»Obsessionen sind aus diesem Stoff gemacht«, sagte Louise Bourgeois einmal über ihre Arbeiten, »gebündelte, intensivste Gedankenarbeit einerseits und Verschwiegenheit andererseits«. Erst im hohem Alter begann die New Yorker Bildhauerin, einen komplett neuartigen Skulpturenweg zu ver- folgen und experimentierte mit den »Cells«, neu geschaffenen Räumen, die beklemmende Gedanken verdichten und gleichzeitig umzäunen. Es ist alles im Rahmen sozusagen, hinter kopfstehenden, hellblauen Holztüren oder alten Gerichtsgebäudetüren, die im Kreis aufgestellt sind, »eingekastelt«. Bourgeois wagte sich in den realen Raum vor, ihre Kunstwerke wurden so groß, dass locker ein Mensch drinnen wohnen könnte – aber sicher keine ganze Familie!
»Angst ist ein passiver Zustand und das Ziel besteht darin, aktiv zu sein und die Kontrolle zu über- nehmen«, diese Umgestaltung von Angst, das Hindurchgehen und Schauen, an welcher Stelle man auftaucht, die Verräumlichung einer Erfahrung, funktioniert sehr eindringlich und zum Teil beklem- mend für die ZuschauerInnen, die nur mit einem Auge durch einen Spalt auf eine Welt schauen können, die auch eine Gefängnis- oder Mönchszelle sein könnte.
Das Haptische wird wichtig, um durch das Geformte der Skulpturen der Angst eine greifbare Form zu geben. »Denn da das ursprüngliche Trauma in den Körper eingeschrieben ist, muss es durch den Körper aufgehoben werden«, schreibt Eva Keller in dem von ihr und anderen herausgegebenen Werks- katalog »Louise Bourgeois: Emotions Abstracted. Werke 1941-2000« (Hatje Cantz, 2004).
Erst 1991, im Alter von achtzig Jahren, gestaltete Louise Bourgeois ihre erste »Cell«. Zehn Jahre vorher, mit siebzig, begann sie sich mit ihrer konflikthaften Kindheit auseinanderzusetzen. Die erste skulpturale Form, die sich ihr anbot, war aber das »Lair«, das so viel wie Bau, Höhle, Zuflucht, Lager bedeutet. Im Haus der Kunst in München sind nun mehrere Cells von »You Better Grow Up« aus 1993, über »Black Days« von 2006, bis »The Last Climb« (2008) ausgestellt.
Wendeltreppe ins Nichts
Spiralen, Betten, Spinnen, Spulen, die vorherrschenden Farben sind rot und hellblau. Spiegel, Luken, Fenster, Bullaugen, Gitter. Herumliegende Arme und abgetrennte Beine aus Marmor. Diese Welten in den zimmergroßen Zellen sind mysteriös und unheimlich, haben einen gewissen Wiedererkennungs- wert und trotzdem rätselt man herum. Eine Erklärung bleibt offen, doch ist die Atmosphäre düster bis beklemmend. Die Porträts-Zellen stehen für Gefühlszustände und wirken, als ob in ihnen Gespenster wohnen, die hier ihren Platz, ihre Heimat besitzen und auch nicht nach oben entweichen. »The Last Climb« entstand kurz vor dem Tod der Künstlerin und zeigt eine Wendeltreppe, die nirgendwohin oder nach oben in den Himmel führt. Ein hellblauer Gummitropfen soll ein Selbstporträt sein. Holz- kugeln liegen am Boden und transparente Kugeln schweben vermeintlich.
Louise Bourgeois: Cell (The Last Climb), 2008. Steel, glass, rubber, thread and wood, 384.8 x 400.1 x 299.7 cm.
Collection National Gallery of Canada, Ottawa. Photo: Christopher Burke, © Easton Foundation/VG Bild-Kunst, Bonn 2015
Ein anderes Selbstportät ist »Spiral Woman«, eine sackartige Stofffigur, die ziemlich fest in sich selbst verknotet ist, als ob sie die Arme verschränken würde, in mehreren Ebenen übereinander. Sie hängt vor einem Spiegel. »Bourgeois faszinierte die Spirale, da sie die Möglichkeit hat, sich in zwei Richtungen zu drehen: einwärts bis zum Verschwinden, oder auswärts bis in die Unendlichkeit«, steht im aktuellen Ausstellungskatalog (Hg. Julienne Lorz, Prestel).
