Studio Dan Ensemble © Ditz Fejer
Studio Dan Ensemble © Ditz Fejer

Resonanzraum kollektiver Transformation

Das Studio Dan hält Einkehr im MuTh. Höchste Zeit, anhand der Kooperation mit der akustisch brillierenden Konzertsaal-Institution am Augartenspitz das Wiener Ensemble an der Schnittstelle von Jazz, Avantgarde und Artverwandtem im Interview mit dem künstlerischen Leiter Daniel Riegler vorzustellen.

Seit Jänner 2024 offeriert das MuTh, Konzertsaal der Wiener Sängerknaben, die experimentelle Konzertreihe »You better listen!« in Kooperation mit dem Studio Dan. Mit dem künstlerischen Leiter Daniel Riegler hat dieser Verein für Neue Musik bereits zahlreiche spannende Projekte durchgeführt. Im E-Mail-Interview mit Riegler geht es eingangs um die Kollaboration mit dem MuTh, danach um weitere Spektren des 2005 im Rahmen der JazzWerkstatt Wien zunächst als unkonventionell besetzte Formation mit Jazz-Bezug gegründeten Instrumental-Ensembles. Mittlerweils agiert Studio Dan genreübergreifend und fungiert mehr und mehr als Produktionsgemeinschaft, die vielseitige Projekte in Szene setzt. 

skug: In den Einführungsworten zur Kooperation mit dem MuTh ist von einer »Einladung zum gemeinsamen An- und genauen Hinhören« die Rede. Ziel ist, »Kopf und Gemüt in andere Sphären zu befördern, Verbindungen zu schaffen und im Resonanzraum kollektiver Transformation zu schwingen«. Hat sich die Zusammenarbeit mit dem MuTh ergeben, weil das Ziel, »ein harmonisches Zusammenspiel von Architektur und Klang, das den Weg zu neuen musikalischen Erfahrungen ebnen soll«, im MuTh eher erreicht werden kann als in Off-Aufführungsstätten? 

Daniel Riegler: Tatsächlich war der akustisch hervorragende Konzertsaal ein wichtiges Argument für die Kooperation mit dem MuTh. Dass wir dabei weniger an die Architektur als solche, sondern ganz »egoistisch« an die klanglichen Aspekte dachten, sei uns nachgesehen. Und natürlich können Klangräume, die mit einem gewissen Kapital gebaut werden, bessere akustische Voraussetzungen schaffen als das, was du wahrscheinlich mit Off-Aufführungsstätten meinst. Das sind ja nicht selten Zwischennutzungen oder Räume, die ursprünglich einem anderen Zweck als dem Hören und Musikmachen gewidmet waren. Diese sind natürlich oft sehr unbefriedigend, was den Klang betrifft und manchmal wundert es mich, wie sehr das auch von Profis nicht als Problem wahrgenommen wird. Andererseits sollte man auch erwähnen, dass es in Wien einige Konzertsäle gibt, die für unsere Musik gar nicht so geeignet wären. Da ist ja Einiges, das in Zeiten gebaut wurde, wo ja auch die Musik eine ganz andere war. Insofern: aus dieser Hinsicht ist die Kooperation schon einmal sehr gelungen! Was die inhaltlichen Aspekte betrifft, beziehungsweise die Publikumssituation vor Ort: da müssen wir für das, was wir machen, eine gewisse Aufbauarbeit leisten. Aber in Zusammenarbeit mit dem sehr interessierten und wohlwollenden Team des MuTh rund um Elke Hesse wird auch das gut gelingen. Wir meinen es mit unserer Ansage ganz ernst: Ziel ist eine »Gemeinschaftlichkeit«, ein gemeinsames Gefühl beim Hören, beim »Lauschen«, beim ganz genau Hinhören zu erreichen. Viele Leute sind abgeschreckt von dem, was sie meinen, dass zeitgenössische Musik ist. Wir würden gerne erreichen, dass dieses Sich-im-Klang-Befinden, Resonanzen-, Vibrationen-Spüren – und das alles im Kollektiv – nicht eine Erfahrung ist, die nur wir kennen sollen, sondern eine, die jede*n erreichen kann. Diese Transformation (im Kopf) durch solche Erfahrungen findet ja wirklich statt …

skug: Der Auftakt zur Kooperation mit dem MuTh erfolgte im Jänner 2024 unter dem Titel »Plonk«. Mit »ZONK!?!! Seltsame Musik für seltsame Orte«, abgehalten während der noch grassierenden Corona-Pandemie im Spätsommer 2020, wurde eine »Musikalisierung« funktionaler öffentlicher Räume des 20. Wiener Gemeindebezirks erzielt. Für Passant*innen skurrile Sounds wurden derart in einen urbanen Klangraum transformiert. Wie funktionierte die Alienation mit gelber Kleidung der Musiker*innen, die anfangs von Hundegekläff konterkariert wurde, im Rückblick?  

