Philippe Quesne: NOČ KRTOV (Welcome to Caveland!) (FR), Stara mestna elektrarna – Elektro Ljubljana, 19.8.2016, 19. mednarodni festival Mladi levi
Philippe Quesne: NOČ KRTOV (Welcome to Caveland!) (FR), Stara mestna elektrarna – Elektro Ljubljana, 19.8.2016, 19. mednarodni festival Mladi levi

Räudige Maulwurfmusik

Maulwürfe, die mit der Schnauze Theremin spielen, mit den Krallen freudig aufs Schlagzeug hauen und einfach leben. Wie im echten Leben eben. Philippe Quesnes Stück »Die Nacht der Maulwürfe. (Welcome to the Caveland!)«, das auch zum Steirischen Herbst kommt, war in Ljubljana bereits zu sehen.

Foto: © Nada Žgank

Pappwände stehen auf der komplett schwarzen Bühne der »Stara mestna elektrarna«, des alten städtischen Elektrizitätswerks in Ljubljana. Es ist der Eröffnungsabend des Theaterfestivals Mladi levi … Ratsch! Eine große Kralle reißt ein Loch in die Pappwand. Gekichere bei den Zuschauern. Leichter Grusel. Was ist das? Das unsichtbare Krallenwesen schiebt einen Schlauch durch das Loch. Ratsch! Noch ein Loch. Dann purzelt eine Kugel aus Staubflusen durch den Schlauch auf die Bühne. Dahinter folgt in einem Purzelbaum ein Maulwurf in Riesenausgabe. Dann noch ein schwarzes Fellwesen und noch eines und noch eines. Bis die Bühne voll ist. Das Erstaunliche an Philippe Quesnes Theaterstück »Noč Krtov« (»Die Nacht der Maulwürfe (Welcome to the Caveland!)«) ist, dass eigentlich nichts Besonderes passiert. Man beobachtet einfach diese coolen, entspannten Maulwürfe bei ihrem Underground-Leben. Sie machen nichts Außergewöhnliches. Sie leben einfach nur. Aber wie! Sie amüsieren sich, mit einer Rutsche zum Beispiel, und es gibt nichts zu sehen, außer irgendwelche seltsamen, schwarzen, befellten »Viecher«, die auf der Bühne ihren Spaß haben. Trotzdem: »Habt ihr eigentlich improvisiert, oder ist das Theaterstück jedes Mal so?«, frage ich die müden, verschwitzten Schauspieler nach der Aufführung. »Wir improvisieren jedes Mal, der Inhalt ist nur vage angelegt«, ist die Antwort. Das merkt man. Und eben aus dieser Situationskomik heraus entsteht die Besonderheit des Stückes, relaxed und cool – »laid back«, wie die Amis sagen. Die Mitspieler der französischen Kompanie sehen praktisch nichts unter ihren Maulwurfkostümen und es schmeißt sie immer wieder hin, wenn zum Beispiel plötzlich von hinten einer schubst oder ein anderer Maulwurf plötzlich von der Decke fällt. Die Ûberraschung beim Fallen ist echt. Echte Maulwürfe können schließlich auch nur zwischen Hell und Dunkel unterscheiden.

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Foto: © Nada Žgank

Dreckiges Maulwurfschlagzeug

Die nächste Ûberraschung folgt, als einer der Maulwürfe an den Rand der Bühne geht und beginnt, Theremin zu spielen. Mit seinen Maulwurfklauen! Einmal sogar mit der Schnauze! Seltsame, ganz eigene Töne, eine strange Maulwurfmusik. Unterirdisch, galaktisch. Dann spielt ein anderer Maulwurf richtig dreckig Schlagzeug dazu. Ohne Hi-Hat, die Bass Drum durchtretend und schlagend. Fröhlich, minimalistisch, räudig – wie ein Maulwurf eben Schlagzeug spielen würde. Erstaunliche Musik entsteht. Wiegend, wehend, dann nimmt sie an Fahrt auf und wird beinahe tanzbar. Es folgt noch eine Gitarre, auch sehr schwierig zu spielen in dem Kostüm. »Welcome to the Caveland« steht auf einem Transparent auf der Bühne. Das Leben wird gespielt. Tod inklusive. Ein toter Maulwurf wird nach Wiederbelebungsversuchen mit einem Kran in die Höhe gehievt und hängt kopfüber herunter. Ein Maulwurfweibchen bekommt ein Baby. Die beiden Kinder eines der Schauspieler, die in der ersten Reihe sitzen, lachen nur, als das Maulwurfneugeborene auf die Welt gezogen wird, nackt und rot, an der Nabelschnur. Später werden die Kids fröhlich abtanzen, im Hof des alten Elektrizitätswerks, während nebenan Arbeiter in das neue Werk strömen. Auch in der Nacht wird hier gearbeitet.

Giftiger Vulkanschlamm

Der Schlagzeuger ist im echten Leben Erwan Ha Kyoon Larcher, ein Koreaner, der in Frankreich lebt. Mit Piercing und Tattoos, wild fuchtelnd und rauchend. In seinen Solo-Performances tritt er mit Gasmaske auf. »They say fear is hollow in its center and around it there is nothing, but that is not true. Fear is here…«, steht im Festival-Programm. »We live in dark times of cruelty.« Die Art und Weise, wie Erwan Schlagzeug spielt, erinnert an Minimal Music Mitte der 1980er-Jahre. Aber noch mehr an die Musiker der Stadt Sidoarjo in Ost-Java, die nach dem Ausbruch von giftigem Vulkanschlamm in ihrer Stadt blieben und eine eigene Musikströmung entwickelten, die von Leben und Tod handelt. Die Australierin Susan Norrie berichtet in ihrer Video-Installation »Havoc« darüber. Eine Band heißt z. B. »Korban Lumpur Group«, übersetzt »Die Opfer des Schlamms«. Das Programm zitiert auch den nigerianischen Dichter Ben Okri: »Stories can conquer fear, you know. They can make the heart bigger.«

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Erwan Ha Kyoon Larcher (Foto: Alenka Pirman)

Beim Steirischen Herbst wird »Die Nacht der Maulwürfe. (Welcome to the Caveland!)« am 23. und 24. September 2016 gespielt. Am Freitag gibt es im Anschluss noch ein anderes Konzert. Schwere Empfehlung!

Erwan Ha Kyoon Larcher solo:

vimeo.com/159027414

Susan Norrie – Havoc:

vimeo.com/164069567

vimeo.com/163974200

Home / Kultur / Kunst

Text
Kerstin Kellermann

Veröffentlichung
03.09.2016

Schlagwörter

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