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skug presents »Ex Eu«: 20. – 22. Mai 2001 im Porgy & Bess

Festival mit elektronischer und improvisierter Musik aus Russland, Ungarn und Jugoslawien. Eine Kooperation von skug und Elisabeth Schimana mit dem Wiener Jazz- und Musicclub.

Vor zehn Jahren herrschte noch Aufbruchsstimmung unter Österreichs Veranstaltern. Der Fall des Eisernen Vorhangs bewirkte ein größeres Interesse für die Vielfalt von Musik aus dem slawisch-magyarischen Raum. Neben dem entschlafenen Renommierfestival »Töne & Gegentöne« (Zga, Ivo Papasov etc.) gab es 1991 Musikreihen aus allen Richtungen. Das damals noch in der Arndtstraße im 12. Bezirk Wiens situierte Flex kümmerte sich mit »Maximal« um Hardcore und Punk, die Alte Schmiede initierte »Musica Alternativa Ex« (zeitgenössiche E-Musik) sowie »Jazz Glasnost« und Christof Kurzmann, der für das jetzige Porgy & Bess die »charhizma presents«-Schiene fährt, veranstaltete damals beispielsweise Konzerte mit den Acts Iva Bittova oder E, die beispielsweise auch im Nachtasyl oder im B.A.C.H. ein Refugium für Auftritte gefunden haben.

»Einziges Kriterium ist, dass mir die Band gefällt, dass sie gut ist«, antwortete damals Kurzmann auf die Beweggründe-Frage in skug Vol. 4, das vor einem Jahrzehnt den Artikel »A Guide To Eastern Europe – who’s who in Central & East Europe 1991« abdruckte.

Obiges Kriterium müssen sich weder Plattenlabels noch Musikinstitutionen neu stellen. Neben der Qualität ging es immer auch darum, im Westen den mangelnden Bekanntheitsgrad von MusikerInnen jenseits des nunmehrigen Schengener Vorhangs zu steigern. So ist nach Chris Cutlers Recommended-Records-Sublabel »Points East« oder Leo Records (Leo Feigin förderte in der Sparte Jazz Neuentdeckungen aus Osteuropa zu Tage) seit kurzem Neues zu bemerken. So hat das Wiener Label Sabotage mit »PutIN out« einen hervorragenden CD-Sampler mit russischer Elektronikmusik aus dem Bereich Subkultur/Pop gestaltet. Und die in Prag ansässige Non-Profit-Organisation Tamizdat kooperiert mit Independentlabels und Acts aus Zentral- und Osteuropa. Ziel ist die Förderung des freien Austauschs von Informationen und Ideen zwischen MusikerInnen, KonzertbesucherInnen und TonträgerproduzentInnen. Auf einer mit der englischen Musikzeitschrift »The Wire« herausgegebenen CD-Kompilation sind etwa Auktyon, Kampec Dolores oder Lajkó Félix zu finden.

Womit wir herkunftslandmäßig zwar schon bei der Programmierung des »Ex Eu«-Festivals angelangt wären, aber uns gerne zuvor noch einen kleinen Rückblick auf gelungene Ost-Aktivitäten des Porgy & Bess erlauben. »Good News From Russia«, »Vienna meets Moscow« und »Behind The Ural« (zusammen mit der Szene Wien) waren echte Highligths am Wiener Konzerthimmel, da großartige InterpretInnen und Combos wie das Ganelin Trio, das Moskau Art Trio oder Stepanida Borisova und das Aserbeidschaner Sufiensemble von Alim Quasimov eindrucksvolle Auftritte absolvierten.

Mit »Ex Eu« – das Kürzel steht für ein Extended Europe in einem künsterlischen Sinn – reagiert die Veranstaltungsreihe »skug presents« auf die im Gang befindliche EU-Osterweiterung (Enlargement), die zu sehr unter dem Diktat der Wirtschaft steht. Dank der Kuratorin und Musikerin Elisabeth Schimana (die ihre hervorragenden Kontakte bereits für das im Jahr 2000 über die Bühne des Schloss Kittsee gegangene Ost-Süd-Ost-Festival nutzte) ist es gelungen, MusikerInnen aus Russland, Ungarn und Serbien (Restjugoslawien) einzuladen, die im Bereich der elektronischen und improvisierten Musik auf der Höhe der Zeit agieren. Was bei phonoTAKTIK, einem Wiener Festival für elektronische Musik leider unterrepräsentiert war, soll Hauptgegenstand sein: KünstlerInnen aus Osteuropa werden aufzeigen, dass, obwohl die Qualität und Eigenständigkeit ihrer Musik hervorragend ist – die Sounds werden teilweise in Projekten mit österreichischen MusikerInnen erarbeitet; siehe Programm -, diese Musik hierzulande viel zu wenig rezipiert wird.

