Idles Ticket © Willhaben
Idles Ticket © Willhaben

Gierflation bei den Investment-Punks

Ein Kommentar über die Dreistigkeit, Tickets für ausverkaufte Konzerte zu vollkommen überzogenen Preisen weiterzuverkaufen.

Es war Mitte Jänner, als meine Freundin zu mir sagte: »Oh, schau, Idles kommen nach Wien!«, und sich den Termin in den Kalender eintrug: 12. Juli, Arena Open Air. Lange hin, dachte ich mir da. Es war Anfang April, als sie zu mir sagte: »Jetzt muss ich mich mal um eine Karte fürs Idles-Konzert kümmern, soll ich für dich auch schauen?«, und ich ihr zähneknirschend mitteilen musste, was ich einige Tage vorher zufällig online gesehen hatte: Konzert sold out. 

Meine Freundin hatte allerdings Glück und bekam bald ein übriggebliebenes Ticket von einem Freund eines Freundes. Ich nahm mir vor, Augen und Ohren offenzuhalten, ob nicht auch für mich was abfällt – tat ich dann aber doch nicht. Und spätestens als eine Woche vor dem Termin die großartigen Ditz als Vorband angekündigt wurden, ärgerte ich mich über meine Behäbigkeit.

Willkommen auf dem freien Ticketmarkt

So weit natürlich selbst schuld. Aber meist kann man ja noch irgendwie ein Ticket ergattern, oder? Zunächst beim Facebook-Event-Eintrag schauen, ob jemand eines loswerden will. Doch man ist es mittlerweile gewohnt: nichts als Scam. »Ich verkaufe 4x Tickets. Wenn Sie Interesse haben am Kauf, bitte schreiben Sie mir eine Nachricht und liken Sie meinen Beitrag. Danke.« Danke auch, aber nein danke. 

Nächste Station: Willhaben. Hier taucht beinahe täglich ein Angebot auf. Zwar sind die kein Scam, dennoch ist eines dreister als das andere. Denn die Leute haben keine Skrupel, ihre Tickets für einen satten Aufschlag oder sogar fast das Doppelte feilzubieten. Ein Ticket, Originalpreis 37,40 Euro, angeboten für 60 Euro, ein anderes für 70 Euro. Zwei Tickets für 110 Euro. Und ein besonders »herzzerreißendes« Angebot: »As compensation for my sadness due to missing this gig, I ask 60 Euro for the ticket.«

Solche Gfraster. Ich überlege, einfach mal nachzufragen: »Warum verkaufst du das Ticket nicht zum Originalpreis?«, noch besser: »Wenn ich das Ticket für 60 statt 37,40 Euro kaufe, wie investierst du dann deinen Mega-Gewinn von 22,60 Euro?« Vielleicht g’spürt sich ja dann der eine oder die andere. Auch angebracht wäre: »Hallo, sei bitte kein Wappler, verkauf mir das Ticket zum normalen Preis, andernfalls überleg dir, ob Idles die richtige Band für dich ist.« 

Alles Heuchler

Denn dass Leute schnell auf die Idee kommen, sich auf Kosten anderer zu bereichern, das mag beim Kulturindustriewahnsinn rund um Taylor Swift und Co. weniger verwundern – aber vom subjektiven Gefühl her steckt hinter der privaten Ticketbörse für das Idles-Konzert etwas mehr Unverschämtheit: Den geschäftemachenden Indie-Kids und Investment-Punks gefällt ja offenbar eine dezidiert gesellschaftskritische Band – die über Klassenkampf singt, darüber, wie uns der Kapitalismus zusetzt, und nicht zuletzt über den Wert von Solidarität, den Wunsch nach einer neuen, fortschrittlichen Gemeinschaft. 

Wo dabei Authentizität in Radical Chic übergeht, sei dahingestellt. Aber wer grundsätzlich für solche Messages etwas übrighat, könnte sein eigenes Börsianerverhalten hinterfragen. Natürlich, Augenwischerei. Der Glaube an die verschworene Gemeinschaft, die beim Konzert der angesagten Punk-Band zusammenkommt und sich auch sonst an ähnlichen hehren Ideen orientiert, ist töricht und naiv. Bei allem, was nicht komplett nischige Subkultur ist, hat man es mit disparaten Massen zu tun, und im Falle des Idles-Publikums tummeln sich dort eben zahlreiche Leute, deren Leben auf Heuchelei aufbaut.

Heuchelei, weil sie sich als die Guten inszenieren: als solche, die Anti-Kapitalismus-Punk hören und die was weiß ich alles sein wollen: gegen den Krieg, für eine Reichensteuer, nicht toxisch, klimabewusst. Alles mit dem Zusatz: vermeintlich. Denn bei der kleinsten Gelegenheit, bei der sie einen Vorteil für sich wittern, spielen die Attitüde und das Geschwätz von gestern keine Rolle mehr. Dann wird rumgelogen, hochgenommen, abgezogen.

Sei’s drum, am Ende heißt’s »lesson learned«: Nächstes Mal weniger Behäbigkeit, dafür rechtzeitig Tickets kaufen, dann erspart man es sich, in die Abgründe privater Ticketbörsen schauen zu müssen.

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Text
Jannik Eder

Veröffentlichung
20.07.2023

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