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Jello Biafra and the Guantanamo School Of Medicine

»Tea Party Revenge Porn«

Alternative Tentacles

Jello is back! Musikalisch versteht sich. Denn in den letzten Jahren bestritt der Spoken-Word-Sarkast wortgewaltig wie eh und je seinen »What Would Jello Do?«-Videopodcast mit mittlerweile 87 Folgen. Der Titel ist eine typische Jello-Provokation, wird doch »WWJD« im Land des »politischen Christentums« gemeinhin als »What Would Jesus Do?« gelesen. Andere mögen sich darauf beschränken, das 40-Jahre-Jubiläum des ersten Dead-Kennedys-Albums »Fresh Fruit For Rotting Vegetables« abzufeiern. Jello hat seit dem letzten Album mit seiner Guantanamo School Of Medicine (2013) genügend Ideen für neues Material gesammelt. Und das wollte er unbedingt noch vor den US-Wahlen zumindest digital veröffentlicht haben. Vinyl/CD-Versionen werden im Jänner nachgereicht. Das Artwork kommt in alter Freundschaft von Winston Smith. Für die songdienlichen DK-Kontinuitäten sorgen u. a. wieder Gitarrist Ralph Spight und Bassist Larry Boothroyd. Die beiden Victims-Family-Helden halte ich ja nach wie vor für musikalisch unterfordert. Aber sie sorgen verlässlich dafür, dass die für Jellos unverwechselbare, nach wie vor bestechend klare Stimme maßgeschneiderten Songs kräftig arschtreten; was bei DK-Hardcore à la »We Created Putin« ebenso gut funktioniert wie beim »Let’s Lynch The Landlord«-reminiszenten »The Last Big Gulp«: Shake Appeal mit herzlichem »Frack You!« an die Erdölindustrie. Jello war nie um plakative Slogans verlegen und wendet bevorzugt die bewährte Formel »Titel = Refrain« an. Das kann bei dem einen oder anderen Track auch mal nerven, wenn der Takt zu lange wiederholt wird. Während sich in der Trump-Ära einige von Jellos alten Mitstreitern auf Sing-Along-Updates vergangener Zornausbrüche beschränkt haben (D.O.A. »Fucked Up Donald«, MDC »No Trump, No KKK, No Fascist USA«), liefert Jello wieder einmal Strophe für Strophe aktuelle Kommentare mit Pointen, die sitzen. »Taliban USA« z. B. nimmt den politisch wieder gestärkten Pro-Life-Wahn aufs Korn: »It’s a dirty secret in extremist land / Family Values mob hates kids / ›Unborn child is sacred!‹ / But once they’re born, to hell with them!« Manchen von Jellos zynischen Worst-Case-Szenarien haftete, zumindest auf den ersten Blick, auch was Paranoides an. Retrospektiv konnte man jedoch immer wieder feststellen, dass es sich gar nicht um allzu abwegige Spekulationen handelte. Dass Jello der Gefahr des Abstumpfens durch permanentes Zuspitzen entgeht, dafür sorgen schon die politischen Entwicklungen. Leider. Als Jello im Sommer 2016 auf seiner letzten Europa-Tour in der Wiener Arena Station machte, hatte er sein eigenes DK-Update in Form von »Nazi Trumps Fuck Off«-Shirts im Gepäck und agitierte gegen »Satan’s Combover« (Opener des neuen Albums, damals schon live zum Besten gegeben), als hätte dieser die Wahl bereits gewonnen. Freund*innen und ich schmunzelten ob der Übertreibung. Nach der –»gestohlenen«, wie Jello sagt – Wahl 2016, bei Trumps gezielter Verharmlosung der mörderischen neonazistischen Gewalt in Charlottesville 2017, seinem direkten Adressieren der rechtsextremen Proud Boys etc., etc. fiel mir immer wieder jenes Konzert ein. Jello bleibt (zu-)hörenswert.

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