Besonderer Dank ergeht noch an das Kulturamt der Stadt Wien, KulturKontakt sowie die ÖBV, die mit ihrer Unterstützung das Zustandekommen von »Ex Eu« ermöglichten.

Russland: Sonntag, 20. Mai 2001

The Theremin Orchestra
Die Termen-vox. Der Russe Lev Termen hat es erfunden, eines der ersten Elektronikmusikinstrumente der Welt. Mit bloßen Händen formen die MusikerInnen Sounds um eine Antenne, ohne diese zu berühren. Eine Österreich-Russische Freundschaft rückt es erneut ins Zentrum. Andre Smirnov, Yuri Spitsin, Olga Milanich, Günther Gessert und die Ochestergründerin Elisabeth Schimana bilden das diesjährige Theremin Orchestra, das als work in progress in mal kleinerer mal größerer Besetzung u.a. bei »Kunstradio«-Performances auftaucht. Wer nun aber kitschige Klänge erwartet, wird sich im falschen Film befinden. Denn nach den Stadien »Touchless I« (via Äther spielten in Moskau, Wien und Madrid anwesende MusikerInnen ein gemeinsames Konzert) und »Touchless II« (CD-Produktion, mitgeschnitten in der Kunsthalle Krems) ist dieses Orchester zu Klängen fähig, die mitten ins Herz bohren. Sounds driften, es zwitschert, fiepst, brummt und rauscht, dass es eine Freude ist.
Um Samples von Frauenstimmen – ein Kontrast zur elektronischen Theremin-»Stimme« – herum baut sich eine improvisierte Musik auf, die nicht von dieser Welt klingt. Die Theremins haben eben einen spezifischen Sound, und dass mittels vielerlei Handbewegungen auch noch verschiedene Analogsynthesizer gesteuert werden, ist der Clou schlechthin. Derart ist das Theremin Orchestra einerseits hörbar in einer klanglichen Tradition verankert, der aber andererseits eine unorthodoxe, nicht auf Melodien fixierte Spielweise, Rhythmen weit abseits von Techno und ein Freiraum für Spontaneität den Garaus machen.

FUGK
Das Anonymous & Non-profit Art Archive (A&NPAA), gegründet als Sammlung von aktueller und traditioneller Kunst von unbekannten KünstlerInnen, hat sich auch der Kunstproduktion der Künstlergruppe FUGK angenommen. Die Moskauer Vereinigung For Unaspiring Gratuitous Kunst, die »für eine nicht nach Höherem strebende, unentgeltliche Kunst« ist, agitiert klarerweise gegen den Warencharakter von Kunst. Was sich u.a. im Logo »No Copyright« manifestiert.
FUGK-Repräsentant Youri Popovski wird zwei audiovisuelle Arbeiten zeigen: In seiner Neuadaption von »Russian Revolutionary Songs«, einem auf alten Newsreels basierenden Video hebt Popovski die Überzeugung für Gerechtigkeit sowie ästhetische und spirituelle Aspekte hervor. Das Werk »Stalingrad« stellt aus imaginärer Sicht auch die Involvierung gewöhlicher Bürger in eine Schlacht dar, doch marschierte die Geschichte über ihren Kopf hinweg. »Stalingrad« liefert eine bestürzende Perspektive auf das heutige Russland.

FUGK filmte das vomBildhauer Vuchetich und dem Architekten Bjelopolsky ausgeführte Mahnmal (1963-67) vertikal von unten nach oben und weiteren befremdenden Kameraeinstellungen. Damit erscheint die sonst immer unter strahlend blauem Himmel abgebildete Mutter des Sieges – gelegen auf einem zentralen Hügel im Memorialkomplex von Wolgograd – in einem fatalen Licht. Dunkelgrüne, graue Farben und andauerndes Schneegestöber künden zwar davon, dass die Kälte das Kriegsglück zu Gunsten der Sowjetunion wendete, aber Russland in Stagnation verharrte bzw. nach 1989 die Lebensumstände für eine Mehrheit immer schlimmer wurden.

