Bis auf den letzten Platz ist der große Saal des Konzerthauses gefüllt als pünktlich um 19.30 Marisa dos Reis Nunes alias Mariza unter frenetischem Applaus die Bühne betritt. Die in Mosambik Geborene und im Alter von drei Jahren nach Lissabon (die Heimat des Vaters) Gekommene mit den auffälligen, kurzen hellblonden Haaren hat vom ersten Moment an eine schier unglaubliche Bühnenpräsenz. Dass die 1973 geborene Mariza, die vor gut zehn Jahren wie ein Komet am Fadohimmel auftauchte, sich auf der Bühne pudelwohl fühlt ist offensichtlich. Nach zwei Stücken begrüßt sie das Publikum auf Englisch (sie wird im Laufe des Abends noch viel zwischen den Fados erzählen) und stellt kurz die zu diesem Zeitpunkt noch dreiköpfige Band (Gitarre, Kontrabass und Griechische Gitarre) vor – der Beserlschlagzeuger wird erst kurz darauf dazu stoßen. Für den Fado, der ursprünglich im kleinen Rahmen gesungen wurde, ist der Prunksaal gerade noch nicht zu groß, um diese eigentlich intime Spielart des Lissaboner Volksliedes noch zur Geltung zu bringen.
Wuchtige Personifizierung der Saudade
Vor einfachem, aber wirkungsvollem Bühnenhintergrund aus langen Stofffahnen, die den jeweiligen Solisten ins rechte Licht rücken, singt und tanzt sich die Ikone des Fado durch einen repräsentativen Querschnitt ihrer fünf Alben, plaudert dazwischen immer wieder (fast schon zu viel) charmant aus dem Nähkästchen, über die Mouraria (Stadtteil Lissabons in dem sie aufgewachsen ist), ihre Familie, ihren kleinen Sohn, und wie es dazu gekommen ist, dass sie nach anfänglichen Versuchen im Soul und Pop letztlich doch wieder beim Fado landen musste. Zwar in der Tradition der großen Amália Rodrigues stehend hat Mariza den Fado in der vergangenen Dekade modernisiert, durch Hinzufügen von Elementen des Samba und durch Integration von Folklore aus anderen Regionen Portugals. Mit einer Stimme von beinahe unheimlicher Ausdruckskraft, die noch die kleinsten Nuancen hörbar machen kann, zelebriert sie als quasi perfekte Verkörperung den Saudade, diesen kaum übersetzbaren Begriff für eine süße Schwermut und unerfüllte Sehnsucht, der immer mitschwingt. In den tiefen 1990er-Jahren hatte die bayrische Band Die Nuts einen kleinen Hit mit dem Titel »Irgendwas fehlt immer«. Das könnte von der Bedeutung her – wenn schon nicht in einem Wort – den Saudade halbwegs umreißen. Dabei singt Mariza an diesem Abend nur wenige von den wirklich sehr traurigen Stücken, spätestens beim Refrain entfalten die gar nicht faden Fados meist eine tänzelnde Leichtigkeit (»Feira de Castro«), forciert von den hervorragend aufspielenden Herren an den Saiteninstrumenten, die in einem eigenen Block ohne jegliches Posing zeigen dürfen, dass das jahrelange Ûben nicht umsonst war.
Fest der Weltumarmung
Nach ca. 90 Minuten kündigt das Fado-Chamäleon das letzte Stück an, nur um danach (ohne je die Bühne verlassen zu haben) fast noch eine Stunde intensiv interpretierte Stücke zu präsentieren. Als man die Charismatikerin gegen Ende kurz verloren gegangen meint taucht sie plötzlich von der Seite mitte im Saal wieder auf, schüttelt jede Menge Hände der enthusiasmierten Besucher und singt sogar noch einen herzzerreißenden Fado ohne Mikrofon mit entsprechend leiserer Begleitung. Man könnte nach diesem gänzlich unkitschigen Fest der Weltumarmung tatsächlich glauben der Mensch wäre im Grunde gut, wüsste man es nicht aus Erfahrung besser. Zum Schluss Standing Ovations, Ende nie, Akteure und Publikum verschmelzen zu einer imaginären Einheit, die das vielleicht wertvollste was Musik zu leisten imstande ist repräsentiert: die der Musik innewohnende, magische menschenverbindende Kraft. Beim Verlassen des Saales kommt mir passend die Textzeile »Cleaning my Soul« aus »The Power of Love« von Frankie Goes To Hollywood in den Sinn. Ein Ereignis!