»Nach dem Fabulieren Hände waschen«, gurgelt Ober-Fuckhead Didi Bruckmayr zur Eröffnung des diesjährigen Heart of Noise Festivals. Die Linzer Schlager-Noise-Kombo verteilt zwar keine PCR-Tests unter ihren nach Innsbruck gereisten Jünger*innen, putzt mit Krawall und Komik aber verstopfte Nebenhöhlen in Saal und Publikum durch. Schließlich ist Innsbruck das Monaco der Alpen und die »Sprache das Scheißhaus der Welt«. Weil Corona anleitetet, auf den Austausch diverser Körperflüssigkeiten zu verzichten, spuckt niemand herum. Ein bisserl Rammstein für Arme, kein Blut und schon gar keine Tränen – dafür drei Herren im fortgeschrittenen Alter, die eine besenreine Bühne für drei Tage Festival unter Corona-Auflagen übergeben.
Dass in Innsbruck überhaupt Musik in Konzertlautstärke gespielt wird, ist neben Organisations- und Security-Team auch Künstler*innen zu verdanken, die zwischen Babyelefanten noch Raum für Möglichkeiten aufmachen. Schließlich will Innsbruck nicht Ischgl sein, die Rückreisebestimmungen funken zwischen internationale Bookings, Änderungen trudeln über Instagram ins kollektive Festival-Gedächtnis. Soap&Skin springt ein und sagt wieder ab, Loraine James bleibt in London, Charlemagne Palestine verzichtet auf das Gastspiel im Sesselwald des Haus der Musik. Dafür rutscht Jung-an-Tagen-Hipster Stefan Juster und Brainfeeder Dorian Concept ins Line-up. Festival-Feeling wie damals. Nur anders. Für ein junges, agiles und dynamisches Publikum, das sich die Flexibilität ins LinkedIn-Profil geschrieben hat, stellen Verschiebungen im Stundentakt keine Probleme dar.
Außerdem ist Sitzen das neue Stehen. Das Mitschunkeln im Polstersessel klappt inzwischen so gut wie das Aufreißen von Moshpits am Frequency 2004. Gesinnungsästhetische Verwirrungen aus dem »Musikantenstadl« vermeidet man dank der Englishness von Peter Rehberg, der sich gegen ein Dasein als Electronic-Rentner mit Modelleisenbahn im Kellerabteil entschieden hat und stattdessen modulare Synthesizer zu digitalen Schüttbildern von Tina Frank verkabelt. Der Editions-Mego-Chef liefert damit den Beweis, dass alte weiße Männer einen neuen Anstrich von Frauen durchaus nötig haben. Albanische Nadelwälder vertont BJ Nilsen in seiner Weltpremiere für ein Publikum, das per Definition in Waldstädten lebt. Nachteil: Das Rauschen in Albanien klingt nicht aufregender als in den Ötztaler Alpen. Ganz anders das natürliche Habitat von Vladislav Delay. Der Mann verfrachtet finnische Tundren in alpin-urbane Gefilde und lässt den Schuppen rappeln, dass einem der Fetzen um die Nase pfeift.
Geisterbeschwörung & Seelenreinigung
Für Verwirbelung viraler Aerosole sorgt der Gang ins Freie. Im Hofgarten watscheln Enten neben Pensionisten, die ihre Freitagnachmittage nicht mehr auf dem Schlachtfeld, sondern am Schachbrett verbringen. Nebenan klopfen experimental-elektronische Ausflüge des Wahl-Venezianers Niccola Di Croce zur Einflugschneise des Innsbrucker Flughafens ein resonanzfreies Loch in die Ozonschicht. Wer nicht aufpasst, wird von umliegenden Platanen mit Kastanien erschlagen. Einen schöneren Tod stirbt man nur vor Oren Ambarchi, der mit Trommel-Spezi Eric Thielemans und Mats-hat-hier-jemand-Free-Jazz-gesagt-Gustafsson eine stabile Leitung in den Alpenzoo verlegt. Ganz ehrlich: So grunzen sonst nur geile Wildschweine auf Ecstasy, hoffentlich gibt’s die Scheibe bald als Bootleg für ausgebrannte Managerfuzzis auf Digital-Detox-Tour zu hören.
»Eine faustische Geisterbeschwörung« versprach Nik Hummer im Zuge des Projekts »Haus der Regierung«. Die aufgewärmten Bühnencodes mit eingespieltem Drüberhusten von Burgtheater-Liebling Birgit Minichmayr lassen eher auf verschobene Realitätswahrnehmung schließen. Drei Akkorde auf der E-Gitarre, Feedbackkreischen aus dem Verstärker und ein Quehenberger, der hinter seinem Keyboard herumwackelt, sorgen für Lärm, den auch das Traurige Tropen Orchester zur Primetime fabriziert. Oder wie Claude-Lévi Strauss sagen würde: Sieben Typen in weißen T-Shirts, die als küchenphilosophische Projektionsfläche eine Schnittmenge zwischen Beschäftigungstherapie für Rich Kids und der ärgsten Cultural-Appropriation-Attacke seit Joey Negros Outing als Weißbrot bilden. Da treibt man lieber böse Geister mit Schreihälsin Dis Fig aus. Die produziert zwar Techno für Leute, die postironisch am Atonal abhängen, verrechnet aber keine 85 Euro für eine Stunde Psychotherapie.
Seelenreinigung erfährt man ohnehin nur von Klängen, die von Bratschen oder Bach kommen. Der transzendentale Kompromiss fällt in Innsbruck auf Astrid Sonne. Die Kopenhagen-born-Berlin-based-Künstlerin vernebelt im Hofgarten nicht nur ihre eigene Stimme, sondern auch die designästhetischen Unterschiede in der Maskenwahl des Publikums. Klare Message: Hier geht die Sonne auf, bevor man mit der Grande Dame der österreichischen Elektronik-Musik, Elisabeth Schimana, endgültig in den Feuerball gleiten darf, um das klinisch saubere Techno-Besteck von Beatrice Dillon zu inspizieren. Gelebte Desinfektion im Haus der Musik bestreitet Stefan Juster als Jung an Tagen mit Musik, zu der sogar eingefleischte Veganer zu Sauschlächtern mutieren. Visuals für den Einführungskurs in Epilepsie sorgen dafür, dass man den Tinnitus ein paar Minuten länger rauszögert. Spiel, Spaß und die Freude am Leben während der Pandemie liefert Dorian Concept. Der Mann hat zwar kein Glück mit der eigenen Verkabelung, tritt aber als Sympathiebolzen mit Bewusstsein für die eingerostete Beinmuskulatur auf. »Again everything!«, hoffentlich auch 2021 in Innsbruck.