beiden Punkten muss sich der »Spiegel« an die eigene, graue Nase fassen. Was aber dagegen tun? Längst haben sich Autor*innen und Leser*innen auf dieses Spiel des kurzatmig-vergesslichen und zugleich gefühlig-manipulativen Journalismus eingelassen. Dem geneigten skug-Publikum kann allenfalls der leicht verzweifelte Tipp gegeben werden, über die Feiertage einfach mal auf skug.at zurückscrollen und Artikel von vor einem, zwei oder fünf Monaten zu lesen. Die waren nämlich auch recht gut und informativ. Außerdem werden wir an den Feiertagen einfach weniger arbeiten …

Dieser aktuelle Kommentar ist Teil einer losen Reihe von Berichten über die missliche Lage des Journalismus, der im Rahmen unserer BAM (Bündnis alternativer Medien) Kooperation erscheint.

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