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Molekulare Erkenntnispolitiken: »Entheovision«

Dichtes Programm bei der diesjährigen »Entheovision«, der fünften Konferenz zur »wissenschaftlichen Psychonautik« in Berlin, Planet Erde.

Foto: Ivo Gurschler

Why should not we also enjoy an original relation to the universe?

Ralph Waldo Emerson

Psychedelics are not very good at supporting any status quo.
Nese Devenot

Ehe man sich versieht, ist man schon eingeraucht: Palo Santo (»heiliges Holz«) heißt der Stoff, mit dem der große Hörsaal des Botanischen Museums zu Berlin vor Beginn der Tagung »gereinigt« worden ist. Was früher Psychotomimetika hieß und dann Psychedelika genannt wurde, wird hier unter Entheogene (1) verhandelt. Wenn die Koordinaten von Raum und Zeit durch Einnahme psychotroper Substanzen erst einmal ordentlich durcheinandergeraten sind, sieht man solche begriffspolitischen Vorentscheidungen wohl etwas lockerer, ernst genommen werden müssen sie aber dennoch. Ein Ein- tauchen in das Molekulare ermöglicht einen Blick aus dem sozialen Gehege, erhöht allerdings auch die Gefahr, sich daran den Kopf zu zerbrechen. Und in einem Forschungsfeld, in dem weder vom »setting« (also der Umgebung) noch vom »set« (d. h. der persönlichen Einstellung) abstrahiert werden kann, mag die Wahl der bezeichnenden Worte entscheidend sein.

Wilde Kräuter

Die Vortragsreihe des ersten Tags begann naturkundlich: Felicia Molenkamp zeigte, was in unseren einheimischen Pflanzen steckt und empfahl Alternativen zu Antibiotika. Als Menschen wären wir auf diese – natürlich, »Koevolution« sei Dank! – »eingestellt«, nur ging das Wissen darüber leider ver- loren beziehungsweise wurde es durch die Pharmaindustrie ins Abseits gedrängt. Nebst dieser fundierten Einführung in die Heilpflanzenwelt wurden auch Kräuterwanderungen im anliegenden botanischen Garten angeboten, um das Gehörte aktiv zu vertiefen.

Im Anschluss daran referierte Tibor Harrach über »Legal Highs«, welche durch »Research Chemicals«, Badesalze oder Räuchermischungen wie z. B. »Spice« erreicht werden können. Je rigider die Drogen- politik eines Landes, desto größerer Beliebtheit erfreuten sich solche immer neuen und zunächst legal erhältlichen Stoffe. Problematisch sei das insofern, als diese relativ unerforscht und deren (Langzeit-)Wirkungen mithin schwer einschätzbar seien. Also besser auf Altbewährtes zurückgreifen und lieber einen Gesetzesbruch als seine Gesundheit riskieren?
 

Klandestine Chemie

Während im unteren, kleineren Saal gegen »Gedankengefängnisse«, »Drogenlügen« und für eine Legalisierung von Cannabis konfrontative Aufklärungsarbeit geleistet wurde, ging es oben streng naturwissenschaftlich weiter. Danny Wolf führte in zwei großen Schritten – Teil 1: Phenethylamine (Meskalin und Co.), Teil 2: Tryptamine (Psilocin etc.) – in das ABC der psychedelischen Chemie ein und gewährte damit gleichzeitig Einblick in die Arbeits- und Denkweise des legendären Alexander Shulgin.

Der erste Tag endete, etwas unvermittelt, in Märchenwelten. Die Rolle von psychedelischen Sub- stanzen werde sowohl im teilweise durch selektive Ûberlieferung entstellten Märcheninhalt als auch in der Produktion nachgewiesen: So nahm etwa Lewis Carroll seit seinem 24. Lebensjahr zu jeder Mahlzeit ein Fläschchen Cannabis-Tinktur zu sich, und E. T. A. Hoffmann trank gerne Laudanum: mit Opium versetzten Wein.
 

Gute Connections

Für frischen Wind sorgte am nächsten Tag ein braungebrannter Arno Adelaars. Mit wallendem Haar dekonstruierte der gebürtige Niederländer spezifische dietas, die vor dem Konsum von Ayahuasca einzuhalten wären. Eine »gute Connection mit Mutter Erde« sei weder durch sexuelle Enthaltsamkeit noch durch vegetarische Ernährung zu befördern. Tabak sowieso, aber auch Cannabis oder Stechapfel passten gut dazu, nur vor der Kombination mit Iboga wurde gewarnt. Horrortrips seien nichts, was man abschaffen könnte, so Adelaars, sondern Teil der Erfahrung. Von daher sei eine kompetente Begleitung unerlässlich. In Amsterdam etwa riefen die Nachbarn die Polizei, wenn die furchtbaren Schreie nicht aufhörten, und die wisse zumeist schon Bescheid: »Ah ja, Ayahuasca.« Den nicht zuletzt durch Terrence McKenna vermittelten Einfluss von DMT auf die Psy-Trance-Szene rekonstruierte Graham St. John in »Remixticism«. Diese These unterlegte er mit Samples, die Wortfetzen wie »DMT« und »interconnectedness« vernehmen ließen, und meinte so einen Beitrag zu den Kulturwissen- schaften zu leisten.

