Kraftwerk live in Stockholm, 2004
Kraftwerk live in Stockholm, 2004

Kraftwerk

Nach dem bravourösen Kraftwerk-Gig im Wiener Gasometer wurde folgendes Exklusivinterview mit Ralf Hütter geführt.

Ihr habt kaum Alben gemacht, in den letzten zwei Jahrzehnten, seid selten getourt. Jetzt gibt es so eine Art Comeback. Warum? Braucht die Welt Kraftwerk wieder?

Ralf Hütter: Das ist nicht wahr. Wir haben nie eine Pause gemacht.

In der Öffentlichkeit wurde das aber so rezipiert.

R.H.: Na ja, wir haben halt nichts veröffentlicht. Aber wir arbeiten immer kontinuierlich in unserem Kling Klang-Studio in Düsseldorf und immer in diesem elektronischen Umfeld. Ein Kunstkonzept braucht die Präsenz im Business nicht. Wir haben am Gesamtkunstwerk gearbeitet und der Bühnenpräsentation, am ganzen Design, der Gestaltung, optisch, Computergraphik, den Musikprogrammen. Wir haben in den letzten Jahren Kraftwerk komplett auf digitale Plattformen konstruiert mit unseren Elektronik-Computern, Musikingenieuren und aus praktisch 35 Jahren Archiven die alten Bänder, die schon verstauben … alle relevanten Sounds für uns auf digitalen Plattformen. Jetzt haben wir den Kraftwerk-Katalog auf digitaler Ebene. Alle Alben, die Hauptalben zumindest ab »Autobahn« . Es gibt dann alles unter dem Titel »Der Katalog« auf deutsch und unter »The Catalogue« auf digitalem Format mit den Originalgraphiken, den Originalzeichnungen. Diese ganze Arbeit, die wir hinter verschlossenen Türen so im Kling Klang-Studio gemacht haben, das dauert halt so seine Zeit. Wir sind eine ganz kleine autonome (Künstler-)Gruppe. Und das ist die Zeit, die es für uns gebraucht hat. Die heutige Performance haben wir erstmals auf diesem Laptop-Format in »Cité de la musique 2002« in Paris gemacht. Wir waren erstmals richtig mobil. Wir konnten ja früher nie richtig reisen. Da waren ja Tonnen von Equipment aus den Kling Klang-Studio, dazu kamen die Aufbauarbeiten, das Tunen. Das war zwar der Stand der Dinge zu der Zeit, aber es war nie unsere Vorstellung davon, was es sein könnte. Die haben wir in den letzten zwei Jahren erst verwirklicht.

Von so unterschiedlichen Musikern wie Arto Lindsay und Massive Attack habe ich im Gespräch vermittelt bekommen, ohne Bands wie Cluster, Neu!, aber vor allem Kraftwerk, würde es keinen anspruchsvollen HipHop geben. Seht ihr Euch als Pionier heutiger Elektroniksounds?

R.H.: Wir waren immer nur wir selbst. Diese ganzen Energieströme, das ist ja unser Leben, unsere Arbeit. Die Menschmaschine, dieses Konzept, das mein Partner Florian Schneider und ich seit sagen wir mal 1970 leben und machen – nun ein paar Jahre davor auch schon als studentische freie Gruppe unter dem Projektnamen Organisation – diese Idee konzeptionell Musik zu machen, in Eigenproduktion, in vollkommener Autonomie, also voller künstlerischer Kontrolle, das war ja ganz schwierig lange Zeit. Die Plattenfirmen wollten dies nicht machen und das nicht drucken. In Amerika sind die Fotos vertauscht worden. Irgendwelche Marketing-Idioten haben oft Compilations gemacht ohne autorisiert zu sein. Es gibt ja zig Platten, die es eigentlich gar nicht gibt. Jetzt können wir erstmals alles so machen, wie wir es immer wollten. Unabhängiger, auch technisch wie gesagt. Für uns wurde ein Traum wahr.

