Vitomil Zupan © Dim Zupan
Vitomil Zupan © Dim Zupan

Ein Roman – oder auch keiner

Sebastian Guggolz zaubert mit »Levitan« ein zweites Schätzchen des Schriftstellers Vitomil Zupan in sein Verlagsprogramm. skug sprach mit dem Verleger über die Person und das Schreiben des Jahrhundertmenschen.

Die biblische Wucht des Namens – der mit Gott Ringende –, aber auch das Bild Ahabs, des dem weißen Wal – dem Leviathan – fast ebenbürtigen Kapitäns, sind gut und gerne gewollte Assoziationen. Der innere und äußere Kampf der ohne ihr Zustimmen in die Welt geworfenen Figuren ist Thema des Romans, der zugleich auch irgendwie keiner ist, wie er selbst von sich behauptet. Zupan selbst, der Autor/Protagonist von »Levitan«, wurde Anfang des 20. Jahrhunderts geboren und sein Leben bietet von Anfang an mehr als genug Stoff, um davon zu berichten. Grob: Als Jugendlicher beim Russisch Roulette einen Kumpel erschossen, im Zweiten Weltkrieg als Partisan gegen Nazis gekämpft und dann unter Tito eingekerkert. Und nebenbei offensichtlich immer noch genug Zeit und Energie für Bücher und Budern. Denn genau davon berichtet er in »Levitan« zuhauf.

»Levitan« erzählt von Jakob Levitans Zeit während seiner 15-jährigen Haft an unterschiedlichen Orten und mit wechselnden Leidensgenossen. Auffallen tun seine durchgehend heißen Lenden, aber noch mehr seine damit einhergehenden heißen, stets um den Koitus kreisenden Gedanken. Zu seinen schweinischen Erinnerungen und Träumereien gesellen sich seine irrsinnig sensiblen und genauen Beobachtungen und Beschreibungen seiner Mitmenschen. Auf nahezu jeder Seite findet sich ein weiser Gedanken, eine kluge Beobachtung oder zumindest eine völlig abstruse Zote, kaum zu glauben, wie viel und was er alles erlebt und innerlich verarbeitet hat. Wollte man ihn zitieren, müsste man das Buch von vorne bis hinten vortragen. Es lohnt sich wegen der Lacher, die sich darin tummeln, es lohnt sich wegen der Einsichten, die er bietet, und es lohnt sich auch, weil Zupan offensichtlich einer dieser seltenen No-Bullshit-Personen war, die mit ihrer korrekten, innerlich unumstößlichen, aufrechten Art in den Bann ziehen. Er war ein Autor, der in seinem Schreiben wie kein anderer menschliche Natur und geistige Freiheit so sehr zum Ausdruck brachten.

Sebastian Guggolz © Nils Stelte

skug: Das Buch ist ja der absolute Oberknüller. Was zum Kuckuck lese ich da? Ich weine vor Freude und schüttele den Kopf, bis mein Nacken kracht. Selten so einen Mischmasch aus Quatsch, Weisheit, Stuss, Einsicht und versexter Erzähllust gelesen.

Sebastian Guggolz: Ja, es ist ein irrsinniges Buch. Eines, das heraussticht. Aber diese anmaßende und trotzdem charmante Erzählhaltung und die Momente der Erleuchtung, die in diesem Buch stecken, finde ich so überragend gut, dass ich es unbedingt machen wollte!

»Levitan« ist nach »Menuett für Gitarre« der zweite »Roman« Zupans, den du neu veröffentlichst. Wie bist du erstmals auf ihn gestoßen und was begeistert dich an ihm? Wann sollte man ihn lesen?

Das erste Mal bin ich in der slowenischen Bibliothek des Wieser Verlags auf ihn gestoßen, die von Erwin Köstler, dem großartigen Übersetzer auch dieses Romans, herausgegeben wurde. Dort war vor einigen Jahren der Roman »Reise ans Ende des Frühlings« erschienen, der nicht so stark mit Zupans Autobiografie verbunden ist, wie es »Menuett für Gitarre (zu 25 Schuss)« und »Levitan« sind. Die Anklänge im Titel an Louis-Ferdinand Céline (dessen berühmtestes Buch »Reise ans Ende der Nacht« heißt) sind ja schon offensichtlich und der Stil ist ebenso furchtlos wie anmaßend und größenwahnsinnig. Dieser Stil findet sich in allen Büchern Zupans. Und da Zupan zum Glück gleichzeitig mit übermäßig viel literarischem Talent gesegnet ist, ist für mich die Lektüre seiner Bücher eine große Freude. Zupan als Autor ist unbestechlich, überraschend, gnadenlos mit allem, auch sich selbst, und immer wieder auch unglaublich geistreich und witzig. Autoren, die sich um gesellschaftliche und literarische Konventionen und um eine makellose Karriere einen Dreck scheren, haben mich schon immer angezogen. Zupan ist ganz bestimmt einer davon.

