Im Brut Wien ist von 14. bis 17. Oktober das neue Stück »Minding Minds« der Choreografin Sara Lanner zu sehen. Dabei entwickelt sie gemeinsam mit dem Tänzer Costas Kekis ein spannendes choreografisches Duett, das den Bogen zwischen Gesellschaft und Politik einerseits und Körper und Geist andererseits spannt. Wir haben sie vorab nach den Hintergründen befragt.
skug: Was steckt hinter dem Titel deiner kommenden Performance? Die Alliteration »Mining Minds« klingt nach einem mehrdeutigen Wortspiel. Auf der einen Seite liegt diese Deutung nahe: Mining ‒ auch das Data Mining ‒ ist von Bedeutung für uns (it minds …). Andererseits im Sinne von Mindset: welche Denkweisen (minds) stecken hinter dem Raubbauverhalten (mining) auf dieser Welt?
Sara Lanner: Ja, die Mehrdeutigkeit ist hier sehr bewusst gesetzt. Mich interessiert der Begriff mining im Sinne von Graben und Abbauen ‒ im konkreten wie auch im übertragenen Sinn. Der deutsche Begriff »Bergbau« ist da viel zu eindimensional, weshalb ich beim Englischen bleibe. In der bildenden Kunst gibt es viele künstlerische Arbeiten, die sich mit diesem Begriff auseinandersetzen, während mir in der zeitgenössischen Choreografie kaum Beispiele einfallen. Das wunderte mich sehr und war schließlich ein Mitgrund dafür, mich mit mining als einem einerseits sehr materialbezogenen, körperlichen Begriff und andererseits als körperloses Phänomen choreografisch zu beschäftigen. An mining interessiert mich vor allem die Frage, wie man als Gesellschaft das gleichzeitige Existieren von Kooperation, Aneignung, Ausbeutung, Verwendung und Verschwendung aushalten und untereinander verhandeln kann.
Wie bist du auf den Film »Western Deep« von Steve McQueen gestoßen? Der dokumentarische Kurzfilm aus dem Jahr 2002 schildert die Erfahrungen von Wanderarbeiter*innen bei ihrer unmenschlichen Arbeit in der südafrikanischen TauTona Goldmine in dunkler, klaustrophobischer Enge und bei höllischem, ohrenbetäubendem Bohrlärm. In welcher Form hat er deine Choreografie »Mining Minds« geprägt?
Steve McQueens Videoarbeit hat mich in ihrer poetischen Abgründigkeit sehr berührt. Gestoßen bin ich auf das Video 2019, während meines Studiums der Kunst- und Kulturwissenschaften. McQueen schafft für mich einen Bogen von der Realität härtester Arbeitsverhältnisse über globalwirtschaftliche Schattenseiten hin zu einer Abbildung und Darstellung der in den Minen arbeitenden Menschen, ohne diese als Opfer zu entstellen. Konkret inspiriert haben mich für »Mining Minds« langgezogene Close-ups und schemenhafte, flimmernde Bilder, wodurch die Körper ganz nahe spürbar werden. Auch der choreografische Umgang mit Stille und Lärm geht sichtlich unter die Haut.
Der Bergbau, inklusive Kohle-, Öl- und Gasförderung, ist mit Abstand der aggressivste und destruktivste Wirtschaftsbereich. Die Liste der Verheerungen durch Bergbau ist lang, Landschaften und Gesellschaften werden verwüstet. Du verhandelst aber nicht nur den destruktiven Aspekt des Begriffes mining. Welche positiven Prozesse kannst du auch erkennen?
Ein positiver Aspekt ist, dass man beim Nachdenken über den mining-Begriff mehr über den Umgang miteinander im Alltag und auf kultureller Ebene erfährt: über Konflikte, über ambivalente Beziehungen oder Situationen, für die es nicht die eine, einfache Lösung gibt. Ich habe mich gefragt, was es bedeutet, sich im Epizentrum eines Problems aufzuhalten und zu akzeptieren, dass wir ein Teil davon sind und wie man diesen Zustand von innen heraus lösen kann. Schließlich sind Prozesse des minings unaufhaltsam, höchst widersprüchlich und irreversibel.
