Adolf Frankls »Selection« gehörte einmal dem deutschen Bundespräsidenten. Wie aber gelang es Heinz R. Böhme vom Salzburger Museum Kunst der Verlorenen Generation, seine auch für die Zeitgeschichte spannende Sammlung aufzubauen? »Ich suche meistens nachts«, sagt er mit spitzbübischem Lächeln. Er scheint seine Nächte im Internet zu verbringen, auf internationalen Versteigerungen und Auktionen von Bildern, und fröhlich mitzubieten. Auf der Suche nach ganz speziellen Bildern, die in den Museen unterrepräsentiert sind. Nur im Oberen Belvedere in Wien gibt es außerhalb des Jüdischen Museums einen kleinen Saal mit sehr unterschiedlichen Werken zu dem Thema der Verfolgung und Vernichtung von Künstler*innen bzw. ihrer Kunst im Nationalsozialismus. Die Bildersuche scheint so eine Art Sammlersucht zu sein.
Angefangen hat Professor Böhme durch seine Arbeit als Internist mit Porträts: »Als Mediziner interessierten mich Gesichter, weil Gesichter viel über Krankheiten aussagen. Dann kaufte ich französische Landschaften, dann Münchner Maler – wie es sich gehört.« Wieder dieses Lächeln. Jetzt hat er aber seine Leidenschaft gefunden: Heinz R. Böhme interessieren Malerinnen und Maler, die zwischen 1920 und 1945 arbeiteten, von den Nazis verfolgt wurden und eher unbekannt sind. »Keiner will sie haben«, resümiert er seine Erfahrungen. In einem Haus aus dem vierzehnten Jahrhundert in der Salzburger Sigmund-Haffner-Gasse zeigt er »meine Welt und meine Form der Interpretation und Weitergabe«. Das Museum wurde wie ein Wohnzimmer eingerichtet, »wir haben französische Möbel von 1834 und sogar Gardinen«. Die Fenster des Museums gehen auf den Markt, Kindergeschrei tönt herauf.
Städelschule im Winter
»Ich könnte eine eigene Ausstellung nur mit Max Beckmann-Schülern machen«, winkt Böhme bescheiden ab, als Anna Krügers Doppelporträt des berühmten Frankfurter Malers Max Beckmann und seiner Frau Quappi bewundert wird (um 1930, Öl auf Leinwand). Anna Krüger war älter als Beckmann und sehr angetan von ihrem Lehrer, deswegen erstellte sie auch eines von wenigen bisher bekannten Doppelporträts überhaupt, die es von Quappi und Max auf der Welt gibt. Wunderschön gemalt auch das dunkelgrüne Haus, das im Schnee »sitzt«. (»Blick von der Städelschule im Winter«, um 1928/29). An der Ecke ist ein Teil des Städel Museums zu sehen. »Die Häuser auf der anderen Straßenseite stehen heute noch, hat mir ein Besucher erzählt. Diese wären seine Aussicht«, ergänzt Böhme. Der Danziger Ottokar Gräbner war ebenfalls ein Meisterschüler Beckmanns. Er emigrierte wegen des Arbeitsverbotes durch die Nazis in den sowjetischen Teil Polens. Auf seinem Selbstporträt von 1951 hat der Maler gelbe Augenbrauen und an der gelben Wand seines Ateliers hängen abstrakte Bilder. Er schaut den Betrachter skeptisch an. Der ehemalige Maschinenschlosser Theo Garvé war einer der ersten Meisterschüler Beckmanns. Seine Arbeiten wurden als »Verfallskunst« und »Erzeugnisse geisteskranker oder schwachsinniger Kinder« diffamiert. Garvé besuchte Beckmann im Amsterdamer Exil und baute nach 1945 das Städel wieder auf, auch als späterer Leiter der Abendschule.
Menschliche Verschränkungen
Der Sohn einer Wiener Mutter und eines sächsischen Vaters findet ungewöhnliche Verbindungen zwischen Malerin und Modell spannend. So schuf zum Beispiel Ottilie Johanna Wollmann die Skulptur »Dynamischer Tanz« (um 1925) der Tänzerin Gret Palucca. Wollmann wurde 1944 in Auschwitz ermordet, Palucca hingegen tanzte unter den Nazis weiter. Oder: Ein Kinderarzt, der in seiner Laufbahn vielen Kindern half, auf die Welt zu kommen. So auch einem Jungen, der später zur SA-Standarte ging! Der SA-Junge informierte im Juni 1938 seinen Arzt über die bevorstehende Deportation am nächsten Tag. Der jüdische Kinderarzt brachte sich daraufhin selbst ums Leben.
»1933 bis 1944 verschwanden Tausende von Menschen über Nacht spurlos, niemand suchte nach ihnen«, hatte der Sammler auf der Tagung »Visualisierung des Exils« im Salzburger Museum der Moderne gesagt, »die Existenz dieser Menschen wurde auf wenige Vokabeln reduziert«. Professor Böhme startete einen Aufruf: »Tretet vor meine Bilder und lasst sie weiterreden. (Zitat: Adolf de Haer, 1937) Wir müssen die Bilder sprechen lehren. Lasst die Bilder sprechen, um diese Tragödie nicht vergessen zu lassen!« Er besitzt bisher um die 500 Bilder, die er in Wechselausstellungen zeigt und die auch verliehen werden. Er warnt eindringlich: »Es eilt, neue Formen der Erinnerung zu finden. Es ist nicht neu, dass Fragen dazu gestellt werden. Warum gibt es keine Antworten?«
Die Ausstellung »Apropos Frauen. Schicksale aus der Sammlung Böhme« im Museum Kunst der Verlorenen Generation läuft noch bis Ende April 2022.