»? aus vollem Herzen, gegen die Mafiosi und Großgrundbesitzer, die Reichtum anhäufen, mit dem Blut von uns Arbeitern ?«, singt Peppina Busacca anklagend und legt damit die Grundstimmung zu Beginn des Films.
Das Städteporträt von Joerg Burger zeigt den Ort vor dem Erdbeben 1968 und danach, 18 Kilometer davon entfernt: Gibellina Nueva. Dazwischen liegen 14 Jahre, in denen die Bewohner vor den alten Toren in Baracken hausten und von einem neuen Gibellina wider die alten Machtstrukturen und ohne korrupte Wirtschaftspotentaten träumten. Etwa die Hälfte von ihnen, darunter auch viele Mafiosi, nutzten die günstige Gelegenheit, um an Pass und Visa ranzukommen und mit den von der Regierung bereitgestellten Schiffen nach ?bersee auszuwandern.
Die langen Bildeinstellungen wechseln mit Interviews der Bewohner. Während der damalige Bürgermeister von der Kraft der Erneuerung mithilfe von Architektur und Kunst berichtet, so wünscht sich der Gemüsehändler die Barackensiedlung wieder herbei, denn ihr neuer Ort sei ein leerer, ein unbeseelter. Um es mit den Worten des Pfarrers auszudrücken: Das Projekt Gibellina Nueva sei vergleichbar mit einer missglückten Herzoperation, wonach der Körper das fremdimplantierte Herz einfach wieder abstößt …
Der Retorte entsprungen
Dem alten Gibellina mit seinen bäuerlichen Strukturen und mittelalterlichen Gassen und Plätzen, wurde eine verkehrstechnisch begünstigte und großzügig angelegte Planstadt vom Reißbrett entgegengesetzt. In Form eines Schmetterlings, zweigeteilt und ohne Zentrum, wirkt es leer und ausgestorben. In der Tat schrumpfte die Einwohnerzahl von 8.000 auf 4.500.
Auf die Naturkatastrophe folgte eine städtebauliche, worüber selbst die in die Stadtlandschaft »reingesetzten« Kunstwerke Zeugnis ablegen: ihre Existenz soll den Schaden begrenzen und die Leere weniger leer aussehen lassen – doch sie vermögen es nicht, Identität zu stiften. Weder der Tourismus wurde dadurch angekurbelt, noch fanden die Bewohner einen Bezug zur Kunst. Ihre Seele hängt noch immer in den engen, alten Gassen, die man heute zwischen den mit Beton ausgegossenen Häuserblockruinen durchlaufen kann. Das einzig begehbare und damit nutzbare Kunstwerk.
Es scheint so, als würde es noch lange Zeit dauern, bis der Körper das Herz endlich annehmen wird können – wenn überhaupt. Die Fülle an Kunstwerken steht im Widerspruch zur urbanen Leere und die Dimension des öffentlichen Raumes zu der des öffentlichen Lebens.
Joerg Burger seismografiert diese Kontraste auf ganz eindrückliche Weise und schafft dank der Charaktere vor Ort ein vielschichtiges Porträt, das es sich versagt, Lösungen anzubieten. Dabei werden wichtige Fragen aufgeworfen: die nach den sozialen Aufgaben der Architektur, aber auch die nach deren Grenzen und folgend, die nach der Eigenverantwortlichkeit ihrer Benutzer. So wird es vorerst weiter beben, doch, um mit Peppina Busacca wieder zu schließen: »? Väter gibt es keine mehr in den Häusern, aber ihre Söhne geben nicht auf.«
Joerg Burger: »Gibellina – Il terremoto« (sixpackfilm)
Filmstart in Graz am Donnerstag, 5.11.09, 19.00 Uhr im KIZ- Royal, Conrad von Hötzendorfstraße 10