Caterina Barbieri © Furmaan Ahmed
Caterina Barbieri © Furmaan Ahmed

Elevate Festival 2023

Unter dem Motto »Unlikely Alliances« verbindet das Grazer Festival von 1. bis 5. März zum 18. Mal ein anspruchsvolles Musikprogramm mit politischem Diskurs.

Eröffnet wird das Elevate Festival 2023 unter dem Motto »Unlikely Alliances« von der Autorin Sibylle Berg und dem Musiker Yegor Zabelov. Als Headliner für das Musikprogramms konnte Caterina Barbieri gewonnen werden, das Diskursprogramm wird vom Auftritt Slavoj Žižek überstrahlt. 

Kontroverse Mischung

Sibylle Berg wurde mit ihrem Roman »GRM Brainfuck« im Jahr 2019 einem breiteren Publikum bekannt, einer dystopischen Vision Londons, in der eine aus allen Ecken Großbritanniens zusammengewürfelte Gruppe jugendlicher Grime-Fans in einer alten Industriebrache lebt. Warum man den Auftritt der Autorin nicht mit einem Grime-Act kombiniert, sondern stattdessen mit einem Akkordeon-Konzert, erschließt sich vielleicht vor Ort. Was zudem verstört: Selbst wenn Yegor Zabelov einen Spendenaufruf für humanitäre Hilfe in der Ukraine auf seinem Profil teilt, ist es im besten Fall ungeschickt, ein Festival mit einem dezidiert politischen Anspruch mit einem belarusischen Künstler unter dem Motto »Unlikely Alliances« zu eröffnen, die Thematik des russischen Überfalls auf die Ukraine aber ansonsten sorgsam zu umschiffen. Die Wahl von Caterina Barbieri als Headliner des Festivals ist hingegen eine sehr gute Entscheidung, gilt die in Mailand ansässige Musikerin doch als Aushängeschild einer sehr umtriebigen Synthesizer-Szene, die sich in den letzten Jahren in Italien entwickelt hat. Ihre Alben auf Labels wie Mego oder Important Records zählen zweifellos zu den wichtigsten Veröffentlichungen der letzten Jahre im Bereich der elektronischen Musik. Die zentrale Stellung, die die Kurator*innen des Elevate Festivals Caterina Barbieri und Sibylle Berg einräumen, zeigt, dass sich das Bewusstsein für Geschlechtergerechtigkeit im Festivalbetrieb verändert hat.

Sibylle Berg © Joseph Strauch

Konterkariert wird diese Entwicklung jedoch durch die Einladung von Slavoj Žižek, für dessen Auftritt eigene Tickets ausgegeben werden. Unter den Diskussionsteilnehmer*innen nimmt der begnadete Rhetoriker damit eine Sonderstellung ein, denn das restliche Diskursprogramm ist wie bisher bei freiem Eintritt zu besuchen. Nun ist Žižek keineswegs unumstritten, denn mit seinen Attacken gegen eine angebliche »free choice of gender ideology«, dem saloppen Abkanzeln von Kritik und ganz allgemein einer männlich und weiß dominierten Perspektive auf das Weltgeschehen – Frauen kommen in seinen Ausführungen oft nur am Rande vor – begibt er sich regelmäßig auf glattes Eis. Zwar sind viele seiner Beobachtungen und Verbindungen durchaus scharfsinnig, ein Dialog auf Augenhöhe wäre jedoch das interessantere Format als eine Inszenierung seines Vortrags als Unterhaltungsshow. Die vorderste Reihe der Teilnehmer*innen am diesjährigen Festival beinhaltet also durchaus Interessantes, aber nicht alles, was glänzt, ist Gold.