Peter Hess sah sich, ausgerüstet mit Gongs, Tampuras oder Monochord, eher dazu berufen, einmal (unfreiwillig) geöffnete Pforten der Wahrnehmung wieder dicht zu machen, denn »Bewusstseine« zu erweitern. Auch für so genannte Drogenpsychosen bewähre sich seine, selbst an Kliniken ange- botene, »psychedelische Musiktherapie«.
 

Burghölzli rulez

Mathias Diesch berichtete von der zögerlichen Rückkehr der LSD-Forschung in der Schweiz. Im therapeutischen Bereich fließe der Strom leider nur sehr dünn, aber doch. Im klinischen Bereich gehe dagegen durchaus etwas weiter: Franz X. Vollenweider, der wohl repräsentativste Sprecher der Tagung (2), durchleuchtet in seiner Arbeit Freiwillige auf Ketamin und Psilocybin mittels moderner bildgeben- der Verfahren und macht gleichzeitig Hirnstrommessungen. Er beruft sich dabei auf die Tradition der psychiatrischen Universitätsklinik Zürich aka »Burghölzli« und nennt Bleuler, Jung und LSD-25 seine Vorfahren.

Die erste Generation der psychedelischen Forschung kam endlich doch noch mit Rolf Verres und Ralph Metzner zu Wort. Verres plädierte emphatisch für eine umsichtige Konsumtionshaltung und wünschte sich eine möglichst raffinierte Entheogenkultur. Metzner verwies zunächst auf seine zahl- reichen Bücher, die momentan der Reihe nach im Nachtschatten Verlag auf Deutsch erscheinen, und vermittelte zumindest einen ungefähren Eindruck, wohin einen das eigene Denken nach jahrzehnte- langer Innenraumerweiterung führen kann.
 

Postorgasmische Ekstase

Tiefe Entspannung, Reduktion von Angstgefühlen, körperliches Wohlbefinden und erhöhte Prolaktin- werte sind Merkmale, die den Zustand nach dem Orgasmus mit dem auf MDMA vergleichbar machen. Torsten Passie – der übrigens wie Metzner und Vollenweider im April auf der »Psychedelic Science 2013« in Kalifornien zu Gast war – zeigte sich selbst überrascht von seinen Untersuchungsergeb- nissen.

Vertrauen in den eigenen Körper, große Berührungslust mit gleichzeitiger Erektionshemmung und die Tatsache, dass es im Anschluss einer entaktogen verstärkten »Vergegenwärtigung des anderen« in der Regel nicht zum Wunsch nach längerer Bindung kommt, bedeute außerdem eine Konstellation, die Körperkontakte auch in therapeutischen Settings denkbar machen würde.

Seit den »Drogen« in den 1970ern – mitsamt ihren Benutzern – durch Richard Nixon der Krieg erklärt worden ist, lag auch deren offizielle Erforschung mehr oder weniger brach. Momentan scheint aller- dings so etwas wie eine psychedelische Renaissance im Gange zu sein: Zahlreiche Universitäten nehmen den verfemten Faden wieder auf und Konferenzreihen (z. B. »Horizons«, »Psychedemia«, »Breaking Conventions«) (3) werden ins Leben gerufen. Die ursprünglich aus den »Entheogenen Blättern« entstandene »Entheovision« fand zum ersten Mal vor zehn Jahren statt. Trotz streitbarem Titel ein insgesamt löbliches Unterfangen und ein durchaus gelungenes Jubiläum.


 

(1) En (»in«) + theos (»Gott«) + genestai (»bewirken«). Laut Jonathan Ott am besten mit »becoming divine within« zu übersetzen, vgl. ders., »Journal of Psychoactive Drugs«, Vol. 28(2), 1996.
(2) Vgl. dazu den ausführlichen Beitrag »Mit richtig dosiertem Rausch in die Röhre«, »FAZ«, Nr. 216/2013, S. N2.
(3) Viele der gehaltenen Vorträge sind online frei zugänglich.


	
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Text
Ivo Gurschler

Veröffentlichung
27.02.2014

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