Es gibt im Grunde zwei Möglichkeiten, sich als Denker*in zu blamieren. Die eine lautet »Kulturoptimismus«, die andere »Kulturpessimismus«. Beides sind aus Stimmungen, Lebenssituation und Grundhaltung erwachsende Meinungen. Und Meinungen verwehen historisch wie Flugsand. Dennoch müssen Analysen, die aus dem Überschwang einer Meinung getroffen wurden, noch lange nicht unbrauchbar sein. Mark Fishers tiefsitzender Pessimismus verhalf ihm zu ebenso tiefschürfenden Analysen. In seinem Werk machte er, unter anderem in dem Buch »Ghosts of My Life«, jenen Kampf mit der Depression gut nachvollziehbar, der ihn später das Leben kosten sollte. Er konnte aus dem eigenen, individuellen Leid verständliche und klare Aussagen machen über die allgemeine Lage. Die eigene Tragödie ist immer auch ein wenig jene ihrer Zeit, weil Geschichte eben krank machen kann. Eine gegenwärtige Zeitkrankheit oder Krankheit der Zeit liegt darin, nur mehr Geschichte am Leben zu halten, aus der nichts Neues mehr erwachsen kann. Sie knechtet uns mit ihrer »Hauntology«, die so tut, als hätte es mal ein Ziel in der Geschichte gegeben und so etwas wie »Zukunft«. Der Pessimist Fisher sah hingegen, wie aus dem Alten kaum mehr Rat zu ziehen ist und es zugleich dem Neuen keinen Platz macht. Die skug-Besprechung von »Ghost of my Life« haben wir aus dem Archiv gekramt, damit bei einer Neulektüre vielleicht zwischen brauchbarer Prophetie und zu verwerfendem Kulturpessimismus unterschieden werden kann.
Ideen von einem besseren Leben
Wo sind die Kraftwerk des 21. Jahrhunderts? Das fragt Mark Fisher auf den ersten Seiten von »Ghosts of My Life«. Instinktiv sucht man nach einer Antwort, kramt im imaginären Plattenregal nach den aufregendsten Musikern der letzten Jahre. Aber ob nun Flying Lotus oder DJ Rashad herhalten muss: So richtig überzeugt ist man nicht. Hinter Fishers Frage scheint sich mehr als schlichter Kulturpessimismus zu verbergen.
»Ghosts of My Life« ist Mark Fishers erstes Buch, seit er mit »Capitalist Realism« (Zero Books, 2009) einen Diskurs-Hit landete. In gewohnt klarer Sprache präsentiert er darin eine verdichtete und nur leicht im Fokus verschobene Version seiner bezwingenden Argumentation: Nicht nur Popmusik, sondern der Mensch an sich habe die Fähigkeit verloren, sich eine Zukunft vorzustellen, die sich wesentlich vom Jetztzustand unterscheidet. Retro-Bands wie die Arctic Monkeys, die nicht einmal mehr als retro wahrgenommen werden, zeugen genauso davon, wie der ununterbrochene Fluss von scheinbar Neuem. Retromania, einmal mehr also? Nicht ganz, denn anders als beim Konzept von Simon Reynolds sieht Fisher die Hauptursache des kulturellen Stillstands nicht im Internet, sondern in der alles durchdringenden Ideologie des Neoliberalismus. Genauso, wie wir unfähig sind, neue bzw. zukünftige Musik zu erschaffen, sind wir unfähig, uns eine andere Gesellschaft als den Kapitalismus vorzustellen. Fisher erweitert Reynolds also um eine politische Dimension. Schließlich kommt er auf die titelgebenden Ghosts zu sprechen: Geister aus der Vergangenheit, Ideen von einem besseren Leben, die auch dreißig Jahre Neoliberalismus, der Zusammenbruch des (vermeintlich) real existierenden Kommunismus und die langsame Aushöhlung der Sozialdemokratie nicht vertreiben konnten – und die noch immer auf die Gegenwart einwirken können. Das sei es, was Derrida mit Hauntology gemeint habe, und das sei auch, was Künstler wie The Caretaker oder Burial mit ihrer Musik ausdrücken würden. Und tatsächlich liefert Fisher eine der präzisesten und verständlichsten Erklärungen sowohl vom philosophischen Konzept als auch vom Genre Hauntology.
Geister der Vergangenheit
Den zweiten und deutlich umfangreicheren Teil des Buchs bilden Artikel von Fisher, die schon auf seinem Blog k-punk, im Musikmagazin »The Wire« und anderswo erschienen sind. Hier breitet er am Beispiel von Musikern und Bands, aber auch Filmen, Serien und Büchern verschiedene Facetten seiner Position aus. Dabei geht es einerseits um die Rückkehr der 1970er-Jahre im Hype um Joy Division oder die Polizei-Serie »Life on Mars«, andererseits um die Bedeutung von (imaginären) Orten im hypergentrifizierten London oder in Christopher Nolans Blockbuster »Inception«. Aber auch hier sind die spannendsten Beiträge die zu Hauntology, angefangen bei britischen Experimentalmusikern wie The Caretaker oder Belbury Poly, bis hin zu weitaus bekannteren Musikern wie Burial, James Blake, Drake und Kanye West. Mark Fisher liefert mit »Ghosts of My Life« einmal mehr eine so scharfsinnige wie einleuchtende Analyse unserer Gegenwart. Mit eindrucksvollem Spürsinn verfolgt er die Fährte, die die Geister der Vergangenheit – und einer möglichen Zukunft – in unserem Alltag hinterlassen.
Mehr von Mark Fisher unter www.k-punk.org