Das graue Alltagsleben der Russen findet auch in der fürwahr grausamen Musik seine Entsprechung. Popovskis wüste Elektronik, generiert mittels einem alten sowjetischen Domestic Equalizer und Computerprocessing, imitiert Artilleriefeuer (Tschetschenien?) und eine abgründige Grundstimmung will nicht weichen. »Stalingrad« ist von elektroakustischem Stöhnen geradezu durchdrungen. Das russische Volk hat den Krieg nicht gewonnen. Nu
r die brutale, gewissenlose Allianz von Politik und Verbrechen profitiert.

Ungarn: Montag, 21. Mai 2001

??n – »Self Organising Chaos«
Der Chefredakteur (1992-93) und nunmehr Mitarbeiter der 1995 von »Illegal Radio Forbidden« in den legalen Independent-Sender »Radio Forbidden« umbenannten Radiostation macht seit sechs Jahren die Sendung »No Wave«. Der Name ist Programm: Experimentelle Elektronik und elektroakustische Musik sind die Vorlieben von Pal Toth, die er als ??n zu einzigartigen»Ätherkonzerten« verdichtet. Darin verfolgt er eine visionäre Linie, die aus der Musique Concrète, aus Plunderphonics und Sound Art schöpft. Doch ist dies nicht recht nachzuvollziehen, denn ??n liefert auf drei»Self Organazing Chaos« betitelten CDs Klänge in vielerlei Schattierungen. Voran ist auch auf »Part 3« die leise, unruhige Stille vor dem Sturm. Sinuswellen aus dem Off? Rufen da Wale um Hilfe? Ein nie zuvor gehörtes Ächzen ist zu vernehmen. Ferner Geräusche, die auf perkussive Malträtierung von Stahlsaiten schließen lassen und schlussendlich erlöst ein zähfließender, mit Maschinensounds aufgeladener Maelstrom. Kein Show-, sondern ein Slow Down folgt. Der bedrohliche fabriksähnliche Industrialsound wird von einem süßen Zirpen und elektronischem Fadeout gezäumt.

The Abstract Monarchy Trio
Franz Hautzinger ist einer der wenigen österreichischen Musiker, der mit osteuropäischen Musikern ein gemeinsames Projekt unterhält. Mit Zsolt Kovács und Zsolt Sõrés bildet er das Abstract Monarchy Trio. Wenn zwei Ungarn im Boot sitzen, eignet sich die Anspielung an die Österreich-Ungarische K.u.K-Monarchie vortrefflich. Doch funktioniert bei Hautzinger/Kovács/ Sõrés die Zusammenarbeit friktionsfreier. Keiner will der Vorlauteste sein, also ergeben sich Improvisationen, die bedächtig mäandern, sich verhalten in die HörerInnengunst einschleichen. Die Ungarn, die mit S.K. ein elektroakustisches Duo, das den spontanen Moment lebt, betreiben, reagieren auf Hautzingers Vierteltontrompetenhauche- und -kaskaden ebenso reduktionistisch. Die Gitarre von Kovács (detto electronics) und die Violine von Sõrés (detto Metalle, Elektronik) klingen ebensowenig nach dem Stamminstrument wie Hautzingers Trompete. Das Reminiszenzen verweigernde donaumonarchische Trio gebiert mit diesen atonalen und dissonanten Klängen – von S.K. im Duo Metamusik benannt – eine abstrakte Musik von atemberaubender Schönheit, obwohl oft am Rande der Unhörbarkeit agiert wird. Aufmerksames Lauschen ist gefragt!

(Rest)Jugoslawien: Dienstag, 22. Mai 2001

Svetlana Spajich
Kein Turbofolk aus der »Madonna«, der größten, dem Miloševic-Sohn Marko gehörenden Balkandisco. Die Belgraderin Svetlana Spajich bringt mit dem Duo Drina (mit Minya Nikolich) authentische Volkslieder in urbane Clubs. Spajich singt Songs aus serbischen, mazedonischen und bulgarischen Dörfern, wo noch die ursprüngliche Gesangskultur überliefert wird. »Es ist eine Herausforderung, solche Songs in urbaner Umgebung zu performen. Derart habe ich die Möglichkeit für eine künstlerische Neubewertung dieser Lieder, die die Chance birgt, diese in einem neuen Kontext zu bewahren, da diese lebendige Tradition langsam ausstirbt«, sagt Spajich, die das traditionelle Liedgut nicht akademisch-steril konserviert, sondern es mit vitalen Atem- und Kehlkopftechniken organisch auffrischt. Dass sie auch den tuvinischen Obertongesang beherrscht, ist zu spüren und ein Vergleich mit bulgarischen Fraunenchören macht sicher: Spajich ist eine großartige Vokalistin!

