Die Hügel, Täler und Berge des »Inland Empire« sind in das gleiche tiefe, minerale rot, gelb, grün und blau getaucht, wie die des bemalten Frauenkörpers vor der Landschaft von »San Fernando«, der letzten Platte von Das Weiße Pferd. Und schaut man genau hin, kann man zwischen all den nackten, geschlechtslosen Männern, den Bandmitgliedern der achtköpfigen Münchner Band, die sich dort auf dem Cover von »Inland Empire« tummeln, wieder bemalte Frauenkörper erkennen, schemenhaft, Erinnerungen gleich. Ja, »Inland Empire« liegt nicht nur geografisch, sondern auch farblich und musikalisch recht nah bei »San Fernando«. Das Weiße Pferd machen noch immer mit akustischen und verstärkten Gitarren, mit Bass, Schlagzeug, Bongos, Tablas und Marimbas, mit Ukulelen, Violinen und Celli, mit Keyboards, rückwärts abgespielten Gitarrensoli und Melodicas diese traumwändlerische Musik aus einer anderen Welt. Etwas ruhiger, einfühlsamer, liebevoller als zuvor. Und sie tauchen weiter ein in diese cineastische Romantik weiter Räume und staubiger Gegenden, großer Gesten und gefühlter Gedanken. Lieder wie Leinwände, auf die alte Autorenfilme projiziert werden. Ob in »Die Hitze im Zimmer« ein Waldbrand das Land versengt, sobald man es (natürlich im Auto) zusammen hinter sich gelassen hat, oder ob man in »Große Freiheit« sich aus der Enge »freizudrehen« versucht. Diese Romantik und Freiheit steckt in der Musik, sie haftet den poetisch vagabundierenden Texten an und sie wohnt dem Gesang von Pico Be inne, der zwischen Rock ’n‘ Roll-Wildheit, geheimsnisvollem Geflüster und verschmitztem Schamanismus wechselt. Die gewissermaßen spiegelbildliche Projektionsfläche dieses Freiheitsdrangs bilden die Fesseln, die Zwänge und die zutiefst unvernünftige Vernunft der Menschen und der Welt, von denen das »Inland Empire« umgeben ist. Zwischen den Zeilen schimmert immer wieder die Ablehnungs- und Verweigerungshaltung gegenüber stumpfer protestantischer Arbeitsethik (»Große Freiheit«) und düsterer katholischer Verblendung und allerlei anderer Opiate fürs Volk (»Blaue Magie«) durch. Das Weiße Pferd klammern diese ganze graue Tristesse nicht aus, und doch laden sie einen ein in abenteuerlichere, zwanglosere Gefilde. Wenn auch nur für die Dauer eines großartigen Longplayers.
Das Weiße Pferd
»Inland Empire«
Echokammer
Text
Hardy Funk
Veröffentlichung
16.11.2013
Schlagwörter
96
Agogo Records/Indigo
Das Weiße Pferd
Echokammer
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