Bevor Mimi Maggale, die künstlerische Leiterin von Sonic Territories, in einem E-Mail-Talk Näheres über die umfangreiche Gestaltung des Festivals erzählt, sei zunächst die facettenreiche Programmierung hervorgehoben. Das Pre-Opening bestreiten Angry Blackmen aus Chicago am Montag, dem 11. November 2024 im rhiz in gewissem Sinne als musikalische Gegenthese zu den Trumps unserer Zeit. Mit von Harsh Noise untermalten Titeln wie »Outsiders« oder »Fuck off« steckt das Duo den Rahmen unmissverständlich ab und bringt – ähnlich der kalifornischen Formation Clipping – eine intensive Show voller Energie und Verzerrung auf die Bühne. Die eigentliche Eröffnung findet hingegen am darauffolgenden Dienstag mit einer Klanginstallation von Asuna Arashi statt. Für »100 Keyboards« hat der japanische Soundkünstler über hundert Spielzeug-Keyboards versammelt und lässt sein Publikum in eine Vielfalt an Interferenzen und Moiré-Resonanzen eintauchen. Der Mittwoch steht ganz im Zeichen der Zusammenarbeit mit Adventurous Music Plateaux, das mit Auftritten von Albert Stensen, David Pridal, Isabella Forciniti, Łukasz Czekała, Patriycja Wybrańczyk, Zbigniew Chojnacki und Rojin Sharafi einen Schwerpunkt auf die polnische Experimentalmusik-Szene legt. Nach einem umfangreichen Workshop-Programm mit den Musiker*innen und Künstler*innen des Festivalprogramms, das am Donnerstag und Freitag einen Höhepunkt findet, bildet ein Konzertabend am Samstag den Abschluss des einwöchigen Festivals. Das Programm ist hochkarätig: neben einem Querschnitt durch die lokale Szene treten SØS Gunver Ryberg und Zoë Mc Pherson auf. Während sich erstere auf ihrer kürzlich erschienen Arbeit als Spezialistin für Ambient-Soundkaskaden – mal mit Drums und mal ohne – entwickelt hat, begeistern die experimentellen Proto-Techno-Entwürfe von Mc Pherson das Publikum von Berlin bis Daressalam, wo sie kürzlich etwa über die ugandischen Tausendsassa von Nyege Nyege in die lokale Singeli-Music-Szene eingetaucht ist.
skug: Libertäre wie der skrupellose US-Investor Peter Thiel verstehen unter Freiheit leider nur ihre eigene, deshalb finde ich das Statement zum Festivalmotto »Breaking Free«, dass mit Freiheit auch Verantwortung, Empathie und Achtsamkeit gegenüber Mensch, Fauna & Flora einhergehen muss, sehr wichtig. Was ist eigentlich mit »DeVaughn Station, Liberation, 2021« gemeint? Es geht auch um das Überwinden von Grenzen und Knüpfen neuer Kontakte. Wie ist das auf den Festivalkontext übertragbar?
Mimie Maggale: Freiheit – ein Begriff, den jede*r beansprucht, aber kaum jemand wirklich lebt. Peter Thiel sieht sie als endlose Macht, andere als radikale Autonomie. Wir hingegen begreifen Freiheit als die Möglichkeit, Verbindungen zu schaffen, die stärker sind als alle Mauern, die errichtet wurden. »Breaking Free« ist also kein simples Festivalmotto, sondern ein Manifest: Freiheit braucht Verantwortung, nicht nur für uns selbst, sondern für alles Lebendige. Und dann ist da DeVaughn Stations Frage, im Gedicht »Liberation«, die mich inspiriert hat: »Will falling into euphoria break the chains on my talus?« Echte Freiheit fühlt sich weniger wie Euphorie und mehr wie ein Fluss an – beweglich, verbindend, unaufhaltsam. Im Festival geht es darum, genau diese Energien in den Begegnungen der Künstler*innen freizusetzen und neue kreative Räume zu schaffen, die wie kleine Befreiungen wirken. Die Performances am 16. November schaffen dazu ein einzigartiges, fast rebellisches Erlebnis und DJ Terror wird mit ihrem Closing Set dafür sorgen, dass die letzten Ketten endgültig zersprengt werden.
Es wird auch Workshops geben. Was intendiert Seba Kayan mit »Decolonize Electronic Music«? Musik-Software aus dem Westen unterschlägt leider meist die Verwendbarkeit für Musiken anderer Kulturen, etwa für arabische Maqams …
Elektronische Musik ist auch ein Schlachtfeld. Seba Kayan sprengt die Grenzen der Musik-Software, die uns vorschreibt, was »harmonisch« oder »richtig« ist. Wer entscheidet das? Die meisten »westlichen« Musikprogramme machen es schwierig, wenn nicht unmöglich, arabische oder persische Tonarten korrekt darzustellen. Warum sollte man nur den eurozentrischen »Standard« akzeptieren? Seba arbeitet mit Leimma und Apotome, Softwares, die von Khyam Allami entwickelt wurden, um endlich Raum für differenzierte, kulturell spezifische Klänge zu schaffen. Im Workshop »Decolonize Electronic Music« geht es nicht nur darum, alternative Tools zu zeigen, sondern den Grundstein für ein neues Denken zu legen.
Antonina Nowackas Workshop erkundet die Stimme als Tool und Instrument, doch was hat das menschliche Organ mit »Imaginary Landscapes« zu tun?