Pharmakon © Elevate Festival

Von New York bis Kampala

Während die Headliner naturgemäß als Aushängeschild des Festivals dienen und mit ihrem Glanz die Aufmerksamkeit der Medien auf sich ziehen, ist für die Besucher*innen oft die zweite Reihe der Teilnehmer*innen viel entscheidender. Diese ist beim Elevate Festival 2023 – wie auch in den vergangenen Jahren – wieder spannend und umsichtig programmiert. So finden sich im Programm etwa die Auftritte von Margaret Chardiet alias Pharmakon aus New York und Katrin Euller alias Rent aus Wien, die am Donnerstag das Forum Stadtpark zum Vibrieren bringen, während nebenan Ayesha (ebenfalls aus New York) das Parkhouse auf 150 bpm beschleunigt. Aber auch der Auftritt der in Wien lebenden Iranerin Rojin Sharafi im Mausoleum dürfte spannend werden. Der Freitag wird eine Nummer größer, wenn der Braindance-Veteran Bogdan Raczynski den Boden für Caterina Barbieri im Orpheum bereitet, bevor im Dom im Berg die Lokalmatadoren von Allone neben den Ninos Du Brasil und Aïsha Devi die Facetten von Bass Music ausloten. Auch im Tunnel dominiert an diesem Abend UK Bass, vermutlich mit mehr Underground und Härte. 

PFL © Florian Kindlinger

Am Samstag kann man sich erneut auf die Konzerte im Orpheum freuen: Während Panda Bear & Sonic Boom aus dem Umfeld von Animal Collective Sunshine-Pop aus New York darbieten, arbeiten sich Freya Edmondes, Lukas König und Peter Kutin als PLF an ihren eindrucksvollen Rhythmusungetümen ab. Es gilt jedoch nicht alle Energie zu verbrauchen, denn der Abend ist noch lang: Während Luke Slater und DJ Bone transatlantischen Techno im Dom zelebrieren, präsentiert im Tunnel das ugandische Musikfestival und Label Nyege Nyege mit Catu Diosis, Afrorack und Binghi einen Ausschnitt der beeindruckenden Musikszene in der Region der großen afrikanischen Seen. Als Easteregg hat sich zudem Waq Waq Kingdom dazu geschmuggelt. Wer am Sonntag immer noch über einen ausgeglichenen Energiehaushalt verfügt, darf sich im Heimatsaal am unaufgeregt dahinplätschernden Synthpop der Neuzeitlichen Bodenbeläge erfreuen sowie am mit Field-Recordings durchsetzten Off-House von Sofia Kourtesis.

WaqWaq Kingdom © Marco Tinari

Aktivismus und Meinungsfreiheit

Das Diskursprogramm nimmt sich am Donnerstag der Auslotung von Aktivismus in den Bereichen Klimakrise, Flucht und Migration an, stellt am Freitag die Frage nach Meinungsfreiheit vor dem Hintergrund eines zunehmend von Kapitalismus und Überwachungstechnologie durchdrungenen Internets und versucht schlussendlich am Samstag, konkrete Handlungsperspektiven zu erörtern. Die Impulsreferate kommen von den Autoren Knut Cordsen und Cory Doctorow, an den Diskussionen nehmen Aktivist*innen wie Lena Schilling und Eliska Pirkova, Wissenschafter*innen wie Michael Bosetta und Lisz Hirn sowie Journalist*innen wie Sylke Grunwald und Raimund Löw teil. Spannend klingt auch der Workshop des Kollektivs Kairus zum Training visueller KIs. Abgesehen vom bereits erwähnten Slavoj Žižek fehlen im Diskursprogramm dieses Jahr die großen Namen, was für die Qualität der Auseinandersetzung im sogenannten Heimatsaal des Volkskundemuseums aber auch von Vorteil sein könnte. 

Link: https://elevate.at/ 

Home / Musik / Artikel

Text
Chris Hessle

Veröffentlichung
15.02.2023

Schlagwörter


favicon

Unterstütze uns mit deiner Spende

skug ist ein unabhängiges Non-Profit-Magazin. Unterstütze unsere journalistische Arbeit mit einer Spende an den Empfänger: Verein zur Förderung von Subkultur, Verwendungszweck: skug Spende, IBAN: AT80 1100 0034 8351 7300, BIC: BKAUATWW, Bank Austria. Vielen Dank!

Ähnliche Beiträge

Nach oben scrollen