skug: Im donaufestival-Team wird Ihre Funktion als musikalische Konsulenz erwähnt. Was genau umfasst dieses Aufgabengebiet? Booking auch oder eher Ergänzung der künstlerischen Leitung als Kurator?
Klaus Moser: Ich sehe in meiner Rolle als musikalischer Konsulent die Möglichkeit, KünstlerInnen zu entdecken, die innovative Klangwelten schaffen. Im besten Fall sind wir in direktem Kontakt mit den KünstlerInnen und können so gemeinsam ein Auftragswerk oder Spezialprojekt planen. Das war z. B. heuer bei Manuel Knapp oder Stefan Fraunberger der Fall. Manuel Knapp ist ja Musiker und bildender Künstler. Er war bereits beim Kontraste Festival mit einem sehr beeindruckenden audiovisuellem Werk beim grandiosen Vertical Cinema Projekt in Krems zu Gast. Ich habe ihn im Herbst 2015 getroffen und gefragt, ob er Lust hat, für das donaufestival ein Auftragswerk zu kreieren. Zeitgleich hat Peter Kutin ihn gefragt, ob er Interesse an einem Release auf Ventil Records hat. Ein glücklicher Umstand, dass er nun auch Teile des neuen Releases (es gibt nur eine limitierte Auflage von 15 Stück!) beim donaufestival präsentieren wird. Ich schlage also KünstlerInnen vor und bin auch im Bookingprozess involviert, die Letztentscheidung liegt aber bei Tomas.
Shrack und Ventil, Bands um Peter Kutin, den ich bereits in seinen Anfängen im fluc-Umfeld sehr schätzte, hat das donaufestival im Rahmen einer God’s Entertainment-Aufführung im WUK erstentdeckt. Ergab sich daraus die heurige Zusammenarbeit mit Stefan Fraunberger oder wurde die Arbeit dieses Soundkünstlers schon des längeren verfolgt?
Wir haben ja Shrack und Ventil mit einem Doppelkonzert sowie Peter Kutin mit einem Auftragswerk im Jahr 2015 beim donaufestival präsentiert. Das Solowerk von Stefan Fraunberger hab ich erst nachher entdeckt. Konkret hab’ ich ihn bei einer Ausstellungseröffnung von Marlies Pöschl in einer Galerie in Wien erlebt und war ziemlich beeindruckt, welche Sounds er der Santur, der persischen Form des Hackbretts, entlockt. Marlies Pöschl und Stefan Fraunberger beschäftigen sich beide mit postkolonialen Themen und nehmen in ihrer Arbeit sehr starken Bezug zu gesellschaftlichen Fragen im Nahen Osten. Beide setzen sich mit diesem Kulturkreis auseinander und haben mir auch entscheidende Tipps über zeitgenössische Kunst im Iran, den ich im November 2015 auch bereiste, gegeben.
Marlies Pöschl wird beim donaufestival auch eine Videoarbeit unter dem Titel »Complex« präsentieren (Sound von Manuel Riegler) die sie in einer Residency in Teheran erarbeitet hat. Die Arbeit am weiblichen Körper steht im Mittelpunkt dieser Installation, der Körper selbst bleibt jedoch abwesend. Ausgehend von Field Recordings, die in (nach Geschlechtern getrennten) Sportkomplexen in Teheran aufgenommen wurden, kreiert Riegler vielschichtige auditive Narrationen, die Pöschls Aufnahmen von leergefegten Räumen Leben einhauchen.
Ideal für die Auseinandersetzung mit Postkolonialismus sind die Acts mit Bezug oder Herkunft zum Nahen Osten wo nach dem Zusammenbruch des Osmanischen Reiches willkürlich neue Grenzlinien gezogen wurden. Diese von westlichen Staaten auch in diesem Jahrtausend fortgesetzte Demütigung ist ein Hauptgrund für die Entstehung von islamistischem Terrorismus. Die Inspiration durch globale Musikströmungen ist ein mächtiger Gegenentwurf, dem die Mehrheit arabischer Bevölkerungen aufgeschlossen ist. Anregende Beispiele liefern der syrische Kurde Omar Souleyman sowie Kairos Electro Chaabi-Größen Islam Chipsy und Maurice Louca. Diese sind quasi nur Modernisierer von Folklore, während Fatima Al Qadiri, die aus Kuwait stammt, aber in New York lebt, dezidiert abstrahiert. Hängen die doch recht unterschiedlichen Arten des Aneignens »westlicher« Sounds Deiner Meinung nach vom Grad der Sozialisation der jeweiligen Künstler ab? Außerdem: Wie ist das donaufestival jeweils auf diese grandiosen Künstler gestoßen? Wird Fatima Al Qadiri live auftreten?
Das mag mit dem Grad der Sozialisation der KünstlerInnen zusammenhängen. Ich denke, es hängt auch damit zusammen, welches Ziel KünstlerInnen mit ihrer Kunst verfolgen. Omar Souleyman war bereits 2013 zu Gast beim donaufestival, wo er mit seiner modernen Fusion aus regionalen Variationen traditioneller Dabke-Musik begeistern konnte. Ähnlich hoch energetisch war die Show von Islam Chipsy und EEK, die ich 2015 beim CTM Festival in Berlin live erlebt habe. Beide verbindet, dass sie ursprünglich hauptsächlich auf Hochzeiten – Souleyman in Syrien, Islam Chipsy in Ägypten – auftraten. Der Ägypter Maurice Louca ist neben Islam Chipsy eine weitere zentrale Figur in der alternativen Musikszene Kairos. Wie sein Kollege Islam Chipsy ist auch er dem Chaabi verpflichtet, überschreitet diesen aber in Richtung experimentelle Musik. Wir sind auch schon sehr gespannt auf den Auftritt von Maurice Louca, den uns unsere Freunde vom CTM Festival empfohlen haben.
