Der »Republikanische Schutzbund«, Ortsgruppe Marienthal<br />&copy; <a title="http://agso.uni-graz.at/marienthal/bilder/12_sozialdemokratie.htm" target="_blank" href="http://agso.uni-graz.at/marienthal/bilder/12_sozialdemokratie.htm">agso.uni-graz.at</a><br />
Der »Republikanische Schutzbund«, Ortsgruppe Marienthal
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»Ich kann keinen Helden spielen«

Nachdem er als Kind die polizeiliche Verfolgung seines Schutzbündler-Vaters miterlebt hatte, entschloss sich Kurt Wachold in der Nazi-Zeit absolut kein Held zu sein - weder als Widerständler noch als Nazi. Der Feinoptiker schmuggelte sich möglichst unauffällig durch den Austrofaschismus und die Frontzeit. Teil 4 der Zeitzeugengespräche mit Bewohnern des Gemeindebaus Sandleiten.

»Es gibt eine Unruhe in Österreich und wir sollten schnellstens nach Hause gehen, sagte der Lehrer in der Schule zu uns. Am 12. 2. 1934 war ich elf Jahre alt. Mein Vater Eugen Wachold war ein Schutzbündler, der Waffenmeister vom Schutzbund, eigentlich ein stellenloser Werkzeugmacher. Nach dem Bankenkrach 1929 wurde er als Ausbilder einer staatlichen Lehrwerkstätte entlassen. Zu Hause sah ich dann, wie er und sein Freund beide Pistolen einsteckten und verschwanden. Wenn es eine Schießerei gibt, setz‘ dich unters Fenster, da trifft dich keiner, sagte der Vater noch zu mir.« Kurt Wachold kann gut erzählen und erinnert sich lebhaft, auf einer Bank in Sandleiten sitzend. Man würde ihm wirklich keine neunzig Jahre geben, das liegt aber auch daran, dass ein Teil von ihm wie eine Kinderfigur wirkt, die gerne kichert über die komischen Szenen dieses komischen Lebens. »Ich habe schon überzogen, dass die Waffen oben am Kasten liegen. Am 13. Februar führte mein Vater meine Mutter morgens in die Arbeit, finster war es, trüb aber trocken, und ich schlief in der Wohnung. Plötzlich pumpert es an der Türe. Mit dem Stockerl schaute ich durchs Guckloch: Polizei mit Taschenlampen und Gewehren. Die stürmten herein und drehten die Wohnung um. Ich habe zu heulen angefangen und entdeckte, dass ich dann nicht reden kann. Wie ein Schlachtfeld sah es aus. Die haben keine Gewehre gefunden. Denn die waren in den Blumenkästen vor den Fenstern drinnen, in Ölpapier eing’wickelt. Gossen ist nicht worden, trockene Erde«, sagt Herr Wachold. Der Polizeichef nahm den Buben ins Verhör, aber er verriet nichts. »Ich werde nie vergessen, was er zu mir sagte: Na, dich haben’s aber gut abgerichtet.« Später an diesem Tag wird der Vater mit einem Karabiner-Hieb verhaftet und in die »Liesl« verfrachtet. »Die warteten mit Knüppel und Degen auf ihn. Mitunter waren wir draußen scharf schießen, ich hatte die Munition (lacht). Man muss schlau sein, wie man durchkommt. Ich kannte alle Schutzbündler. Major Eifler war der Kommandant. Die waren im Gefängnis im Turm eingesperrt und beim Freigang liefen sie alle als Gruppe im Kreis und der Major Eifler vorneweg.« Und lacht schon wieder, über die »militärische Formation« in der Rossauer Kaserne.
 
