ATTAN BLEIBT BEI UNS Performer in ihrer Unterkunft in Rechnitz <br />Fotos: &copy; Carolina Frank
ATTAN BLEIBT BEI UNS Performer in ihrer Unterkunft in Rechnitz
Fotos: © Carolina Frank

Mini Rock und Kriegstanz

Empathie spielt eine wesentliche Rolle im Schaffen der Performerin/Musikerin Magdalena Chowaniec, die im August an zwei ImPulsTanz-Aufführungen beteiligt ist. 

Magdalena Chowaniec ist einerseits Sängerin und Bassistin des Trios The Mob Fixing Freedom. Die Band entstand 2009 als Punkperformance-Projekt für das brut-Theater, das erste offizielle Album »Spit it out« ist nun im Februar diesen Jahres erschienen. Sie bespielen Clubs, Bars, Squats, Performance-Festivals, Geburtstage oder Hochzeiten von Freunden oder sorgen auch schon mal für das Warm-Up für Anti-Flag in der Arena in Wien. Ihre Musik bezeichnen sie schlicht und aufreizend als Mini Rock.

Andererseits ist sie als Performerin aktuell am Stück »The Bosch Experience« von Georg Blaschke in der Akademie der bildenden Künste Wien beteiligt (4. bis 8. August im Rahmen von ImPulsTanz). Und als Choreografin arbeitet Magdalena Chowaniec zur Zeit mit sieben afghanischen Jugendlichen an der Tanzperformance »Attan bleibt bei uns«. Zu sehen ist dieses Stück ebenfalls im Rahmen von ImPulsTanz am 9. und 10. August in den Hofstallungen des MUMOK. skug bat die vielbeschäftigte Performerin um nähere Auskünfte.

skug: In deiner Biografie wirst du als Tänzerin, Performerin, Choreografin, Sängerin und Kämpferin beschrieben. Wie wird man zur Kämpferin, was zeichnet eine Kämpferin im 21. Jahrhundert aus?
Magdalena Chowaniec
: Ich bin ein Punk und Pazifist. Seit ich mich erinnern kann, habe ich immer schon für meine Träume gekämpft. Seit ich Tanz und Performancekunst zu meinem Beruf gemacht habe, benutze ich diese Disziplinen, um ein Outsider-Dasein in unserer Gesellschaft führen zu können. Tanz und Musik – das wird oft unterschätzt – sind heute gute Mittel um einen Kampf zu führen, der alle möglichen Grenzen verschwinden lässt – ob zwischen Nationen, sozialen Schichten, Altersgruppen, ethnischen Gruppierungen. Make dance, not war!

Hast du kämpferische Vorbilder?
Ich glaube nicht an Heroes. Ich glaube an alle Menschen, die etwas bewegen wollen, die sich trauen, ihre Träume zu verfolgen, die Mut haben anders zu leben und anderen zu helfen. Das sind unter anderem meine Mama, Ute B., Maryam P. aus Afghanistan, die ich erst letztes Jahr kennengelernt habe – sie ist 19 und führt ihre eigene feministische Revolution in Wien.

Seit 2008 erforschst du das Phänomen der physikalischen Empathie. Wie würdest du diesen Begriff beschreiben, was sind deine bisherigen Erkenntnisse?
Mit Empathie und Einfühlungsvermögen habe ich mich beruflich im Jahr 2008 auseinandergesetzt. Während einem Forschungsprojekt auf dem IEM (Institut für Elektronische Musik) in Graz habe ich den Philosophen, Wissenschaftler und Pianisten Deniz Peters getroffen. Er hat mich auf Empathie als einen wichtigen Zusammenhang zwischen Körper und musikalischem Material aufmerksam gemacht. In diesem Rahmen ist zum ersten Mal der Begriff der physikalischen Empathie aufgetaucht. Damals haben wir sehr viel über Gehör und über haptische Illusionen und den Klang, der sich in deinem Körper verbreitet, geforscht. Zentrale Fragen waren: Was beeinflusst den Körper? Was hörst du?
2010 habe ich mit zwei Tänzer/innen im Projekt »Empathy Project Vol. I« Empathie und Einfühlungsvermögen mit den Wiener Drogenabhängigen am Karlsplatz erforscht. Ich habe damals uns – Tänzer/innen von Wiens freier Tanzszene – wie eine Randgruppe dargestellt – wir waren ja als Arbeitsgruppe obdachlos sowie auch ohne soziale Ansprüche (das gilt auch heute noch – kein Arbeitslosengeld, keine Staathilfe). In meinen künstlerischen Projekten identifiziere ich mich mit Randgruppen wie Obdachlosen (»Homeless Project«) oder eben Drogensüchtigen.