Louise Bourgeois: Cell XXVI, 2003 (detail). Steel, fabric, aluminum, stainless steel and wood, 252.7 x 434.3 x 304.8 cm.
Collection Gemeentemuseum Den Haag, The Netherlands. Photo: Christopher Burke, © Easton Foundation/VG Bild-Kunst, Bonn 2015
Grau und Grau
Der Zustand des Hängens symbolisiere Zerbrechlichkeit und Verwundbarkeit. Einmal sagte Bourgeois, dass hängende oder schwebende Skulpturen Ambivalenzen ausdrückten.
An dieser Stelle eine Ûberleitung nach Wien, denn in der »Destination Vienna«-Ausstellung in der Kunsthalle Wien sind einige hängende oder schwebende Objekte zu betrachten. Auch andere Kunst- werke drücken Zerbrechlichkeit aus, wie die eingekratzten Buchstaben auf Farbkarton in »Rainbow Country 2012« von Sofia Goscinski, die zusammen gekratzt das Wort »Major Depression« ergeben, mit einem Stern dahinter. Hellgraue Wände mit Farbflecken deuten Baustellencharakter an, die untere Hälfte der Ausstellung ist ganz dunkel gehalten – schade um die blaue Drehtüre, das Drehfoyer von Cäcilia Brown, das man schlecht sieht. Es gibt viele graue Sachen in dieser spröden Ausstellung, deren Katalogtexte via der Destination-Wien-Homepage am 10. Mai online erschienen.
»Eine Landschaft ist kein Territorium, kein Gegenstand«, sagt Mitya Churikov. »Die Form einer ge- bauten Landschaft verändert sich nach dem Standpunkt des Betrachters.« Fragile oder stabile Beton- sockel, Churikov setzte sich mit der Landschaft in Alterlaa auseinander: »Untitled (Alterlaa-AG), 1968 bis 2015«. »Die Idee der Landschaft ist ein Konstrukt der verschiedenen Zusammenhänge und Bezüge«, sagt der freundliche, stille Künstler aus der Ukraine. Er nahm in Alterlaa Geräusche auf, die er digital verfremdete – diese sind als Sound zu hören. Andreas Fogarasi spannte schwere, mamorne Postkarten zwischen Drahtseile (»Rosso Antico Muhri«, 2014 und »Verde Guatemala«, 2013). Stahl- blüten von Ari Sariamnidis hängen quer von der Decke zu Boden und im Eingangsbereich gibt es schwarze, fragile Drahtzeichnungen, die wie eine Wolke vom Plafond pendeln (Constantin Luser: »D1.1 the landing«, 2015«, »D1.2 the landing«, 2015).
Mitya Churikov: Untitled (Alterlaa-AG 1968-2015), 2015. Installation und Video,
verschiedene Materialien, ca. 270 x 120 x 30 cm. Courtesy der Künstler. Kunsthalle Wien
»Der Zweck der Kunst ist es, die Angst zu besiegen«, schrieb Louise Bourgeois einmal. »Nicht mehr und nicht weniger.« Am besten hätten Bourgeois in Wien wohl die diversen stählernen Lüftungsrohre von Paul Leitner gefallen, die im Luftstrom auf der Öffnung ein kleines Objekt schweben lassen. Oder doch die einbetonierten Fender von Sonia Leimer, die wie ermordete Bojen aussehen?
Anmerkung: Als ich mir im Buchladen den neuen Louise Bourgeois-Katalog anschaue, kommt plötzlich Tex Rubinowitz daher und kauft mir den Katalog. Weil ich mir Notizen aus dem Buch machte, was er früher auch oft getan hätte … »Magie ist nicht weniger gefährlich für den, der sie produziert, als für den, auf den sie wirkt – Magie ist eine Serie von Mitteln, die Glaubwürdigkeit erzeugen«, schrieb ich gerade ab (»Culprit Number Two«, 1998).
Paul Leitner: The Traveler #3, 2015. Ventilator, Windkanal, Acrylglasröhre, Maße variabel.
Courtesy der Künstler und unttld contemporary, Wien. Kunsthalle Wien
Louise Bourgeois. Strukturen des Daseins: Die Zellen
München, Haus der Kunst, Prinzregentenstraße 1
bis 02.08.2015
Destination Wien
Wien, Kunsthalle, Museumsquartier
bis 31.05.2015