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Erkki-Sven Tüür

»Exodus« / »Action Music«

ECM New Series / Kairos

Über die Jahre hat Tüür einen Personalstil entwickelt, der einerseits an estnisches Komponieren (nordeuropäischer Klang, flirrende Streicher) anknüpft, andererseits wilde, aufrüttelnde Klangprozesse in die Konzertsäle wuchtet. Besonders deutlich wird Tüürs Obsession, ekstatische Klangwellen aufzubauschen, auf vorliegender Einspielung mit dem City of Birmingham Symphony Orchestra unter Paavo Järvi. Isabelle von Keulen spielt im »Concerto For Violin And Orchestra« eine irrlichternde Solo-Violine, die mit dem Orchester verschmilzt, aber gerne auch darüber thront. »Aditus«, eine Hommage an Tüürs maßgeblichen Lehrer Lepo Sumera, ist ein Paradebeispiel für eine Klangwelle, in der Holzbläser und Celli am Zenit schäumen, Blechbläser emporschwimmen und Streicher wie Sturzfluten hinabstürzen usw. »Exodus« lebt von einem gewaltigen Anschwellen, das durch rhythmisierte Tonwellen entfacht wird und nicht im Armageddon, sondern mit einem allmählichen Abebben ausfließt. Eine schöne musikalische Metapher, die für das Überwinden des Unüberwindlichen stehen mag. Tüür, schwerkraftzersetzend! Tüür weiß um die Gesetze der Klangenergie, begreift die Musik als Lebensenergie, widmet also wie Scelsi nicht die ganze Konzentration auf musikalischen Rahmen und Form. Giacinto Scelsi hat demgemäß das Klavier hinter sich gelassen, da es für den Klangmystiker nicht die dynamischen und tonalen Möglichkeiten bot, die er für seine zunehmend spirituellere Musik brauchte. Das Klavier war in seiner Schaffenskrise in den 40er Jahren aber das Instrument, das ihn vorm Wahnsinn bewahrte. Also weisen die Piano-Spätwerke »Action Music« und die »Suite Nr. 8« aus den Jahren 1955 bzw. 1958 den Hang zu klangenergetischer Ballung, zur Erforschung des Einzeltons auf. Scelsi blieb das Klavier als Mittel zur improvisatorischen Versenkung, seine Musik allerdings ward dank anderer Instrumente östlicher inspiriert denn je.

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