Schluss mit pseudo-intellektuellem Eiertanz um die Verstärkertürme. Das Heart of Noise Festival findet heuer zwischen dem 7. und 9. Juni in Innsbruck statt und bricht mit einer Konvention. Wo sich Musikfestivals am Rande des vergifteten Mainstreams gerne mit besonders durchdachtem Überthema schmücken, setzt das Heart of Noise gerade in dem Moment auf bedingungslosen Hedonismus, in dem eh schon alles den dunkelgrauen Bach runter geht. »Don’t Stop The Dance!«, die Welt ist ohnehin zerbrochen. Da können wir getrost die Beine zu den Beats in den Boden stampfen und einfach so tun, als hätten wir’s nicht gemerkt. Wer gedankenverloren über den Dancefloor kreiselt, schrubbt oder rollt, muss trotzdem nicht die Augen schließen. Zumindest nicht vor Angst. Schließlich gibt es in Innsbruck Anfang Juni auch im Schatten des Goldenen Dachls viel zu entdecken. Auf die ganz großen Namen verzichtet man beim Heart of Noise Festival 2019 zwar. Dafür überschneidet sich das Programm nicht mit genreverwandten Festivals wie dem Hyperreality in Wien, dem Donaufestival in Krems oder dem Elevate in Graz. Das macht Sinn und das Heart of Noise zu einer Fundgrube an spannenden Electronic-Acts.
In Innsbruck mit dabei sind Ex-Coil-Mitglied Drew McDowall, der zusammen mit der Videokünstlerin Florence To »Time Machine« aufführt und die Zeit aus den Fugen schmeißt. Drone-Legende Phill Niblock verbrüdert sich mit Thomas Ankersmit, während Aja Ireleand (Opal Tapes & Perc Trax) auf knüppelharte Übersteuerung setzt. Ausnahmekünstlerin Gazelle Twin entledigt sich bei der Präsentation ihres Superalbums »Pastoral« alles Menschlichen und Schlagzeuger Andrea Belfi trommelt sich vor den kommenden Support-Konzerten für Thom Yorke noch schnell in Innsbruck warm. Letzterer bezeichnete Christoph de Babalons »If You’re Into It, I’m Out Of It« mal als »bedrohlichste Platte«, die er besitze. Beim Heart of Noise Festival packt Babalon seine gesichtsklatschenden Breakbeats endlich wieder aus. Für einen dreidimensionalen Ayahuasca-Trip könnten Dengue Dengue Dengue aus Peru sorgen. Das Duo, das sich bei Auftritten leuchtende Scifi-Masken um die Köpfe schnallt, schmeißt Cumbia-Sounds aus den lateinamerikanischen 1970ern in den zeitgenössischen Clubpool. Dort tauchen Jay Mitta und Bamba Pana mit Rapper Makaveli im Rahmen des Nyege Nyege Tapes Showcase zu ostafrikanischer Singeli-Musik, einer atemberaubend schnellen Tanzmusik aus Tansania, ab.
Heißgetanzte Füße lassen sich beim Konzert von Lucy Railton behandeln. Die Cellistin hat auf der Oscar-nominierten Partitur von Mica Levi für »Jackie« gespielt und auch zu den Noise-Ausflügen von Russell Haswell den Bogen geschwungen. Ben Vince verkoppelte sein Saxofon einst ebenfalls mit Ideen von Mica Levi. Für das Heart of Noise Festival loopt er seine Improvisationen solo. Sakrales Orgelpfeifen verblendet Kara-Lis Coverdale, die zuletzt auf Tim Heckers Alben mitwirken konnte. Und Kornelia Binicewicz grub in den Plattenläden der Türkei nach vergessenen Schätzen, um mit ihrem Ladies on Records Label die psychedelische Hochzeit türkischer Musikerinnen der 1960er- und 1970er-Jahre neu aufblühen zu lassen. Außerdem präsent: Die georgische Klangkünstlerin Vo Ezn, das Duo G.A.M.S. und DJ Raph aus Nairobi. Zusätzlich spielen Alleskönnerin und neue Labelchefin Maja Osojnik und Zanshin, eine Hälfte der österreichischen Erfolgselektroniker Ogris Debris.
Da bleibt nur noch zu schreien:
»Praise the Loud!
Subvert, Hedonize, Evolve!«