Gehört zu Eurem Konzept auch diese Verweigerung. Es gibt ganz wenige Interviews. Fernsehinterviews so gut wie gar nicht. Geht es um Anonymität? Soll das Individuum versteckt werden?

R.H.: Ja, wir konzentrieren uns auf unsere Arbeit. Personen sind nicht wichtig. Wir nennen uns ja Musikarbeiter und das kann man ja selbst vergleichen. Heute, am Tag unseres Konzertes ist ja dieser Grand Prix de la Chanson ist mit all den geklonten Gestalten, die kein Mensch braucht, aber die als Personen verkauft werden, an so einem Tag haben wir wirkliche Musik gespielt, die Musik des Computerzeitalters.

Oft gab es Artikel über Eure Arbeiten, wo erklärt wurde, dass Kraftwerk euphorisch und unkritisch mit allen neuen Technologien umgeht. Heute hattet ihr zum Song »Radio Activity« Projektionen. Da wurden Harrisburg und Csernobyl mit Hiroshima gleichgestellt. Nach der Katastrophe in Sellafield seid ihr bei einem Benefiz aufgetreten.

R.H.: Kunst steht für sich selbst und muss an sich nicht erklärt werden. Es gibt schon Zitate von uns aus den 70er Jahren. Aber nur wenige. Sonst wären wir Schriftsteller geworden oder Redner, Politiker. Wir sprechen mit Musik. Die wenigen Worte Text, so Schlagworte, Schlüsselworte, eigentlich Phoneme, Klangworte und Sprechgesang – das ist eigentlich eine frühe Form von Rap, wenn man so will.
Man wird immer auch missverstanden. Auch das ist kein Problem. Wir sind aber meist gut verstanden worden, wenn auch in kleineren Zirkeln. Man muss es einfach machen. Man darf sich nicht erschrecken, zum Schweigen verdammen, nur damit man nicht falsch verstanden wird.

Es war also nie ein Problem für Euch, wenn die Leute geschrieben haben, Kraftwerk würde für dieses und jenes stehen und ihr habt das ganz anders gesehen?

R.H.: Wir haben einfach weiter gemacht. Irgendwann wird es verstanden. So wie wir es machen, wird es verstanden in Detroit, in Tokyo und in England und Belgien. Am besten dort, wo es Bezug gibt. So wie die »Tour de France« verstanden wird. Unsere DJ-Freunde in Paris haben jetzt Remixe davon gemacht. Und die haben es auch richtig gedeutet. Nein, wir werden richtig verstanden.
Ich spüre es, dass die Leute uns verstehen. Es ist Freude, Energie und das alles da.

Und viel Plakatives? Schlichte Projektionen wie bei Massive Attack.

R.H.: Wir sind mit Massive Attack gemeinsam in Rio aufgetreten, das war fantastisch. Open Air. Das war kulturelle Elektronik, Rio und der Sternenhimmel, die Menschen laufen zwischen den Palmen am Strand umher, dazu die Mischung von Hi-Tech mit irgendwelchen brasilianischen Klängen, die von draußen kommen. Das spiegelt ja die Welt, wie sie ist.

Ist die heutige Medienüberflutung, das Angebot an Technologien, die für jeden zugänglich sind, nicht ambivalent zu sehen? Besteht nicht die Gefahr der Sucht, des Untergehens?

