Es wird dann jetzt – Mitte November – doch langsam Herbst, die Blätter fallen und ein neues Van Morrison Album ist da. Vergessen wir für einen Augenblick den Klimawandel, das Faktum, dass durchgeknallte Spinner im Weißen Haus herrschen, und dass sich gerade Schreckenskabinette in Berlin und Wien bilden, und halten wir einen Moment inne. »Dennoch sagt der viel, der ›Abend‹ sagt« und Van Morrison versteht es, »Tiefsinn und Trauer aus hohlen Waben rinnen zu lassen«. Der Herbst ist einfach seine Zeit. Gemeinsam dürfen wir mit Van Morrisons Musik einsinken in eine neblig-dunkle Hülle, in der uns jene Gestalten wieder begegnen, denen wir einst Treue geschworen haben und die wir für immerwährend hielten. Vorbei, vergangen und doch nicht vergessen. Herumkauen auf solch herbstlichen Gedanken ist bei Van Morrison keine Alterserscheinung, er war immer schon ein altes Kind. Auch zu seinen jungen Them-Zeiten musste ihm Schwerblütiges nicht unbedingt als altklug ausgelegt werden. Seine unvergleichliche Mischung aus Blues, Folk und Jazz bringt ein gewisses, zuweilen durchaus zornerfülltes Bewusstsein mit getragener, vielleicht sogar spiritueller Stimmung zusammen und wird mit sehr viel musikalischem Können geschmeidig gemacht.
»Innovation« ist ein Wort, das man beim Beschreiben von Van Morrison eher nicht braucht. (skug-intern dürfen wir kurz diese beiden Belege für diese These anfügen: http://skug.at/article96.htm; http://skug.at/article8472.htm.) Auch der 2017er-Jahrgang »Roll with the Punches« ist vollmundig im Abgang. Vielleicht etwas bluesiger als der letzte, vielleicht auch etwas weniger konzentriert als der 2016er, dafür aber mit einem klaren Höhepunkt, der Greatest-Hits-würdig wäre: »Bring it on Home to Me«. In dem Sam-Cooke-Song kann Van Morrison sein ganzes Spektrum an interpretatorischem Können ausspielen. Dramaturgie und Instrumentierung verwandeln den abgenudelten Klassiker in ein idealtypisches Stück Van Morrison und thematisch passt das alles ohnehin:
»And if you ever change your mind
About leavinʼ, leavinʼ me behind
I want ya to bring it home to me
Bring your sweet lovinʼ
Bring it on home to me«
Bis nächstes Jahr im Herbst, guter, alter Herr.