Alle HJ-Vögel sind schon da

kurt1.jpg»Meine Mutter ging zum Polizeihäuptling fragen, aber der ließ den Vater, der verlottert aussah, 42 Tage lang nicht heraus. Vor dem Standgericht war es mystisch und halbdunkel, es standen Heimwehrler mit Hahnenschweif und Bajonett in einer Reihe, aber sie konnten dem Vater nichts beweisen. Am 12. Februar hatten eine Gruppe Schutzbündler in Zivil und die Polizei aufeinander geschossen, es gab einen toten Polizisten und einen toten Schutzbündler. Die hatten alle die Hände im Sack und die Polizei sagte, Hände hoch! Die Anklage war Aufruhr und Mord. Ich habe nicht gewusst, wer der Schütze war«, erinnert sich Kurt Wachold in inneren Bildern. 
Nachdem der Vater nicht zur Vaterländischen Front wollte, wurde das Stipendium für das  Gymnasium für den kleinen Kurt immer weniger und mit 14 musste er dann eine Lehre als Feinoptiker und im Mikroskopbau beginnen, die ihm aber gut gefiel. Er hielt sich fern von der Hitlerjugend, bei denen »Alle Vögel sind schon da« über und unterm Tisch gesungen werden musste«, was er extrem »deppat« fand, »der Göbel-Bua, der Trottel, ist freiwillig eingerückt«. Der 19-jährige Kurt Wachold hatte Glück mit seiner Einheit. »Bin in einem Loch gehängt und habe alles beobachtet, ich war Beobachter bei der aufklärenden Artillerie. Ich saß in Baumwipfeln, in Kirchtürmen und auf Dächern und rechnete mit der Trigometrie die Winkel aus, maß die Koordinaten aus. Wir sind still geschwommen und nirgends angeeckt«, beschreibt er. Russische Artillerie-Einheiten wurden nach seinen Messungen in die Luft gejagt, »die armen Kerle, jünger als ich«, sagt er heute. Seine Familie stammte aus der Herzegovina, die geliebte Großmutter aus Dubrovnik/Ragusa. Sein Vater war in Trebinje geboren, »erklär‘ das mal einem Nazi, was das für ein Ort ist! Der dachte gleich, der wäre ein Slawe«. Kurt Wachold trägt eine seltsame Kriegs- und Kampfbegeisterung in sich und schwärmt vom Ausrechnen von hochgezogenen Sprengpunkten, von Scherenfernrohren und Lichtmess-Batterien, aber man spürt absolut keine Nationalsozialismus-Hingabe. Ein seltsames, mörderisches »Männer-Spiel«: Krieg. Schon sein Opa war Soldat im Kaiserreich. Sein 19-jähriger Vater kämpfte im Ersten Weltkrieg, genau in den gleichen Dörfern wie der Sohn im zweiten Weltkrieg. Ein Vorfahre deckte sogar genau an der gleichen Stelle 1812 die rechte Flanke von Napoleon. »Wo der in Europa überall mit seinem Pferd war!«

»Hean’s, was machen Sie da?!«
Gegen Ende des Krieges bedrohen der Beobachter und sein bester Freund Spechtler ihren deutschen Offizier, der in Danzig mit einem Schiff fliehen möchte. »Als wir einmal leise weg wollten, tönte er »Im Krieg fallen die Menschen«. Und jetzt wollte er abhauen. Der schickt uns in den Krieg und er will weg. Aber nicht mit uns (lacht)! Wir schießen dich nieder, sagten wir dem. Wenn er so ein Held ist, dann soll er in Gefangenschaft. Wir waren nämlich in stiller Erwartung der Russen. Eisern hätten wir den in Grund und Boden geschossen. Deswegen ist der Offizier dann genauso wie wir in russische Gefangenschaft gezogen«, strahlt Herr Wachold wie über einen gelungenen Streich. Stolz erzählt er, wie er sein Tagebuch in Holzschlapfen mitschmuggelte. »Ich kann keinen Helden spielen, ich kann nur schauen, dass ich durchkomme, ich war nicht so heilig wie der Jägerstätter«, resümiert Kurt Wachold die Einstellung wohl vieler österreichischer Söhne, deren Väter im Habsburgerreich oder im faschistischen »Ständestaat« gekämpft und drauf gezahlt hatten. Bis in die 1980er Jahre redete er nicht über den Krieg, nicht einmal seine Frau wusste, dass er eingerückt war. »Der Krieg war ein Erlebnis«, sagt er heute.
Jüdische Menschen bekam er angeblich erst sehr spät zu Gesicht. Im März 1945 sah er südlich von Danzig in der Kaserne, bei seinem Spezi, einem österreichischen Koch, drei jüdische KZ-Gefangene. Einen alten Mann, der die Uhren der Landser reparierte und zwei Frauen. »Die hatten sich die von einem KZ-Lager ausgeborgt. Die Ältere war so nervös, die hat ständig geputzt, obwohl alles blitzblank war. Die junge Frau sprach im Wiener Dialekt und kam aus der Leopoldstadt. Und ich naiver Depp sag‘ noch zu der, »hean’s was machen denn Sie da?!« Der Koch fragte die drei später, »habt ihr wen, wo ihr untertauchen könnt?« »Ja.« »Dann schleicht’s euch‘!««

In Kooperation mit SOHO IN OTTAKRING 

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Text
Kerstin Kellermann

Veröffentlichung
06.06.2014

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