Unsere Stimmen tragen Landschaften in sich. Sie sind die akustischen Spuren unserer Ängste, Wünsche und Orte, die wir nie betreten haben. Antonina Nowacka geht in ihrem Workshop auf diese Suche: Die Stimme als Brücke zu uns selbst und zur Welt, die wir uns vorstellen. Sie will die Teilnehmenden ermutigen, Klang als Terrain zu verstehen, das wir betreten, entdecken und gestalten können. Es ist ein kollektiver, fast spiritueller Akt, der zeigt, dass Landschaften nicht immer physisch sind – oft sind sie so flüchtig wie ein Ton im Raum.
Spannend auch das Adventurous Music Plateaux (AMP), das von 12. bis 13. November in der Semmelweisklinik stattfindet. Dort treffen polnische und in Österreich lebende Sound Artists aufeinander. Die Teilnehmerliste reicht von Zbigniew Chojnacki über David Pridal bis zu Isabella Forciniti und Rojin Sharafi, die auch alle Workshops geben werden. Hier dominiert auch der Workshop-Charakter, was ist das Ziel des Austauschs?
Das AMP ist ein Experiment. Hier begegnen sich Musiker*innen, die sonst vielleicht niemals denselben Raum teilen würden. Das Aufeinandertreffen von Zbigniew Chojnacki, David Pridal, Isabella Forciniti, Rojin Sharafi, Patrycja Wybrańczyk, Albert Stensen und Łukasz Czekała, sprengt Kategorien. Sie spielen einmal als Duo, dann wieder im Quintett, alles fließt ineinander. Die Workshops schaffen ein gemeinsames Experiment, ein Terrain, das sich erst im Zusammenspiel entfaltet. Und das alles wird in 360 VR und Dolby Atmos aufgezeichnet – weil wir die Perspektiven erweitern wollen, nicht nur klanglich, sondern auch virtuell.
Dank einer Förderung aus Polen lässt sich AMP durchführen. Denkst du, dass sich an der Ausrichtung des Instituts etwas geändert hat, seit die PiS-dominierte Regierung nicht mehr an der Macht ist?
Das AMP wird vom Außenministerium der Republik Polen finanziert im Rahmen des Auftrags »Öffentliche Diplomatie 2024–2025: Europäische Dimension und Bekämpfung von Desinformation«. Dieses Projekt bildet den Auftakt zu einem zweijährigen EU-Projekt, an dem wir als Partnerorganisation beteiligt sind. Die Unterstützung des Polnischen Kulturinstituts ermöglicht uns, Antonina Nowackas Workshop und Konzert zu realisieren. Wie sich die politischen Veränderungen in Polen auf die Ausrichtung des Kulturinstituts auswirken, bleibt abzuwarten, doch die Förderung internationaler Projekte und der kulturelle Austausch scheinen zunehmend im Fokus zu stehen.
Zu den Venues: Wir finden es gut, dass Sonic Territories neben Locations in der Seestadt Aspern größer über Wien ausstrahlt, vom Pre-Opening im rhiz bis zur Semmelweisklinik im 18. Bezirk. Letztere hat welche Vorzüge?
Die Semmelweisklinik ist kein standardmäßiger Veranstaltungsort. Sie bietet Geschichte und Eigenwilligkeit, was perfekt zum experimentellen Charakter des Festivals passt. Die Räume der Klinik laden zu einer anderen Art des Erlebens ein, einem immersiven Eintauchen, das untypisch und eben deswegen so spannend ist. Das Festival breitet sich in Wien aus und schafft dadurch eine Art Netz, das die Stadt selbst wie eine Klanglandschaft erscheinen lässt. Als Leerstandnutzung ist der Raum mehr als geeignet für Community-orientierte Projekte. Letztlich geht es um den Kontrast, denn verschiedene Räume ermöglichen unterschiedliche Projekte. In der Seestadt hingegen liegt der Fokus auf ultra-innovativen Live-AV-Performances mit High-end LED Wall, wie wir sie in der VHS Kulturgarage vorfinden.
Der Main Day von Sonic Territories wird aber in der VHS Kulturgarage in der Seestadt über die Bühne gehen, mit üppigem Programm in der VHS Garage. Die Freie Energie Band und Seba Kayan hat skug sogar bereits via Salon skug veranstaltet und Zoe McPherson & Allesandra Leone werden ein verlässliches Highlight sein. Welche Acts empfiehlst du daraus noch?
Es geht nicht darum, Acts einfach »empfehlenswert« zu nennen. Der Main Day am 16. November wird eine Explosion verschiedener künstlerischer Stimmen, die wie kleine revolutionäre Momente aufeinanderprallen. Teilnehmer*innen des ersten Performance-Hacklabs werden ihre »Liberation Etudes« präsentieren, Seba Kayan und ihre Teilnehmer*innen zerlegen westliche Musikansichten. SØS Gunver Ryberg & Sybil Montet bringen eine audiovisuelle Intensität, die unter die Haut geht. Andreas Lutz dekonstruiert Sprache und schafft abstrakte Klangwelten. Antonina Nowacka verwebt die menschliche Stimme mit der Unendlichkeit imaginärer Räume. Und als Abrundung werden T(n)C eine zwölfstündige Videoinstallation präsentieren, die die Augen und den Geist wachhält. Und DJ Terror führt uns wie gesagt zum Abschluss in die Befreiung, indem sie dafür sorgt, dass unsere letzten Ketten zersprengt werden.
Link: www.sonic-territories.at