Der Tod des Dichters Dante Alighieri jährte sich heuer zum 700. Mal. Der Bergbau mit seinen infernalischen Arbeitsbedingungen galt bereits seit der Antike als ein Symbol der Hölle. In der »Göttlichen Komödie« von Dante Alighieri sind die neun Höllenringe ähnlich einem Tagebauhang aufgebaut. Nach der danteschen Mythologie wurde der Höllentrichter dabei durch den Absturz Luzifers in die Welt gerissen. Spielte diese Vorstellung auch eine Rolle für deine neue Choreografie? Welche Dichter oder Theoretiker hast du in der Zeit der Performance-Entwicklung gelesen?
Die Skizzierung Dantes erinnert mich an die vielen fotografischen Arbeiten in der bildenden Kunst, die Bergbau-Realität abbilden. Davon habe ich sehr viele gefunden, durch lange Recherchen oder Hinweise von Kolleg*innen und Freund*innen (denen ich sehr dankbar bin dafür!). Beispiele davon, auf die sich auch die Choreografie von »Mining Minds« bezieht, sind die Fotoarbeit »Gold« von Sebastião Salgado sowie »Mines Families« von Simone Francescangeli, Verfilmungen des Romans »Germinal« von Émile Zola und historische Fotografien des Battle of Orgreave in Großbritannien. Auf theoretischer und konzeptueller Ebene inspiriert haben mich das »Anthropophagische Manifest« von Oswald de Andrade, unterschiedlichste Artikel zum Extraktivismus sowie, nach meiner Residency in China 2019, »The Politics and Poetics of Infrastructure« von Brian Larkin.
Tagebaubagger zählen zu den größten landgestützten Maschinen, die jemals gebaut wurden. Welche Maschine würdest du konstruieren, wenn du uneingeschränkte Mittel zur Verfügung hättest?
Es gibt einen choreografischen Score in unserer Performance, den wir »Heartshake« genannt haben. Ein zentrales Motiv in der Performance, bei dem wir davon ausgehen, dass unser Brustkorb unser inneres Bergwerk ist, als metaphorischer Sitz der Emotionen und Möglichkeit einer tiefen gegenseitigen Berührung, ohne invasiv oder verletzend zu sein. Es ist für mich das choreografisch somatische Gegenstück zu earthquake, also Erdbeben. Deshalb würde ich eine Heartshake-Maschine bauen, um die emotionalen Epizentren meines Gegenübers aufzuspüren und sie in Bewegung umzuwandeln.
Wir leben zurzeit in einem weltumspannenden Feudalismus, und zwar in einem sogenannten digitalen Feudalismus. Einige wenige bereichern sich durch das Verwerten von Daten von unzähligen Nutzer*innen, besser den abhängigen User*innen ‒ der Begriff stammte im 20. Jahrhundert aus dem Kontext der Abhängigkeit von Suchtmitteln. Welche Abhängigkeiten verhandelt dein Stück?
Ich habe mir bewusst eine Duokonstellation für diese Arbeit ausgesucht. Mit meinem Co-Performer Costas Kekis kann ich so mining als zwischenmenschliche Beziehung darstellen. Mining zwischen Körpern fordert mich dazu auf, mir zu überlegen, wie ich in dieser Welt existieren möchte, und zeigt mir auch, wo und wann wir als Kultur daran scheitern, »gut« zu sein: in den Räumen zwischen Vertrauen und Abhängigkeiten. Es bringt uns dazu, über die Bedeutung unserer Worte, Sprache und Handlungen nachzudenken, und darüber, welche Folgen diese für Andere(s) haben. Oder uns die Frage zu stellen, was wir mit der Information, die wir über Andere haben, machen. Die emotionalen Ressourcen, die wir aus unseren Beziehungen minen, bringen ethische und moralische Verantwortungen mit sich. Indem wir dies verhandeln, entsteht eine gemeinsame Geschichtsschreibung. Letztere ist, finde ich, eine große zwischenmenschliche Ressource. Sie gibt unserem Sein Bedeutung und fordert uns auf, sie gemeinsam fortzuschreiben.