R.H.: Für uns persönlich nicht. Wir befassen uns ja schon ewig mit Medien und Technologien. Schon in den 60er Jahren waren wir in einer studentischen Kunstszene. Wir waren immer Underground. Wenn wir davon beherrscht würden, süchtig wären, würden wir gar nicht so eine Musik spielen. Damals war halt Rockmusik dominant. Wir waren stets Underground, haben in Galerien gespielt, Sets mit sechs Stunden. Damals schon mit Projektionen, die wir dann weiter entwickelt haben. Wir haben immer alles selbst gezeichnet. Alle optische Gestaltung war immer von uns, Plattencover, Videos und so. Wir waren immer multimedial. Und wir haben den künstlerischen Weg immer selbst bestimmt.
Tatsache ist: die Kunst ist da, wir leiten sie nur. Ein uraltes Zitat von uns erklärt das ein wenig: »Wir spielen die Maschinen und die Maschinen spielen uns«. Daher auch eine gewisse Affinität zur »Tour de France«. Ist ja auch unser Hobby. Wir sind große Fahrradfans seit über dreißig Jahren. Wir fahren auch in den Dolomiten und in den Alpen Etappen. Natürlich in unserem Tempo mit EKG, Vitaminen und so. Da ist auch so: es geht immer vorwärts. Es geht um Gleichgewicht, Balance und um den Einklang von Mensch und Maschine im Rahmen der Möglichkeiten. Dieses ganze Gedankengebäude ist für uns so wichtig. Und das spiegelt sich auch in unserer Musik und Arbeitsweise wider.

Macht es überhaupt Spaß das zu erklären, darüber zu reden. Das scheint nicht zum Konzept zu passen.

R.H.: Ja klar. Vor allem, da wir es nicht so oft tun. Und während wir reden,. kommen mir stets neue Gedanken. Außerdem interviewe ich Dich ja auch während wir reden.

Ich hab früher als DJ oft »Computerwelt« für die Party-People aufgelegt. Irgendwie Culture Clash. Die Schickies tanzen vor dem Spiegel, richten sich die Haare und singen Eure Phrasen gedankenlos mit.

R.H.: Ich kenne das. Wenn man mit den Fingern das steuert. Das ist so hochsensibel. Besonders jetzt,
diese Instrumentarien, die wir haben, animieren zum Tanzen. Die Leute wundern sich vielleicht, warum wir nicht rumspringen und Saltos dazu machen. Klar, können wir nicht mehr. Aber die Instrumentarien, die sind so sensibel, mit millimeterfeinen Bewegungen erzeugt man große Wirkung. Modulationen.

Wenn ihr Euren Proto-Techno mit der Masse dessen vergleicht, was als Techno später kreiert wurde, kommt Euch das nicht kitschig, peinlich vor? Ihr seid doch die Basis, die Blaupause.

R.H.: In jedem Musikstil, durch die ganze Geschichte der Menschheit hin, gab es das und das. In der Barockmusik, in der Klassik, aber auch in der Rockmusik gibt es das Grauen und ganz wunderbare Sachen nebeneinander. Man kann keine Stilform dazu verdammen, auf einem gewissen Level zu bleiben. Aber in jedem Stil gibt es qualitative, aber auch historische Unterschiede.

Seht ihr Eure Musik als Experiment, als zeitgenössische Musik oder als Pop? Oder irgendwo dazwischen?

R.H.: Wir machen Alltagsmusik. »Trans-Europa-Express«, »Autobahn«, »In Wien sitzen wir im Nachtcafé« – das ist übrigens das Café Hawelka, den Namen haben wir nie genannt, 1976 war das. Musik zum Alltag.

Andy Warhol auf Musik?

R.H.: Wenn man so will, auch das.

Ralf, Danke für das Interview.

R.H.: Gerne, wir freuen uns, dass wir wieder in Wien sind, wir waren so lange nicht da und spüren hier auch den kulturellen Fluss, denn jetzt geht es weiter nach Slowenien und Italien. Aber Reisen ist ohnedies Energie.

*Klaus Totzler ist Ressortleiter »Pop« der Kulturabteilung des ORF-TV

Weitere skug-Artikel über Kraftwerk:
>> von markus deissenberger
>> von didi neidhart
>> von harald wiltsche
>> Kraftwerk Website

Home / Musik / Artikel

Text
Klaus Totzler

Veröffentlichung
25.05.2004

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