Fatima Al Quadiri ist schon sehr lange auf unserer Wunschliste. Zum Zeitpunkt der Verhandlungen war noch nicht klar, ob sie wie gewohnt einen DJ-Set oder sogar ihre erste Live-Show in Österreich beim donaufestival präsentieren wird. Das Management hat letzte Woche mitgeteilt, dass sie zur Vorbereitung des Live-Auftritts noch mehr Zeit braucht. Wir freuen uns also auf ihren DJ-Set mit altem und neuem Material. Mit ihrem Album »Asiatisch« unterwandert sie typische Zuschreibungen, es subvertiert unsere Bilder des Anderen, des Fremden in diesem konkreten Werk: des Asiatischen. Die globalisierte Linguistin jongliert mit irgendwie asiatisch klingenden Signalen, von denen nicht klar ist, ob sie einen Ursprung in einem realen Asien haben. Sie schafft es einmal mehr, zeitgenössischen Kunstdiskurs und Gesellschaftskritik mit ihrer musikalischen Arbeit zu verknüpfen.
Ein verdienter Hype wie um Al Qadiri erhöht wohl einigermaßen die Gage. Wie groß sind die Preisunterschiede bei Acts wie Al Quadiri, Dean Blunt aka Babyfather, Chicagos Footwork-Kapazunder RP Boo oder eher unbekannteren, queeren wie Khalif Diouf aka Le1f oder Angel-Ho?
Bei all den genannten KünstlerInnen sind die Gagenvorstellungen noch ziemlich überschaubar. Auch deshalb haben wir in den letzten Jahren unseren Fokus von etablierten Headlinern auf spannende neue KünstlerInnen mit innovativen Musikentwürfen verlegt. Angel-Ho z. B. hat (noch) kein Management. Ich hab ihn 2015 beim Unsound Festival in Krakau entdeckt und ihn persönlich daraufhin angeschrieben. Er folgte unserer Einladung und wird nun am 6. Mai in Krems auftreten.
Angel-Ho fügt sich sehr gut ein ins Thematisieren des Unrechts, das ausbeuterische imperiale Mächte wie die USA, die EU oder China aufgrund der Globalisierung mehr denn je verschärfen. Der südafrikanische Künstler gehört dem Label-/Kollektiv NON, das hegemonialen Strukturen den Kampf ansagt, an. Heftige, politische Clubmusik-Sounds! Passend dazu gastieren auch Mbongwana Star, die wie Konono#1 einem Afrofuturismus frönen, der teils auf improvisiert entwickelten Eigenbauinstrumenten und bewusst roher Klangerzeugung beruht. War »Kritik der schwarzen Vernunft«, das über die Verbrechen des Kapitalismus an Afrika und seinen Völkern berichtende Buch Achille Mbembes dazu eine Inspirationsquelle?
Ich habe dieses Buch leider noch nicht gelesen, denke aber es ist ein weiterer Baustein im postkolonialen Diskurs. Ziel unseres künstlerische Leiters Tomas Zierhofer-Kin ist die Aufhebung des Normativen, die sinnliche wie intellektuelle Erfahrung einer anderen möglichen Welt. Indem sie uns die Nicht-Norm, den radikal anderen Blick auf die uns umgebende Welt ermöglicht, stellt sie einerseits das gesamte System unseres Denkens, Empfindens und Handelns in Frage und eröffnet andererseits utopische Möglichkeitsfelder, die das Potential einer grundlegenden Neuausrichtung von Denken und Handeln in sich tragen. Das donaufestival 2016 versteht sich als Manifest der Nicht-Norm, des anderen, des postkolonialen Blicks auf eine Welt des Grauens. Vielleicht ist es uns heuer am Besten gelungen, dieses Anliegen durchlässig und genreübergreifend auch in den musikalischen Projekten abzubilden.
Sie haben sicherlich einige weitere Artists entdeckt. Welche bislang ungenannten liegen Ihnen besonders am Herzen?
Wir arbeiten seit Herbst 2015 am Auftritt von Rashad Becker, der mit Mitgliedern des legendären New Yorker Ensembles Alarm Will Sound ein Spezialprojekt im Klangraum Krems Minoritenkirche präsentieren wird. Dean Blunt kehrt mit seinem neuen Projekt Babyfather zum donaufestival zurück. Das erklärte Ziel von Tara Transitorys Musikprojekt »One Man Nation« ist es, Grenzen zu sprengen. Ihre Live-Auftritte gleichen akustischen Seancen. Sie sollen in einen Zustand kollektiver Trance versetzen und eine Out-Of-Body Erfahrung auslösen, in der sich Körper und Selbst aufzulösen beginnen. Ich hab sie 2015 im Wiener rhiz das erste Mal live erlebt und kennengelernt. Sie hat bereits auf dem österreichischen Label muzaak veröffentlicht und wird am 6. Mai im Klangraum Krems Minoritenkirche auftreten. Auch fantastisch wird das Art-Pop-Projekt Easter. Sie liefern den authentischen After-Hour-Soundtrack zu durchgefeierten Nächten in den dunklen Clubs Berlins. Dort hab ich sie auch beim CTM Festival zum ersten Mal live erlebt. Easter sind großartig.
donaufestival 2016
29. April – 1. Mai & 5. – 7. Mai
Krems a. d. Donau/Austria