?ber Kathy Acker nachzudenken, lädt dazu ein, Spekulationen und Interpretationen unverhältnismäßig viel Raum zu geben. Der frühe Tod dieser eigenwilligen Vertreterin der Postmoderne hat es vielleicht sogar noch schwieriger gemacht, den von ihr immer wieder neu beschriebenen Ort ihres Lebens-Werks zu ergründen, der diskursiv-thematischen Mehrfelderwirtschaft aus Sex, Sprache, Gewalt und Politik wirklich beizukommen. Wie also tun, mit einer Autorin, deren Biografie voller Widersprüche ist? Mit Acker kann man, mit aller ihrer Schärfe und Aktualität, mit ihrem unheimlich anmutenden Gespür für Inszenierung und Medialisierung, dem Zusammenfall von Lebensweg und Publikationsliste, im herkömmlichen Sinne wohl auch nie zu einem klaren Ende kommen. Zu vorsätzlich und gerissen ist ihr Spiel mit Identität, ihr Verflechten und Täuschen im Rahmen eines facettenreichen Werkes.
Was abseits aller unangebrachten Parallelisierungen bleibt, sind ihre Abkehr vom bürgerlichen Elternhaus, wilde Jahre an der Brandeis, das Bekenntnis zur nomadenhaften Außenseiterhaltung. Es bleibt das produktive Kippen vom Rebellischen ins Revolutionäre, es bleibt fraglos auch der Nimbus der Verworfenen, der Verrufenen, die provokative Inszenierung von individuell abgesteckter Moral. Die Streitbarkeit ihres offenen Kunst(werk)verständnisses hat uns ein Werk beschert, das sich wie eine Reihe von Kampfansagen liest, eine lange Liste des Aufbegehrens. Ausgehend vom Vernunftprojekt der Moderne wird die vernunftgebundene Deutung von Subjektivität verabschiedet, die individuelle Unabhängigkeit herausgestrichen und auf der Grundlage postmoderner Permutationsmodelle etabliert. Die Moderne wird auf verschobene Weise in das inhaltlich wie formalästhetisch neue Modell hineingeholt. Die Vorzeichen haben sich, so wird es auch bei Acker deutlich, zwar verschoben, doch die Moderne sucht die Postmoderne heim wie ein zähes Gespenst. Text und Körper sollen zur Sprache bringen, was sonst unterdrückt oder ausgeblendet wird. Acker versucht sich in einer Neuschreibung der Sprache und gelangt dabei zu einer Vielzahl von Grenzüberschreitungen, Ausnahmezuständen und Skandalen in formal mitunter sehr sperriger Form.
Der Autonomie von Texten eine Absage erteilend, imitiert sie und eignet sich andere Texte an, um daraus etwas Eigenes zu konstruieren. Diese Vorgehensweise, die man – ganz im Sinne Ackers – mit Piraterie gleichsetzen könnte, begründete die Autorin mit der Ablehnung des Gedankens an eine eigene Stimme, welche sie selbst nicht finden konnte. Sie selbst sah ihre Art zu arbeiten nicht als plagiierend an, ihre Texte waren für sie eigenständige künstlerische Werke, welche sie mit dem angesprochenen Collagen-Effekt erzeugte. Das Original abzuerkennen war nicht ihre Intention, für sie ging es vielmehr um die Verwendung und Verwertung von Kulturgut. Ackers eigenartige Auseinandersetzung mit Intertextualität bzw. Intermedialität prägte jedes einzelne ihrer Bücher, für sie war ihr Schreiben eine Methode, um sich selbst der Realität der Kultur sicher zu sein und die Toten am Leben zu erhalten, denn ohne sie, so ihre Einschätzung, gäbe es keine Kultur. Formal wie inhaltlich ist Kathy Acker aktuell geblieben, ist sie als Autorin und Denkerin wiederzuentdecken. Acker steht für eine krafterfüllte, heftige Literatur, die sich dem Ringen um Auswege aus normierten Lebenswelten verschrieben hat.
Kathy Acker: »Meine Mutter: Dämonologie«. Redaktionell betreut und mit einem Nachwort versehen von Ines Freitag, Janina Jonas und Thomas Ballhausen. Aus dem amerikanischen Englisch von Lotte Dreimann und Angela Rummel, überarbeitet von Thomas Ballhausen. Wien: Milena Verlag 2010, 290 Seiten, EUR 23,-