Vitomil Zupan war, stark untertrieben, ein spezieller Mensch, irgendwo zwischen genial und epigonal hin und her hüpfend. In seiner Heimat war er wohl so etwas wie ein Rockstar, in Deutschland ist er hingegen kaum bekannt. Woran liegt das wohl?

Ja, er ist das Enfant terrible der slowenischen Literatur, er ließ sich nie im Zaum halten. In der Nachkriegszeit, in den Jahren, in denen unter anderem auch »Levitan« spielt, lag er immer quer zum slowenischen Regime, quer zur Gesellschaft und deren Institutionen. Obwohl er aktiv gewesen war im slowenischen Partisanenwiderstand gegen die deutschen Nazis, also auf der richtigen Seite gekämpft hatte, saß er dann etliche Jahre im Gefängnis, galt als unkontrollierbar und politisch gefährlich. Über viele Jahre konnte er nicht veröffentlichen, schrieb aber trotzdem immer weiter. In Slowenien war er eine öffentlich bekannte Figur, die immer aneckte; durch seine Bücher konnte er ja nicht bekannt sein, da sie nicht zu lesen waren. Erst ab den späten 1970er-Jahren änderte sich das, als das politische Klima sich etwas entspannte, dann wurden viele seiner Werke nachträglich doch noch publiziert. Aber die Romane Zupans sind keine leicht konsumierbare Kost, in ihnen geht es immer um alles, um die ganze Existenz: Für großen populären Erfolg eignen sie sich nicht. Deshalb gab es auch kaum Übersetzungen seiner Werke, auch nicht nach Deutschland.

Vitomil Zupan © Dim Zupan

Wie kann man Zupan literaturhistorisch einordnen? Was weißt du über sein Leseverhalten? 

Ich sehe ihn in einer Linie mit den »bösen Männern« der Literaturgeschichte, die zwar meist moralisch fragwürdig, aber immer auch radikale Erneuerer waren und die Grenzen des Machbaren in der Literatur verschoben haben. Knut Hamsun, Curzio Malaparte, der schon erwähnte Louis-Ferdinand Céline, um nur einige zu nennen. Vitomil Zupan selbst verstand sich auch als Philosoph, hat sich mit östlichen Philosophien beschäftigt, vieles davon ist auch in seine Literatur eingegangen. Bei aller radikaler Ablehnung der Gesellschaft und bei allen Pöbeleien war er ein akribischer, manischer, wilder Leser, hochgebildet – nur eben nicht akademisch oder systematisch, sondern ganz eigenständig, ganz nach eigenen Regeln und eigenem Geschmack.

Schriftstellern derselben Zeit, die ähnlich exzentrisch über ihre Sexualität schreiben, kann man heutzutage oft schwer von Sexismus freisprechen. Was Zupan bei all seiner teilweise räudigen Derbheit spannend macht: Er bleibt dabei sehr nahbar, zeigt sich als äußerst verletzliche Person, die über die eigene Sexualität nicht nur fantasiert, sondern auch nachdenkt. An einer Stelle spricht er sogar von Magnus Hirschfeld!

Er war offensichtlich bei allem Männlichkeitsgehabe, das auch mitspielt, trotzdem immer noch sehr empfindsam, auch für Zwischentöne, und überraschenderweise sehr emphatisch. Er spricht sich explizit gegen die Verurteilung Homosexueller aus, ist durch und durch tolerant im besten Sinne für abweichende sexuelle Vorlieben. Man hat fast das Gefühl, er freut sich über jede individuelle Ausprägung von Sexualität und Lebensweise. Diese Offenheit, diese Art, nicht zu verurteilen, ist es, die ihn auch heute noch modern und anschlussfähig macht.

Der Grund für Levitans Aufenthalt im Knast bleibt irgendwie diffus und fadenscheinig. War sein Autor ein politischer Mensch oder einfach ein unerwünschter Einzelgänger?