Wir haben uns damals am Karlsplatz zu dritt unter die dortigen Drogensüchtigen gemischt, ohne jedoch Drogen zu konsumieren, und haben versucht, die Bewegungsabfolgen, die nach dem Drogenkonsum in diesen Menschen entstehen, zu erforschen und uns anzueignen. Die Choreografie, die daraus entstanden ist, haben wir dann im brut Theater, das am Karlsplatz gelegen ist, aufgeführt. Kurz vor der Performance habe ich vor dem brut und im Foyer als »Junkie« verkleidet um 50 Cent gebeten und wurde mehrmals beschimpft. Wie erstaunt waren dann alle im Publikum, als ich dann eine Stunde auf der Bühne als »Junkie« herumgetorkelt bin und sie dafür elf Euro bezahlt haben. Mich haben damals Fragen beschäftigt wie: Was ist Theater? Was ist echtes Leben im Theater? Was ist das alles wert?

Welche Rolle spielt dieser Aspekt der Empathie generell in deinen Arbeiten?
Details dazu habe ich in meiner Masterarbeit »No Fake. Reflections on physical empathy« (Institute of Dance Arts, Bruckneruniversität Linz) beschrieben. Empathie als eine Möglichkeit, um andere Menschen, Kulturen, Gruppen zu verstehen steht bei meinen künstlerischen Arbeiten im Mittelpunkt. Andere Lebensweisen, Bewegungsmuster, Körpersprachen, die durch unterschiedlichste Lebenstile, Kulturen oder persönliche Geschichten geprägt wurden, kann ich als Choreografin und Musikerin unter kultur- und sozialanthropologischen Gesichtspunkten analysieren.

Dein aktuelles Stück im Rahmen des ImPulsTanz-Festivals trägt den Titel »Attan bleibt bei uns«. Kannst du uns mehr über die Namenswahl erzählen? Attan ist ja der Name eines traditionellen afghanischen Tanzes.
ATTAN2.jpgAfghanistan ist ein Land, in dem viele unterschiedliche Stämme zusammen leben und auch gegeneinander kämpfen. In Rechnitz leben die afghanischen Jugendlichen – Hazara, Paschtunen, Tadschiken – die mit mir auftreten, zusammen unter einem Dach. In ihrem Land würden sie sich kaum begegnen und hier im Haus der Jugend der Diakonie in Rechnitz müssen sie zusammen in Frieden leben und ihre Lebensansichten ändern. Ursprünglich hatte ich gedacht, dass Attan ein nationaler Tanz Afghanistans ist. Das stimmt nicht unbedingt, weil dieser Tanz hauptsächlich von Paschtunen getanzt wird. Der Tanz existiert schon sehr lange und hat auch mehrmals seine Funktion geändert – er hat als Art Gebet gedient, als Kriegstanz zur Vorbereitung für einen Kampf.

Ich war von den Schritten und der ganzen Choreografie so beeindruckt, dass ich alles Mögliche gemacht habe, um die jugendlichen Asylwerber in Rechnitz davon zu überzeugen, mitzumachen. In der Gruppe waren dann hauptsächlich Hazaras, die sich mit dem Tanz anfangs nicht wirklich identifizieren konnten. Ich habe zu ihnen gesagt – »Hey Jungs. Wenn ihr einmal diesen Tanz lernt, es wird euch nie wieder weggenommen. Es wird in euch drinnen bleiben, als ein Teil eurer Kultur und Geschichte. So wird euer Afghanistan überleben.« Diese Jugendlichen in Rechnitz leben unter konstantem Stress – sie wissen nicht wann, wer und wo plötzlich umziehen muss, ob sie tatsächlich endlich ihr Bleiberecht bekommen oder vielleicht doch abgeschoben werden. Der Titel »Attan bleibt bei uns« ist eine klare Referenz an diese Asylpolitik – diesen Tanz kann ihnen niemand wegnehmen.

Sieben afghanische Asylwerber tanzen in dem Stück gemeinsam mit dir. Wie hast du die Tänzer, die sogenannte Rechnitz Crew, ausgewählt?
Ich selbst tanze mit den Jungs nur am Ende des Stücks, sonst sind sie alleine auf der Bühne. Im Februar 2014 habe ich einen ersten Workshop in Rechnitz abgehalten. Ich wollte die Lage checken, schauen in welcher physischen und psychischen Kondition sie sind. Die ersten zwei Tage sind fast zwanzig Jungs gekommen, fast alle aus Afghanistan stammend. Ich habe sofort mit physischen Ûbungen angefangen und sie haben mich ausgelacht. Ich habe sie dann selbst auf meinem Rücken getragen und mir so ein bisschen Respekt verschaffen können. Manche waren hoch talentiert oder einfach so »ehrlich und echt« in ihren Darstellungen, dass ich sofort gewusst habe, ich will hier trotz dieser Disziplinlosigkeit zurück.
Als ich danach im April mit den Proben anfangen wollte, konnte ich nicht mal mehr fünf Jungs zusammen bekommen. So hat mein monatelanges »Ûberzeugungs-Projekt« angefangen.