Gordan Paunovic
Der Belgrader Radio- und Soundkünstler muss in skug wohl nicht näher vorgestellt werden, zierte er doch das Cover von skug Vol. 39, dessen Titelgeschichte dem Radio B92/Kosovo-Krieg gewidmet war. Gordan Paunovic, ehemals Musikchef von Radio B92, wird in seiner Soundperformance u.a. auf Stimmsamples (sicherlich auch jene von Svetlana Spajich) und andere Klänge aus dem Äther- und Tonträgeruniversum zurückgreifen.

Review von »Echoes From A Warzone«

Blank Disc
»Das Wichtige ist die Musik, nicht wo sie herkommt«. Mit diesem Credo von Metamkine???s Jérôme Noetinger (zitiert auf Blank Disc III) scheinen die beiden Plunderphonic-Aktivisten Srdan Muc und Róbert Rózsa aus Zrenjanin fast schon eine Selbstverständlichkeit ausgesprochen zu haben, wäre da nicht die Realität erfolgsgieriger Rechtsanwälte, die mit jedem Copyright-Streit ihre Brieftaschen noch etwas mehr füllen, indem sie für die »gate-keeper« der Plattenindustrie arbeiten. Angriffe kommen aber nicht nur von dieser Seite. Selbst jene Klientel, deren Plattensammlung voll gespickt mit Abgründigkeiten aus der Free- bis Improv-Abteilung ist, verwinkelt bei der erstbesten Gelegenheit die Gesichtszüge, wenn es mal eine/r wagt, sakrosanktes AEoC-Material in den Sampler zu stopfen. Es könnte ja vielleicht was passieren! Mit Speicherträgern wie CD-Player, Mini-Disc, Turntables und Tapes ausgestattet, setzt sich Blank Disc über derartigen Dünkel und einen falsch verstandenen Begriff von Genuität hinweg bzw. auseinander. Wer Geschichte im Gepäck hat, lässt sie nicht dort, sondern wartet nur auf den richtigen Moment, um sie wieder auszupacken und neu zu interpretieren. Dass Blank Disc in diesem Sinne wahre Historiker sind, die innerhalb der Avantgarde mehrere Traditionslinien verknüpfen, zeigen ihre bisherigen Veröffentlichungen sowie Kollaborationen mit anderen MusikerInnen.

Die Verbindung des analog-digitalen Reservoirs mit »richtigen« Instrumenten ist dabei ein Charakteristikum des Sounds der beiden (Ex-)Jugoslawen: Improvisierte Plattenspieler-cut-ups, skip music aus dem kaputten CD-Player, auf der Straße gefundene Tapes sowie präzise im Mini-Disc-Player geschnittene Loops ergänzen sich hier perfekt mit Gitarre oder Violine. Das Ausgangsmaterial ist dabei äußerst vielfältig: neben dem omnipräsenten Otomo Yoshihide, verarbeitet Róbert auch gerne Fetzen der New Yorker Downtown-Szene, italienische Filmscores, Zeitgenössisches, Eric Satie, Bela Bartok und Free Jazz, dem die (oft präparierte) Gitarre plus effects von Srdan gegenübersteht. Das Ergebnis dieses Clashs ist unvorhersehbar, stets spannend und verlangt den Hörern einiges an Aufmerksamkeit ab.
Gleiche Zutaten, anders mariniert, lassen etwa die freie Atonalität Derek Baileys im Kontext japanisch inspirierter no-input-Sounds gleich ganz anders schmecken, wenn westlicher Anti-Illusionismus auf fernöstlichen Purismus trifft. Wie? Von allem das beste.

Den Festivalabschluss wird eine Session mit vielen am Festival beteiligten MusikerInnen bilden.

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Text
Alfred Pranzl, Peter Nachtnebel

Veröffentlichung
15.05.2001

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