Fotos: © Martin Gössinger
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»Nichts bleibt, als die Erinnerung«

Kabarettistinnen, die sich der Liedtexte Fritz Löhner-Bedas annehmen und auf die Melodien Hermann Leopoldis treffen. Die Entstehung des Buchenwaldliedes war das Thema eines Musiktheaterstückes im Goethe Gymnasium.

»Warum müssen wir unbedingt das Buchenwaldlied lernen?«, fragt ein Schüler. »Ich möchte dem jüdischen Librettisten und Schlagertexter Fritz Löhner-Beda, der 1942 in Auschwitz ermordet wurde, seine Ehre zurückgeben«, antwortet die Musiklehrerin. »Das Salonorchester aus ehemaligen und jetzigen Professoren des Goethe Gymnasiums spielt«, sagt ein Sprecher. Viele SchülerInnen sind auf der Bühne, noch mehr sitzen davor. Alle quatschen ständig dazwischen. »Du Opfer«, tönt es. »Wieso Opfer?« Einzelne lachen laut. »Jetzt kommt diese Schießbudenfigur, der Hitler«, sagt eine Schülerin. »Ich will nach Hause«, eine andere.

Das Theaterstück »Und ein Lied erklingt« über die Geschichte des Buchenwaldliedes steigert seine Spannung bis zum abrupten Schluss. Ein guter Kunstgriff war es, die Geschichte der beiden Kabarettistinnen Eva und Clara einzubauen, die in ihrem Kabarett »Der schwarze Zigeuner« in der Zwischenkriegszeit kein Blatt vor den Mund nahmen. »Der kleine braune Schnauzer hat die Jahreszeiten abgeschafft«, sagt Eva, »er braucht nur den Herbst, in dem die braunen Blätter fallen.« Auf diesen dunklen Scherz folgt ein heftiges Lied mit ganz vielen Strophen: »Ob es nieselt, ob es rieselt, ob du hustest, ob du niest … Dass der Schnee so furchtbar weiß ist … Dass die Bäume steh’n im Wald … An allem sind die Juden schuld!«

»Das Stück ist unheimlich … [lange Pause] toll«, sagt Zuschauer Thomas Frankl, der als Kind vor den Nazis versteckt war und ein halbes Jahr im Goethe Gymnasium in die Schule ging. Hinter ihm in der Reihe sitzt Ehrengast Ronald Leopoldi, der Sohn von Hermann Leopoldi und Helly Möslein. Kronleuchter, Holzboden, schwere Vorhänge. »In der Bar zum Krokodil am Nil, am Nil, am Nil«, singt Eva von der Bühne. Es geht um Theben und um Memphis, um Potiphar, der schneller als der Ramses war, in der Bar am Nil zum Krokodil. Löhner-Beda, der ursprünglich Löwy hieß, kam mit dem ersten Prominenten-Transport nach Dachau. »Mir wird schon nichts passieren, weil der Hitler meine Lieder liebt«, dachte er zuvor.

»Deine Füße, du Süße«

Im Theaterstück im Goethe Gymnasium stehen Eva und Clara 1941 kurz vor der Pleite. Sie fragen sich, welche Lieder sie überhaupt noch spielen dürfen. »Davon geht die Welt nicht unter« bzw. »Ich weiß, es wird einmal ein Wunder geschehen« schlägt Eva scherzhaft vor. Clara denkt mit einem Augenzwinkern über Propaganda-Lieder nach, doch »Lieber verhungere ich!«, ist die Antwort. Lieselotte, die Tochter von Löhner-Beda schaut in einem gestreiften Kleid mit Judenstern vorbei. Sie ist traurig, denn sie hat nichts von ihrem deportierten Vater gehört. »Wenn man traurig ist, sollte man nicht alleine sein«, sagt Clara und die Kabarettistinnen singen dem Mädchen das Lied »Du schwarzer Zigeuner« vor. Sie geben Lieselotte Alkohol, den sie wieder ausspuckt. Vierzehn Jahre ist sie alt. »Wenn dein Mund sich satt geküsst, ist der Traum vorbei«, singen die beiden Frauen. »Nichts bleibt, als die Erinnerung.« Lieselotte macht sich Sorgen um die Zukunft. »Hoffnung, Schlaf und Lachen helfen, das mühselige Leben zu ertragen«, meint eine der Frauen. »Wollt ihr nicht einen Abend nur mit Vatis Liedern gestalten?«, fragt Lieselotte.