»ZONK!?!!« ist und war sehr wichtig für uns. Es ist genau das gelungen, was der Plan war: aus der Blase heraustreten, weil es dort oft zu gemütlich ist. Aber auch, weil wir ja an das, was wir machen, genauso glauben, wie an alles, was sich sonst so im öffentlichen Raum Platz nimmt. Wie selbstverständlich es ist, Auto oder elektrische Lastenräder zu fahren, Werbung zu machen, Musik aus Lautsprechern zu hören, Fußball zu spielen … Das sind alles Dinge, die Leuten wichtig sind und für die sie sich Platz nehmen. Es ist ein banaler Gedanke: Wenn man die »seltsame Musik« einfach auch überall macht, dann wird sie vielleicht als weniger seltsam wahrgenommen, und was, wenn Kunst überhaupt mehr Einzug in den Alltag hält? Ich glaube ja immer, dass es vielen Menschen so guttun würde wie das tägliche Fitnesscenter. Fitnesscenter fürs Gemüt! Und andererseits konnten wir selbst viele Erfahrungen sammeln, die mit der experimentellen Anordnung einhergehen: welche Musiken eignen sich dafür, welche nicht; welche Orte provozieren welche Reaktionen; wie fühlt es sich an, diese »seltsame Musik« mit diesem Selbstverständnis an eine unvorbereitete Öffentlichkeit zu bringen. Es ist wirklich komplex und die Musiker*innen mussten einerseits viel Mut aufbringen und andererseits völlig neue Strategien des Performens für sich entwickeln. Es ist für uns eine gute Sache und wir möchten das eigentlich sehr gerne weiterentwickeln. 

Bei einer Wiederaufnahme dieser »Brigittenauer Festspiele« im September 2022 wurde auch ein Stück von Julius Eastman aufgeführt:  Eva-Maria Schaller/Studio Dan intonierten »Femenine«. Wie kam es zu dieser berührenden Aufführung im Freien, wo über eine kurzweilige Stunde hinweg Minimal-Music-Variationen, Tanz-Moves und Umgebungsgeräusche das Herz auch beim Nachhören und -schauen höherschlagen ließen? Mich freut das ganz besonders, weil der verarmt verstorbene afroamerikanische Komponist Eastman heutzutage, zwar leider verspätet, aber doch, eine verdiente Rezeption erfährt. 

Ausgegangen sind wir von einem viel kleineren Projekt beim ersten »ZONK!?!!« 2020, wo Eva Maria Schaller und ich die Performance »Planeten und Monde« erfunden haben. Wieder recht einfach: Ein*e Musiker*in und eine Tänzerin bewegten sich improvisierend über verschiedene Plätze. Die Tänzerinnen agierten in einem imaginierten Kreis um die sich bewegenden Musiker*innen. Danach waren wir über Verschiedenes in Kontakt und Eva hat sich bald sehr für die Musik und Geschichte von Eastman interessiert, dessen Werke wir seit 2017 spielen. Sie war dann wirklich, wie in allen ihren Projekten, sehr akribisch bei der Recherche und hat in »Femenine« so Vieles gefunden, das für diese Form der Aufführung gesprochen hat. Da gibt es einen Haufen Referenzlinien, die man ziehen kann: dass Eastman selbst ein begnadeter, auch exzentrischer Performer war; die zeitliche Nähe der/seiner Minimal Music zu Entwicklungen des Postmodern Dance im New York der Siebziger-Jahre, wo die Bespielung alternativer Räume und Thematisierung des Raumes selbst als zentrales choreographisches Element wichtig wird; Individuum/Kollektiv usf. Und mit vielen dieser konzeptuellen Ansätze gibt es eben auch Brücken in unsere Arbeit: Minimal Music, eine Affinität für »New Yorker Luft« (Sharp, Coleman, Lewis, Frith, Laubrock), Individuum-Collectivum (Vinko Globokar) und natürlich: neue Räume. Außenräume aber eben auch das MuTh …

Dieser kleine Exkurs war meines Erachtens nötig, um den Konnex zum Motto »Plonk« des Eröffnungsabends der »You better listen!«-Serie im MuTh zu klären. Um welchen Nachhall handelt es sich bei den Komponistinnen Julia Purgina und Oxana Omelchuk, deren Werke »Holy…!« (2021) und »Hydra« (2022) erst- bzw. uraufgeführt wurden? Wie funktionierte der Zusammenklang von Martin Siewerts E-Gitarre mit dem Ensemble beim erstmaligen Dirigat von Xizi Wang, die heuer als Dirigentin des Studio Dan etabliert wird, live?

