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The Church

»Forget Yourself«

Cooking Vinyl/Indigo

Dass eine Band, die seit ihrem kommerziellen Höhepunkt gegen Ende der 80er hauptberuflich damit beschäftigt ist, das eigene Songmaterial zu dekonstruieren, ihr jüngstes, mittlerweile 17. (!) Album »Forget Yourself« nennt, kann durchaus programmatisch verstanden werden.
Nach dem letzten eher enttäuschenden Release der einst Genre-bestimmenden Australier war eigentlich nichts mehr zu erwarten. Es schien fast, als habe man die Hoffnung, noch einmal einen derart großen Wurf wie das zwischen Psychedelia und Glam changierende Meisterwerk »Remote Luxury« (84) zu landen, endgültig aufgegeben und sich mit dem eigenen Scheitern arrangiert. Tatsächlich war man nicht erst seit dem Durchbruch mit »Under The Milky Way« (88) ins musikalische Niemandsland aufgebrochen. Schon damals war der eigentliche Zenith längst überschritten. Bereits auf »Heyday« (85) nämlich war man dem perfekten Pop-Song gefährlich nahe gekommen, zu nahe: der Weg in Richtung Formatradio schien vorgezeichnet. Mit jeder der folgenden Veröffentlichungen wurden die Songs klebriger und mit den Kanten verlor man allmählich alle Konturen. Was in den 90ern geschah, glich größtenteils einem lauen Aufguss vergangener Großtaten. Ganz umzubringen war er trotzdem nie, der typische Sound zwischen 60s-Psychedelia, Postrock, Pop und New Wave-Dekadenz, den auch Radiohead-Mastermind Thom Yorke immer wieder als Inspirationsquelle für das eigene Schaffen anführt.
Und jetzt das: Gleich im Eröffnungs-Track wird die Gitarrenwand so hoch aufgezogen, als wolle man sich weiterhin fernab jeglicher Songstruktur im Dickicht durchschnittlicher Alters-Psychedelia verschanzen. Doch der erste Eindruck täuscht: Dem Gitarrenbrett folgt eine unwiderstehlich zwingende Melodie, Spannung pur! The Church werfen unerwartet all das in die Waagschale, was sie auf den vorangegangenen Alben so oft vermissen ließen: Die richtige Balance zwischen eingängigen Melodien, kompositorischer Dichte und Experiment. Einmal luftiger Pop (»Telepath«), dann wieder tiefe Trauer (»Maya«), dann beides zugleich (»I Kept Everything«). In »Nothing Seeker« wird gar die Brücke in Richtung Noise und Doom geschlagen. Als Kilbey seine brüchige Stimme durch ein Megaphon jagen muss, um sich gegen die heftigen Noise-Attacken zweier bis zur Unkenntlichkeit verzerrter Gitarren durchzusetzen, fallen die letzten Lichter aus. Nur eine dieser unverwechselbar singenden Basslinien kann das Church-Universum noch vor dem Kollaps bewahren. Wer hätte das gedacht: Die Meister der gepflegten Düsternis präsentieren sich in Höchstform. »You can’t spend the whole song in space!«, beschwört Kilbey eingangs seine Mitstreiter. Und ob!

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