Pastellartig-klangliche düstere Kontemplation: »Nach dem Regen fällt ein Tropfen – Grün!«. »Noisy Love Songs« als Teil der New Yorker Avantgarde tendiert stärker zum Ruralen, zum Vergangenen als zum Urbanen, Zukünftigen. Die Gegenwart ist dabei als eine Atmosphäre erlebbar, die sich der Langsamkeit, Introspektion, Introvertiertheit mehr annähert als dem Hektischen, Extrovertierten, Exzentrischen. Nicht aus der avantgadistischen Perspektive, sondern der der Romantik muss man die Songs vielleicht noisy nennen. Es herrschen Filigranes, Feinheiten, Gedämpftes vor, nicht Grobes, Hartes, Lautes. Es geht hier um Sanftes aus heutiger Großstadtsicht. In Farben wären diese Klänge möglicherweise Schattierungen in Weiß- und Gelbtönen. Darauf spielen auch Adjektivfragmente der Songbezeichnungen an. Die Stücke klingen aber auch manchmal düster und dunkel. Den Kompositionen ist verhalten experimentierend Improvisation hinzugefügt.
Okkyung Lee ist eine 1974 in Korea geborene, in den USA klassisch ausgebildete Cellistin. Doch sie ist schon seit einem Jahrzehnt in der New Yorker Avantgarde des Jazz und Free Jazz heimisch. Spielte mit zahlreichen in der Szene anerkannten MusikerInnen – die namhaftesten davon sind Derek Bailey, Laurie Anderson, Fred Frith, John Zorn. Nun, auf »Noisy Love Songs« sind folgende Mitmusiker zu finden: Cornelius Dufallo (Violine), Christopher Tordini (Bass), Satoshi Takeishi, Ikue Mori, John Hollenbeck (Percussion, Electronics), Peter Evans (Trumpete), Craig Taborn (Piano).
Die Grundstimmung und die Bewegungen der Musik dieser CD sind asiatischen Sport- und Meditationsübungen mit ihren eigenen rhythmischen und inhaltlichen Gesetzen in Zeit und Handlung durchaus verwandt. Ein Song heißt auch »Kung«.
Andere Songs der CD lehnen sich an Worte wie Nacht, Regen, Baum, Karussell, Fluss, Stahl, Stille, Körper an. Sprechen die körperliche Sinnlichkeit mehr an als das mental Analysierende. Weitere Worte wie Morgen, Antwort können vielleicht evozieren, dass es wert ist, den Morgen abseits der Mühlen eines effekthascherisch grell-bunten Weltgetriebes zu verbringen. Mit Abwarten, Tee trinken, Musik und Literatur. Man trinkt Tee, um den Lärm der Welt zu vergessen. Bestens zu dieser Aussage passt »Noisy Love Songs«. Musik für Menschen, die nicht den Lärm der Welt herausfordern wollen, sondern einen asiatisch-amerikanischen Klangraum der Zurückgezogenheit. Dabei aber jederzeit bis über die Grenzen zum Atonalen gehen. Alles kann dabei selbst Gegenstand des Absoluten sein, alles Seiende kann in sich gespiegelt sein. Musik die durchaus auch Zen-Gedichten entspricht. Musik, bei der man feine Unterscheidungen wahrnehmen können muss wie bei dem Spektrum asiatischer Tees.
Sollte ich der CD einenText hinzufügen wollen, dann denke ich an den Zen-Literaturkontext. »?? Am frühen Morgen / höre ich / den Gesang / der Fischer / auf dem Izumi-Fluss« (Otomo no Yakamochi) – »Frühlingsregen! / Reden und gehen / Zusammen mit Regenmantel und Regenschirm« (Buson). Okkyung Lee hingegen hat ein Samuel-Beckett-Zitat aus der 1946 geschriebenen Kurzgeschichte »First love« verwendet.
Die Review wurde am 5.10.2011 bereits auf www.culturmag.de veöffentlicht.