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Jelena Popržan

»La Folia«

Lotus Records

Lang hat es gedauert, bis die aus dem serbischen Novi Sad stammende und schon lange in Wien lebende Jelena Popržan unlängst ihr erstes Soloalbum veröffentlichte. Das mag daran liegen, dass die hervorragende Bratschistin, Sängerin und Komponistin im vergangenen Jahrzehnt als Teil des Duos Catch-Pop String-Strong aktiv war und bei Madame Baheux nach wie vor aktiv ist. Dazu kommen das Trio Sormeh mit Weltmusik, diverse andere Projekte sowie Arbeiten fürs Theater. Für »La Folia« konnte sich Popržan die künstlerische Freiheit nehmen. genau das zu machen, was sie will bzw. wollte. Das Resultat sind dreizehn Stücke, die sich nicht zuletzt durch ihre ungemeine Diversität und das Sprengen jeglicher Genregrenzen auszeichnen. Große Hilfestellung zum besseren Verständnis der Stücke bietet das hübsch gestaltete Beiheft. »Davie« zum Einstieg mit seinen düsteren Loops ist die Vertonung eines Theatertextes, das folkloristisch gefärbte »The Exorcism of Gwendolyn« führt die Fantasie Gassi und die Aneignung von »L’Emigrant« von Charles Aznavour und Marc Heyral thematisiert elegisch und empathisch das Schicksal der vor dem Völkermord an den Armeniern geflüchteten Familie und die bittere Erfahrung der Unmöglichkeit, in Frankreich »sich in den Tanz zu reihen«. Mit epischen über 16 Minuten Laufzeit bildet das an den Albumtitel angelehnte Opus »X Y Variations on La Folia« so etwas wie das Herzstück des Albums. Dazu sollte man wissen, dass »La Folia« einer der größten Pophits der abendländischen Musikgeschichte ist, seine Wurzeln in der portugiesischen und spanischen Volkskultur hat und im 16. und 17.  Jahrhundert seine Hochzeit hatte. »La Folia« ist eine Kompositions- und Improvisationsvorlage, bei der ein bestimmtes melodisches und harmonisches Schema variiert wird. Popržan präsentiert sechs atemberaubende Variationen und Improvisationen jenseits der gängigen E- und U-Musik-Differenzierung, die manchmal an die Scores des großen Michael Nyman erinnern. Aus der Feder von Jelena Popržans Partner in Life, Art und Crime, Richard Schuberth, geronnen ist die inoffizielle Hymne an eine Stadt »Wean«. Mit charmanter Sprachfärbung singt Popržan einen wunderbaren wienerischen Text: »Du bist die Hauptstodt fia olle / die söba ned bei si’ daham san«! Zurück zum Traditionellen geht es mit »Sovay«, einem zurückhaltend-tänzelnd interpretierten englischen Folksong aus dem 18. Jahrhundert, in dem es um einen spektakulären Liebesbeweis geht. Ihr komödiantisches Talent entsprechend ausspielen kann Popržan in »Little Boxes«, einem von Pete Seeger bekannt gemachten Song, der in Form eines Kinderlieds zum Schmunzeln bringt und dabei doch das ernste Thema der Konformität in der sogenannten besseren Gesellschaft behandelt. Stichwort »Schachteldenken«! En passant interpretiert Popržan die »Fuge aus der Violinsonate BWF 1001« von J. S. Bach und kombiniert diese mit teils jodelndem Gesang. Ein mindestens experimentell zu nennendes Stück ist »#Maulgeige«. Eine solche ist ein Gehstock, auf den eine Geigensaite gespannt ist, deren Klang über einen Faden und ein Plektrum in den Mundraum übertragen wird, was dann sogar wie ein schräges Ambient-Stück klingen kann. Mit »The Life and Death of Suljo«, einer abenteuerlichen Raubersg’schicht um verletzte Ehre, hat es dann doch noch ein Stück in serbokroatischer Sprache inklusive Popržans Opa im O-Ton auf das Album geschafft. »My Epitaph«, ein herzzerreißendes Cover der Version von Ola Bella Reed, bildet den mehr als würdigen Abschluss dieser jenseits aller Vorhersehbarkeit angesiedelten Solowerkschau von Jelena Popržan. Nach mehrmaligem Hören von »La Folia« ist mensch schon geneigt zu fragen: Was kann diese Frau nicht? Unlängst bei der (zweiten) Geister-Albumpräsentation (die erste war noch vor Publikum!) via WWW im menschenleeren Wiener Porgy & Bess war Popržan trotz gespenstischer Umstände guter Dinge und spielte ein fulminantes Konzert, unterbrochen nur durch ihre pointierte Moderation. Eine Ausnahmekünstlerin in einer Ausnahmesituation. Die Kurve gekriegt, und wie!

Home / Rezensionen

Text
Stefan Koroschetz

Veröffentlichung
19.04.2020

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