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Ingrid Schmoliner/Elena Kakaliagou

»Nabelóse«

Corvo Records

Fünf Lieder nur, aber sie nehmen insgeheim gefangen, entführen in eine mythologische (Sagen-)Welt, die in der Vergangenheit ankert und doch so gegenwärtig klingt. Damit das Eintauchen in diesen jen- und diesseitigen Kosmos gelingt, eröffnet »To Be Given Up« gleich 13:28 Minuten lang. Berückend schön klingt es aus dem Inneren von Ingrid Schmoliners Klavier und Elena Kakaliagous lang angehaltene Waldhorntöne summen fort wie in Ewigkeit. Wenn dann noch ihre Stimme anhebt, ist dieses griechische Volkslied gänzlich in einer ureigenen Klanggestalt angekommen. Im anschließenden »Frau im Berg« wird die Stimme konkreter, statt Entrücktheit ist ein vehementes Gurren und eine Art Waldhorn-Loop zu vernehmen. »Frau im Wagen, spann deinen Wagen. Mit Ei, Brot und Schlamm«. Erst in der zweiten Hälfte setzen wohlgesetzte Tastenklänge am präparierten Piano ein. Diese läuten zum Ende hin verfremdet scheinbar wie Glocken. Ein Totengesang aus alpinen Zonen.

Die B-Seite wartet mit perlenden Pianosaiten-Glissandi auf. »Goldgefüllter Lippenrand« setzt einem Gewässer, das vielleicht Mühlen in Betrieb setzt, ein tönendes Denkmal. Im darauffolgenden »Schlangenfrau« wird scheinbar warmer Dampf, der aus einem Urschlund steigt, symbolisiert, mit kraftvollem, atonal klingendem Tastenanschlag. Den wundersamen, gleichzeitig beunruhigenden Abschluss bildet »Nabelóse«. Im Meisterwerk, das auf einem griechischen Volkslied basiert, spricht die Protagonistin zu einem bemalten Boot, zu einer fremden Gestalt und spendet wehklagend einem verlassenen Waisenkind Trost. Die Vokalisen klingen unheimlich, haben aber wie die verzagten und bedrohlichen Waldhorn- und präparierten Pianosounds eine innere Schönheit. Es ist eine Erzählung über das Meer, über das Verlassen des Zuhauses, das Empfinden von Fremdsein und Sehnsucht. Ein melancholischer Ausklang, der noch am ehesten in Erinnerung ruft, dass hier zwei ausgewiesene Improvisationsmusikerinnen erhabene Klänge für die Ewigkeit meißelten.

Die Aufnahmen für dieses Album fanden übrigens in der Alten Gerberei St. Johann in Tirol, Hort des Artact-Festivals, statt. Betörender wurden alte Traditionals und Sagen aus dem Alpenland und vom Mittelmeer kaum jemals vertont. Die Platte, nur in 300 Stück Auflage erschienen, verlangt sofort danach, wieder auf die A-Seite umgedreht zu werden. Der Widerhall von Elena Kakaliagous French Horn und die sich damit verzahnenden, kaum erkennbar präparierten Pianostringtöne machen sicher: »Nabelóse« ist ein magisches, berührendes Album.

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