In der Realität, also der Vorlage für den Roman, war es ein missverstandener politischer Scherz, der Zupan und seine Freunde ins Gefängnis brachte. Und auch im Roman merkt man schon, dass der Ich-Erzähler Levitan zu den politischen und nicht zu den »einfachen« Häftlingen gehörte, die wegen Raub, Überfall, Totschlag ins Gefängnis kamen. In Zupans Anklage wurden große Geschütze aufgefahren: Unmoral, politische Verwirrung, sexuelle Ausschweifung – all das trifft sicherlich auch auf die Romanfigur Levitan zu, auch wenn es nicht explizit ausgesprochen wird. Aber man liest das zwischen den Zeilen mit. Zupan – und auch Levitan – war politisch, aber nicht im Sinne von parteipolitisch aktiv oder auf eine Karriere in der Politik aus, eher in dem Sinne, dass er aufrichtig für das einstand, wovon er überzeugt war, und dass er politische Verirrungen, und davon gab es nicht wenige im Slowenien des 20. Jahrhunderts, verurteilte und öffentlich aussprach. Er war ganz offensichtlich kein Parteigänger, sondern eindeutig ein Einzelgänger.

Vitomil Zupan © Dim Zupan

Die Figur Levitan sagt ja, dass sie »politische Leidenschaften kaltließen«. Und zugleich scheint durch, dass der Schriftsteller Zupan eine enorm neugierige, empathische, schlaue Person war – mit einem ausgeprägten Gerechtigkeitssinn. Was für mich so schwer verständlich ist, ist dass er gleichzeitig doch immer Beobachter bleibt, den sämtliche Schicksalsschläge kaum persönlich zu berühren scheinen.

Ja, da scheint sich dann bei aller Empfindsamkeit doch auch ein Schutzpanzer zu zeigen. Diese Unberührbarkeit oder Abgeklärtheit steht dem Charakter ansonsten entgegen. Es scheint ein Selbstschutz zu sein, der Versuch, nicht vor der Situation und vor den Umständen zu kapitulieren. Er zweifelt und verzweifelt daran, doch er zerbricht nicht.

War er in seiner Heimat denn jemals Teil einer Gruppe oder Bewegung von Schriftsteller*innen, oder gab es ihn auch da nur als Einzelgänger?

Er muss phasenweise sehr zur Freundschaft begabt gewesen sein, hatte immer Leute um sich herum, die mit ihm getrunken haben und sich auf ihn einließen. Doch weil er kompromisslos unbestechlich war, hätte er sich mit keiner Bewegung gemein machen können. Selbst wenn er sich mit Freunden und Trinkkumpanen umgeben hat, so mein Eindruck, war er ein Monolith, er blieb ein unbeirrbarer Einzelgänger. Spät dann, als er schon älter geworden war, gab es eine fast verklärende Verehrung für ihn, eben weil er aufrecht geblieben war. Aber das waren dann schon die nachfolgenden Generationen, auch wenn er noch lebte, war das in gewisser Weise schon fast sein Nachleben, zumindest der Beginn des Nachlebens … und diese große Wertschätzung hält sich bis heute: Er ist aus dem Kanon des slowenischen 20. Jahrhunderts nicht mehr wegzudenken.

Das Motto des Buches ist »Ein Roman – oder auch keiner«. Was macht es deiner Meinung nach zum Roman und was zieht das wieder in Zweifel?

Zupans Untertitel spielt damit, dass sehr vieles in dem Roman der Realität, seinem Leben entspringt. Es ist also das, was es literaturgeschichtlich immer schon gab und was seit einigen Jahren mit dem blöden Wort »Autofiktion« bezeichnet wird. Zupan hat an seinem Leben entlang geschrieben. Und sein Leben trug romanhafte Züge. Dass vieles daran eben nicht erfunden ist, das zieht das Romanhafte wieder in Zweifel. In jedem Fall aber ist es ein Buch, das auf den ersten Blick vielleicht überfordern mag – in dem man auf den zweiten allerdings grandiose Stellen, tiefgründige Gedanken, schonungslose Analysen findet, die mich in diesem Roman wie in allen Büchern von Vitomil Zupan nicht nur begeistern, sondern atemlos weiterlesen lassen, weil es auf wahnwitzige Weise immer unberechenbar, immer überraschend und immer originell bleibt. Einfach ein ganz großer Autor.

Vitomil Zupan: »Levitan. Ein Roman – oder auch keiner«. Guggolz Verlag, 2024 (OT: 1982). 485 Seiten gebunden, DE: € 28,00, AT: € 28,90

Link: https://guggolz-verlag.de/buecher/levitan-ein-roman-oder-auch-keiner

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