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In der Schule riecht es nach Kandiszucker. Bratäpfel? »Ich habe dich tanzen gesehen, das hat das Maß der Liebe vollgemacht«, wird gesungen. »Herrlich gefährlich, deine Füße, du Süße.« Einige Jungen knabbern an ihren Nägeln, angesichts der großen Aufgabe: Liebe. Die beiden Kabarettistinnen bringen Lieselotte den Tango bei. Sie strahlt – ein süßes, etwas kräftiges Mädchen: »Freunde, das Leben ist lebenswert! Jede Stunde verjüngt sich die Welt, die herrliche Welt!« Während sie noch schwärmt, ertönt die Luftschutzsirene. Bombengedröhne. Eine Bombe schlägt ein. Clara ist verschwunden. »Das Stück ist unheimlich«, sagt Thomas Frankl. »Ja, unheimlich fantastisch«, betont Ronny Leopoldi von hinten.

In der Bar zum Krokodil

Kindergequatsche. »Clara ist ihren schweren Verletzungen erlegen. Lieselotte wurde einige Tage später verhaftet und im Gaswagen ermordet«, erklärt die Musiklehrerin auf der Bühne. Ein Junge im roten T-Shirt liest von seinem Handy ab, was ein Gaswagen war und wie er funktionierte. »Um die Opfer zu beruhigen, wurde die Lampe eingeschaltet«, liest er vor. Dieser Moment ist schwer zu ertragen. Wie kann man Kinder vor Mördern beschützen? Wie kann man verhindern, dass Kinder aus Ahnungslosigkeit oder Trauma Kränkungen begehen? »Die Nazis waren sowas von krank in der Birne!«, ruft ein Junge. »Fritz Löhner-Beda wurde in Buchenwald zusammengeschlagen, weil er so langsam gearbeitet hat, und starb an seinen Verletzungen«, berichtet die Musiklehrerin. »Franz Lehár, mit dem Löhner-Beda Musik komponierte, hätte Einfluss auf Hitler nehmen können, aber Lehár sagte später, er hätte von nichts gewusst. Der Kommandant von Buchenwald wollte ein Lagerlied. Ein Mithäftling sagte dann, er hätte es geschrieben, da Löhner-Beda und Leopoldi beide Juden waren.« Hermann Leopoldi konnte von seiner Frau, die schon in den USA lebte, freigekauft werden.

Die nächste Szene spielt nach dem Krieg. Eva hat überlebt und mit ihrer neuen Partnerin die Bar zum Krokodil eröffnet. Sie streiten, denn Eva gefällt die Stepp-Nummer ihrer Partnerin nicht. Die will gleich ihre Sachen packen. Ein alter Mann, der in der Bar einen Kaffee trinkt, mischt sich ein: »Wer seine Freiheit dazu verwendet, anderen die Welt zur Hölle zu machen, hat nicht begriffen, was Freiheit ist«, sagt er. Die Frauen diskutieren, dass sie statt dem Stepp-Tanz lieber die Lieder von Löhner-Beda aufführen würden. Der Alte mischt sich wieder ein: »Seinen größten Erfolg können Sie gar nicht kennen, weil Sie nicht in Buchenwald waren. Wir mussten das Buchenwaldlied singen. Immer und immer wieder. In der Hoffnung, dass unser Lebenswille gebrochen wird. Das Lied hat uns aber im Gegenteil aufgerichtet. Tausenden Juden das Leben gerettet. Dieses Lied, das keiner singen will, ist sein größter Erfolg.« Der alte Herr zahlt und geht. Er lässt ein Notenblatt liegen. Es ist Hermann Leopoldi.

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Dann gehen plötzlich Kinder zur Bühne, stellen sich links und rechts davon auf und singen das Buchenwaldlied. »O Buchenwald, ich kann dich nicht vergessen, weil du mein Schicksal bist.« Schniefen von hinten, dann Taschentuchschnäuzen. Es ist keine Schande, mit dem Sohn von Hermann Leopoldi zu weinen. »Wer dich verließ, der kann es erst ermessen, wie wundervoll die Freiheit ist«, singen die Kinder. »Denn einmal kommt der Tag, dann sind wir frei.«

Das Musiktheaterstück »Und ein Lied erklingt« wurde leider nur ein einziges Mal aufgeführt.

Information dazu auf der Homepage des Goethe Gymnasiums: www.astgasse.net

Home / Kultur / Open Spaces

Text
Kerstin Kellermann

Veröffentlichung
28.02.2017

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