Hast du intensiv vor Ort recherchiert bzw. wie vertraut warst du mit ihrer Situation, bevor du das Stück mit ihnen erarbeitet hast?
Zwischen Februar und April habe ich sehr viel über die afghanische Kultur recherchiert. Ich wollte allerdings kein rein dokumentarisches Tanztheaterstück machen, wo ich die Jungs ausschließlich mit ihren Traumatas konfrontiere. So lange ich mich erinnern kann gilt Afghanistan als Kriegsgebiet. Man hört nur negative Sachen: Opium, Taliban, Armut, Waffenhändler und minderjährige Bräute. 2013 hatte ich ein Theaterstück gemacht, in dem Jugendliche aus unterschiedlichen Ländern über ihre Weltvorstellungen gesprochen haben, unter anderem auch die Maryam, die ich anfangs schon erwähnt habe. Sie hat als afghanische Frau ein sehr schwieriges Leben gehabt, auch hier in Wien.
Ich habe lange überlegt, wie ich mit diesen jungen, konservativen, afghanischen Männern zurechtkomme. Ich habe gewusst – wir müssen uns an die Kultur Afghanistans erinnern und sie vor dem Verschwinden retten. Im Internet habe ich absolut fantastische afghanische Dichter entdeckt, wunderbare Musiker und Lieder, Tänze, Texte, Kostüme, Fotos. Es tat mir gut, so viel Schönes aus diesem Land zu sehen. Ziemlich schnell habe ich mich bei dieser spezifischen choreografischen Arbeit, die auf Erinnerungen und tänzerischen Erfahrungen basiert, für den Tanz Attan entschieden. In einem kleinen Zimmer habe ich dann nachts via YouTube die Schritte gelernt.

Wie kann man sich die Probenarbeit im Detail vorstellen? Was waren dabei die größten Herausforderungen?
Unsere Probenzeit war für mich eine der schwierigsten, aber auch der schönsten in meiner Karriere.
Es hat über zwei Wochen lang gedauert, bevor sich die eigentliche Rechnitz Crew heraus kristallisiert hat. Es gab extrem viele Probleme die wir überwinden mussten. Während dem Prozess sind plötzlich zwei Jungs in ein anderes Heim transferiert worden und ich habe zwei großartige Tänzer verloren. Das Team hat sich ständig geändert, weil den Jungs leider Konsequenz und Disziplin gefehlt haben. Außerdem mussten sie ja auch die Schule, Deutschkurse, Moschee oder Fussballtrainings besuchen.
Das alles war für mich extrem schwierig und ich wollte mehrmals aufgeben. Wir haben immer sehr viel miteinander geredet. Ich habe ständig Motivationsarbeit leisten müssen, um den Jungs zu erklären, dass es sehr wichtig für sie ist, diese Arbeit zu Ende zu bringen. Wir sind mittlerweile Freunde geworden. Ich habe mit ihnen über einen Monat lang gelebt und alles Gute und Schlimme mitbekommen.

___Max_Biskup.jpgWie sah die Zusammenarbeit mit Liz King von der Plattform D.ID (Dance Idententiy) aus?
Liz King war die Person, die mich für dieses Projekt eingeladen hat und dafür bin ich ihr sehr dankbar. Sie ist mein Vorbild, was Communitywork angeht. Sie kommt wie ich vom klassischen Ballett. Seit Jahren macht sie nun das, was sie wirklich liebt – über das Tanzen bringt sie die unterschiedlichsten Menschen zusammen und scheut sich nicht davor, vorgefasste Schematas und Tabus zu brechen. Sie ist auch eine Kämpferin und ich schätze sehr, was sie über die Jahre in Pinkafeld und im OHO (Offenes Haus Oberwart) für die Tanzszene und für die Region getan hat.

Du hast das Stück, das im August bei ImPulsTanz in den mumok-Hofstallungen uraufgeführt wird, bereits im Mai bei den 9. Burgenländischen Tanztagen präsentiert. Was waren deine Erfahrungen dabei?
Es war einfach wunderbar. Nach unserem langem Kampf, nach meinen Zusammenbrüchen, nach allen Problemen mit Asylrichtlinien und auch mit Familiensituationen, mit denen die Jungs jeden Tag konfrontiert waren, sind sie einfach auf die Bühne gegangen und haben so professionell und gut getanzt und gespielt, dass ich selber total erstaunt war. Das Publikum hat zum Teil geweint.


4. – 8.8.2014 „Bosch Experience“ by G.Blaschke @ ImpulsTanz Festival
9. & 10.8.2014:  „Attan stays with us“ @ ImpulsTanz Festival

Home / Kultur / Performance

Text
Michael Franz Woels

Veröffentlichung
01.08.2014

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