»Nachhall« ist eine Referenz auf den Ankündigungstext für das bereits vergangene Konzert und da wiederum ist es eine Anspielung darauf, dass die beiden Komponistinnen unter anderem verbindet, dass sie beim Schreiben ihrer Musik bereits sehr genau vorhören oder in ihre Partituren »hineinhören«; sie notieren präzise und wissen, welchen »Nachhall« einzelne Impulse verursachen. Das begünstigt die Entstehung guter Stücke. Trotzdem sind beide, besonders wenn sie mit uns zusammenarbeiten, in der Lage, den charismatischen Spieler*innen des Ensembles Freiräume zu übertragen, die dem Ganzen eine andere »musikalische Temperatur« verleihen – so drückt das jedenfalls Wolfgang Mitterer aus. (Ich liebe das!) Wenn dann noch Kapazunder wie Martin Siewert, der tatsächlich sowohl als Gitarrist als auch als Elektroniker mit uns auf der Bühne war, dabei sind, wird es richtig spannend. Hier verbinden sich dann tatsächlich unterschiedliche musikalische Aufführungslogiken, wo echt Neues in Reichweite ist. Ob das immer gelingt, ist der Beurteilung anderer überlassen. Ich bin ja selbst Teil des Prozesses.

Intermezzo. Ist das um 18:15 Uhr beginnende »Amuse-Gueule«, welches interessierten Konzertbesucher*innen face to face mit den Aufführenden ein delikates Einfühlen in die bevorstehenden Konzertereignisse (ab 19:30 Uhr) ermöglichen soll, eine gemeinsame Erfindung von MuTh und Studio Dan? Was erwartet dabei Konzertbesucher*innen am Dienstag, 7. Mai?

Das »Amuse-Gueule« ist unsere Erfindung. Hier testen wir eine weitere Form, mit dem Raum umzugehen, oder auch, uns mit den Hörer*innen zu verbinden: Kurz vor dem Konzert (mit einer kleinen Pause dazwischen), bitten wir ein interessiertes Publikum auf das Podium in unsere Mitte. Die Leute sitzen mitten im Ensemble und wir spielen dann einige Stellen aus dem Programm, ohne viel zu erklären. Es geht um den Perspektivenwechsel, das Hören aus nächster Nähe. Und natürlich ist (Nach)fragen erlaubt/gewollt.

»On Connection«, frei nach dem Buch von Kae Tempest, wurde der Abend des 7. Mai mit der Aufführung von Werken von George Lewis und Wolfgang Mitterer getauft. George Lewis betont für sein Masterpiece »As We May Feel«, dass dessen »assoziative Assemblage sich erst in der Begegnung mit den Hörer*innen voll entfaltet, wobei die Aktivität des Hörens und die des Komponierens ineinanderfließen«. Wie soll gemäß den Worten Tempests die magische Transformation des Konzertsaals durch die Beziehungsfäden von Publikum zu Komposition und Tonsetzung im Folgestück gelingen? Wolfgang Mitterer ist mit Klavier und Keyboards Aus- und Aufführender in einem, wenn es gilt, mit dem Studio Dan die Uraufführung von »Tränenblind« zu gewärtigen. 

Die Person Kae Tempest schreibt in ihrem Buch über eine Erfahrung, die Performer*innen und Rezipient*innen verbindet: Tempest beleuchtet aus mannigfachen Perspektiven den glückhaften, transformativen Moment des Flows, der nicht planbar ist und in großer Abhängigkeit des Raums, der Umstände, des Mindsets der Ausführenden, aber eben auch des Publikums, entsteht. Kae Tempest glaubt aber vor allem daran, dass dieses Verbundensein eine Rolle bei der Lösung unserer großen Probleme sein kann. Mag sein, dass wir im MuTh weder die Klimakrise noch den Rechtsruck in den Griff kriegen, aber in einem Konzert kann man das Offensein und andere Dinge, die wir dazu brauchen, wie in einem Labor üben. Mehr können wir nicht tun. Wir sind kein internationaler Konzern, der die Macht hat, gravierende Veränderungen herbeizuführen. Wir arbeiten bottom-up … Und ja, George Lewis und Wolfgang Mitterer gehören auch zu den Komponist*innen, denen es um eine Unmittelbarkeit in ihrer Musik geht, eine Direktheit im Ausdruck, die diesen Flow herzustellen vermag. Das Programm ist auch schön, weil wir ein schon etwas älteres und bereits mehrmals aufgeführtes Stück mit einer Uraufführung kombinieren. Das bringt uns beides: die Aufregung des Neuen und die Rundheit eines gut gereiften Repertoirestücks. 

Studio Dan Ensemble © Ditz Fejer

Kleine Vorschau auf »You better listen!« am 26. September. Unter dem Signet »Loose Ends« wird Dorian Concept mit Keys & Electronics sein 20-jährigens Bühnenjubiläum zelebrieren. Seriös wird das Werk unter seinem bürgerlichen Namen Oliver Johnson verzeichnet werden. Xizi Wang wird auch Sonja Mutićs »Kontakt« dirigieren, ein Kontrapunkt im Vergleich zu Johnsons noch namenlosem neuen Stück?

