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Murena Murena

»Ghoaster Coaster«

Echokammer

Der Stapellauf misst zwei Taktlängen, genug Zeit zum Luft holen. Mehr geht nicht – einmal Schnappauf, und wir stechen rein. Allererster Kompass, rauf und runter und rein und raus. Stoßen auf Grund, Fischen im Grab der Zivilisationen. Horrorsoul! Schon gehört? »O Allerhöchster, gnädigster, heroischer, siegreicher Diener…!«. So, das haben wir nicht geahnt, nicht wahr? Ein Album, das sich mit dieser Grabinschrift aus dem Alten Peter, der ältesten Pfarrkirche Münchens, öffnet, und dennoch vor Kraft geradezu strotzt. »Ach du lieber Gott, o mei, das ist ein Kreuz« – Gerhard Polt’s renitentes Spießerabendlied »Wann I Nimmer Meng Tat, Gangad I Hoam« klingt auf einmal tausend Jahre älter als dieser ruckartige Sexrock. Dabei scheint diese Platte zu wissen, dass es kein Zuhause mehr gibt, in das man gehen könnte, wenn man nicht mehr mag. Der Sturm ist da, die wilden Meere hupfen. Karibische Rhythmen in der Strafkolonie. Verschluckte Farbenpracht. Ein opulentes Fischgrätenragout. Zuckergehalt Null Prozent! Im Wendekreis von Murena Murena wird aus diesem Desaster eine Synekdoche auf den Zustand unserer Welt – das Brüchige bricht weg und das Neue ist auf Sand gebaut. Der Achterbahn »Ghoaster Coaster« im kanadischen Wonderland wurde erst vor Kurzem der Name gekürzt: »Scooby Doo« blieb auf der Strecke. Daher also der Titel. Die Band nutzt den Schwung der Abfahrt, um wieder bergauf zu gelangen. Deren Bandleader Daniel Murena ist passionierter Fischer mit kalabresischem Segelschein. Er kennt den Rhythmus der Wellen, weiß um die Macht, die der Mond über die Gezeiten hat. Der Flutmond. Oder der Blutmond, der in »Girl Ghost« die Toten auferstehen lässt. »Bad Moon Rising« hängt über dem gesamten Album, und die Geisterstimmen von Jon Spencer, Nick Cave oder Jesus Lizard baumeln mit. Aber auch der Spirit von Depeche Mode und die große Pop-Geste, in »Girls In The Street« etwa, einem Duett mit Manu »Parasyte Woman« Rzytki. Während wir, die Zuhörer, immer weiter in diese Platte hineinstechen, ziehen Murena Murena ihr Geisterschiff über einen Berg, durch den Wald und durch die Tropen, auf der Suche nach den Wurzeln der Rockmusik. Wir bauen einen Rock’n’Roll! Durch das Herz der Finsternis hindurch! Am anderen Ende des Bergs bleibt Zeit für subtilen Humor: »Strung Out« zitiert einen absurden Ausspruch von Elvis Presley, hängengeblieben in einer Loop-Schleife. Der von Drogen zerfressene Elvis. Für diese böse, tolle, wilde Nachtmusik gilt, was auch für Moritaten und die Malavita Calabrese gilt – man muss sie sehr laut hören. Als Ûbertönmusik.

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