Tiefenschürfungen zivilisationsgeschichtlich betrachtet: Schon vor 400 Jahren verursachten Erzgruben und Brandrodungen für die Holzkohleproduktion massive Landschaftszerstörungen und Erdrutsche. Tiefenschürfungen radikal subjektiv betrachtet: Welche persönlichen, »kreativen Erdrutsche« haben dich in deiner künstlerischen Existenz verändert und transformiert?
Ich denke, dass mein biografischer Sprung ‒ nach einem ganzen Tanzstudium noch ein Kunststudium zu absolvieren ‒ ein notwendiger Erdrutsch in meinem Schaffen war. Dieser hat einen großen Spalt in meiner Denklandschaft eröffnet, den ich mir immer schon gewünscht habe. Ein Raum, in dem ich mich nun als Künstlerin mehr als wohl fühle, in dem ich mich sprichwörtlich baden kann und meine Arbeit noch lange weiter entwickeln werde.
Bergbau- und Ölunternehmen verwandeln den halben Planeten in Mondlandschaften. Der Staat schützt sie dabei, weil sie sich auf die römische Rechtstradition berufen können. Sie haben die Verfügungsgewalt über ihr Eigentum. Eigentumsansprüche einer Minderheit bedrohen das Überleben eines Großteils der Weltbevölkerung. Doch wer verfügt mit welchem Recht über welches Territorium?
Im Punkt Reichtum und Bereicherung setzen die Logiken des mining auch herkömmliche Nord-Süd-Gefälle außer Kraft und gehen über territoriale Ansprüche hinaus. Ausbeutung oder Aneignung von Ressourcen zwischen Konzernen passieren auch innerhalb der einzelnen Hemisphären. Die Frage wird erst richtig spannend, sobald man sich fragt, wer darf und kann welche Informationen wie über mich weiterverwenden, also wie werden meine Entscheidungen zur minebaren Ressource. Dann kommt man drauf, dass wir unmittelbar im Epizentrum des Problems stehen. Oder etwas vereinfachter gefragt: Könnten wir auf Smartphones, Computer, Fahrzeuge oder Gebäude (aus herkömmlichen Baustoffen) konsequent verzichten? Wir können nicht umhin, uns einzugestehen, dass wir längst ein immanenter Teil von und aktiv Mitwirkende an dieser Kulturidentität sind.
Schlacke bezeichnet in der Metallurgie glasig oder kristallin erstarrte nichtmetallische Begleitphasen. Was wären denn »Schlacken« im Kontext deines Schaffens als Künstlerin, im Rahmen eines Performance-Prozesses?
In meiner künstlerischen Betrachtungsweise von Körpern und deren Sein als soziale Skulptur und Choreografie arbeite ich viel mit der Verkörperung und Collagierung von konkreten Bildern aus meinen Recherchen. Dazu mischen sich aber immer auch persönliche Geschichten und Bewegungen und so entstehen changierende, schillernd ambivalente Bilder, die, ähnlich wie Kippbilder oder Allegorien, wieder eine Vielzahl an Assoziationsmöglichkeiten eröffnen. Das bekommt hier einen direkten Bezug zu den Produkten des minings, die ebenfalls ambivalent und vielschichtig bleiben ‒ mit endlos vielen Schlacken dazwischen.
https://brut-wien.at/de/Programm/Kalender/Programm-2021/10/Sara-Lanner