Da bin ich gar nicht so sicher, wie sehr das als Kontrapunkt wahrgenommen werden wird. Ich kenne die ersten Entwürfe von Oliver bereits und auf eine Art teilen seine Stücke und »Kontakt« eine Klangwelt, obwohl die Entstehungsprozesse sehr unterschiedlich sind. Sonja Mutić komponiert doch in einem sehr klassischen, ohne es despektierlich zu meinen, akademischen Sinn, wohingegen Oliver seine Musik spielend und improvisierend produziert und wir dann eine Form suchen, wie wir das als Ensemble umsetzen. Das ist sehr spannend für uns. Beides. Und die Kombination noch viel mehr.

Schlussendlich zum für ein Ensemble Neuer Musik recht ansehnlichen Alben-Output mit Werken von Michel Doneda, Fred Frith und Christian F. Schiller. Auf dem eigenen Label Records and other Stuff hält Studio Dan mit »Hydra«, beinhaltend drei schillernde Kompositionen von Julia Purgina, bei der fünften Veröffentlichung, was Komponist*innen-Reihen anbelangt. Es scheint, dass Studio Dan in Hinkunft weibliche zeitgenössische Komponistinnen zunehmend ins Zentrum rückt? 

Kleine Bemerkung am Rande: Das mit der »Neuen Musik« in unserem Vereinsnamen ist ja ein irreführender Fehler. Als ich 2005 den Verein gründete und nach einem Namen suchte, hat mir die Vereinspolizei Studio Dan nicht durchgehen lassen. Ich musste die Nennung erklärend erweitern und habe mir etwas holpertatschig mit Verein für Neue Musik geholfen. Und obwohl dieser Zusatz eigentlich nur auf unserer Website und auf unseren Rechnungen aufscheint, führt es doch immer wieder zu falschen Mutmaßungen. Was die Komponistinnen betrifft, verstehe ich, dass sich die Frage auf die noch lange nicht ausgeglichene Diversitätsbilanz in unserem Repertoire bezieht. Und obwohl es für uns von Minute eins an selbstverständlich war, als gemischtes Ensemble aufzutreten, im Jazzkontext der frühen 2000er-Jahre noch gar keine Selbstverständlichkeit, ist dieselbe Durchmischung im Werkrepertoire noch lange nicht hergestellt. Also: ja! Weibliche Komponistinnen werden zunehmend ins Zentrum gerückt. Wir möchten aber auch in anderer Hinsicht einen Beitrag zur Diversität in unserem Genre leisten, wie man an unserem Line-up, dem Repertoire und den Kooperationspartner*innen sehen kann. Fairerweise möchte ich aber auch erwähnen, dass das nicht erst seit Kurzem erklärtes Ziel ist.

Außerdem wird gelistet: »Breaking News« von George Lewis/Oxana Omelchuk, publiziert von Hat Hut, und besonders schön finde ich auch den other stuff. Originell Designtes in Form von Stoffbeuteln, Tragetaschen, T-Shirts, Siebdrucken und Bastelvorlagen von Karolina Preuschl, die frei nach Frank Zappa »How is your bird?« heißen. Corona-Grußpostkarten von Nik Hummer/Daniel Riegler komplettieren den Merchandise-Reigen. Wie ist es um die Höhe der Auflage jeweils bestellt?

Eine lustige Frage! Die Höhe der Auflage ist bei den meisten Dingen eher klein, nachdem sich aber auch der Absatz in Grenzen hält, ist von fast allem noch genug für Interessierte da. Haha!

Termine von Studio Dan & MuTh: »You better listen!«

  • Dienstag, 7. Mai 2024, MuTh: 18:25 Uhr Amuse-Guele, 19:30 Konzert »On Connection« mit Studio Dan/Wolfgang Mitterer. Werke von George Lewis und Wolfgang Mitterer.
  • Donnerstag, 26. September 2024, Muth: 18:25 Uhr Amuse-Guele, 19:30 Konzert »Loose Ends« mit Studio Dan, Dorian Concept unter Xizi Wang. Werke von Oliver Johnson und Sonja Mutić.

Links: https://studiodan.at/; https://muth.at/

favicon

Unterstütze uns mit deiner Spende

skug ist ein unabhängiges Non-Profit-Magazin. Unterstütze unsere journalistische Arbeit mit einer Spende an den Empfänger: Verein zur Förderung von Subkultur, Verwendungszweck: skug Spende, IBAN: AT80 1100 0034 8351 7300, BIC: BKAUATWW, Bank Austria. Vielen Dank!

Ähnliche Beiträge

Nach oben scrollen